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Literatur

Macht der Literatur: Mario Vargas Llosa eröffnet ILB

Sabine Peschel
10. September 2020

Romane sind politisch, betonte Mario Vargas Llosa beim 20. Internationalen Literaturfestival Berlin. Sie dienen der Veränderung, nicht dem Entertainment.

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Internationales Literaturfestival Berlin 2020 | Mario Vargas Llosa
Bild: Getty Images/A. Berry

Während rundum Literaturfestivals abgesagt oder verschoben werden, die Frankfurter Buchmesse ins Digitale verlagert wird, Lesungen und Diskussionen Gespräche und Verhandlungen am Messestand ersetzen müssen, hat das Internationale Literaturfestival Berlin (ILB)  ein sehr ansehnliches Programm mit Live-Auftritten von Schriftstellern  auf die Beine gestellt. Möglichkeiten zu Begegnungen und Diskussionen locken - doch die Freude wird schnell gedämpft angesichts der leeren Ränge im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie.

1180 Zuschauer hätten dort die Eröffnung des 20. ILB feiern können, gäbe es da nicht dieses Virus und die strengen Hygienevorschriften. Selbst Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die das Festival seit seiner Gründung in der einen oder anderen Form begleitet, wirkte erschüttert beim Blick auf das weit verstreut sitzende, äußerst spärliche Publikum.

Mario Vargas Llosa: "Romane verweisen auf eine andere Realität"

Kulturstaatsministerin Monika Grütters mit dem Schriftsteller Mario Vargas Llosa beim Internationalen Literaturfestival Berlin (Foto: picture-alliance/dpa/A. Riedl).
Kulturstaatsministerin Monika Grütters mit Ehrengast Mario Vargas Llosa beim Internationalen Literaturfestival 2020Bild: picture-alliance/dpa/A. Riedl

Sie versprach, "sehr differenziert darüber nachzudenken, wie man mit pragmatischen Rezepten, das Bühnengeschehen wieder ins Laufen bekommt." Man müsse sehr restriktiv mit pauschalen Abstandsregeln umgehen und sich stattdessen die Mühe der möglicherweise komplizierten Einzelüberprüfungen machen. Die Wiederbelebung des kulturellen Lebens sei existenziell für die Demokratie, sagte Grütters in ihrer Begrüßungsrede und führte mit diesem zentralen und von ihr auch an anderer Stelle immer wieder betonten Gedanken gleich den Stargast des Abends ein.

Denn auch Mario Vargas Llosa beschwor in seiner Festrede die Macht der Literatur. Von Festivalleiter Ulrich Schreiber allein wegen seiner Anreise in Pandemiezeiten mit Verweis auf den russischen Schriftsteller Michail Jurjewitsch Lermontow als "ein Held unserer Zeit" angesprochen, sprach der 84-jährige Nobelpreisträger mit aller Emphase über das Potential von Literatur, das Leben der Menschen zu verändern.

"Diktaturen sind immer zutiefst misstrauisch gegenüber der Literatur. Sie wissen, dass die Literatur eine Gefahr für sie darstellt." 300 Jahre lang habe unter Kolonialregimen in Lateinamerika ein "romanhaftes Schweigen" geherrscht, ehe die ersten Romane im 18. Jahrhundert den Weg von der Fantasie zur Fiktion fanden. "Fantasie existiert immer, aber Romane sind mehr als Entertainment. Sie bergen den Unwillen, sich zu unterwerfen. Sie verweisen auf eine andere Realität."

Bürgerinnen und Bürger sollen keine Zombies sein

"Die Literatur hat die Gabe, uns zu zeigen, dass etwas schief läuft", erklärte der peruanische Schriftsteller, der nach einer gescheiterten Präsidentschaftskandidatur 1990 in Madrid, Paris und New York lebt. Literatur helfe, Unzufriedenheit und Dissidenz zu etablieren. "Wenn wir als Bürgerinnen und Bürger nicht nur Zombies sein wollen, nicht nur Wesen, die alles akzeptieren, was von oben aufgedrückt wird, müssen wir die Gesellschaft mit Literatur durchtränken."

Mario Vargas Llosa beim Internationalen Literaturfestival Berlin
"Literatur stellt Gefahr für Diktaturen dar" - Stargast Mario Vargas Llosa in der Berliner PhilharmonieBild: picture-alliance/dpa/A. Riedl

Konkret wird Vargas Llosa, der seine jugendliche Begeisterung für den Kommunismus längst abgelegt hat und sich selbst als Liberalen bezeichnet, nicht. Er spricht unfreie Gesellschaften nur allgemein an, erwähnt keines der Länder Lateinamerikas namentlich, in denen die Demokratie unter Druck geraten ist. Umso mehr betont er das utopische Potenzial von Literatur: "Vor allem in nicht freien Gesellschaften ist die Literatur ein Element des Handelns. Sie zeigt uns, dass das Unmögliche möglich sein kann."

Genauer wird Vargas Llosa, als er auf die gegenwärtige Pandemie zu sprechen kommt, die die Menschen von dem arroganten Irrglaube, alles zu beherrschen, abbringe. "Die Natur kann uns noch immer vor schreckliche Herausforderungen stellen. Aus dieser Pandemie gehen wir sicher weniger arrogant hervor."

Olga Tokarczuk und weitere Literatur-Stars

Mario Vargas Llosa (Foto: picture-alliance/dpa/A. Riedl).
"Weniger arrogant" - Vargas Llosa über Chancen der PandemieBild: picture-alliance/dpa/A. Riedl

Der peruanische Literaturnobelpreisträger von 2010 rundet seine Rede mit Worten ab, die zu Monika Grütters' Appell zurückführen - und die vielleicht in Zukunft den einen oder anderen Literaturkalender zieren werden: "Bücher sind eine Möglichkeit, die Menschen von einer anderen, besseren Welt träumen zu lassen."

Das Festival wartet zu seinem 20. Geburtstag trotz Pandemie mit großen, internationalen Namen auf und hat mit Olga Tokarczuk noch eine jüngere Literaturnobelpreisträgerin eingeladen. Weitere Gäste sind unter anderem David Grossman, Daniel Kehlmann, Ingo Schulze, Nora Bossong, Thomas Hettche, Colum McCann, Leif Randt, Ivan Krastev und Richard Ford.

Fast alle diese Schriftsteller kann man glücklicherweise auch digital erleben. Was die Trauer über das mangelnde Publikum bei den Live-Veranstaltungen unbedingt aufwiegt.