Die afrikanische Diaspora vor der Stichwahl
22. April 2022Es sind Menschen wie Alexandre Zongo, die bei der Stichwahl um das französische Präsidentenamt am Sonntag den Ausschlag geben könnten: Der französisch-burkinische Modedesigner mit eigener Schneiderei in Paris sagte der DW, er sei noch unentschlossen, wer seine Stimme bekommt. Zongos Laden liegt in Château-Rouge im 18. Arrondissement, das mitunter "afrikanisches Viertel" genannt wird. Im ersten Wahlgang hatte er Jean-Luc Mélenchon gewählt - der Altlinke hatte in und um Paris einige Wahlbezirke gewonnen, Château-Rouge gar mit 42 Prozent der Stimmen, verpasste jedoch den Einzug in die Stichwahl.
Bürgerinnen und Bürger mit afrikanischen Wurzeln haben durchaus einen gewissen Einfluss auf den Ausgang der Wahl: Insgesamt leben rund 3,2 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner in Frankreich, die meisten von ihnen stammen aus Algerien, Marokko oder Tunesien.
Insgesamt 6,8 Millionen und damit rund ein Zehntel der französischen Bevölkerung sind Einwanderer; von ihnen haben knapp 2,5 Millionen einen französischen Pass und dürfen somit ihre Stimme abgeben.
"Ich habe keine vorgefassten Meinungen"
Sie haben nun die Wahl zwischen dem liberalen Amtsinhaber Emmanuel Macron und seiner rechtsextremen Herausforderin Marine Le Pen. "Ich werde zuhören, ich habe keine vorgefassten Meinungen. Ich bin gar nicht gegen Marine Le Pen", sagte der Modedesigner Alexandre Zongo zur DW. Macrons politisches Programm habe man nun fünf Jahre beobachten können: "Es gab die Gelbwesten, und wir Selbstständigen in kleinen Unternehmen haben die größten Lasten getragen." Viele kleine Unternehmer hätten aufgegeben. "Früher kamen die Leute einigermaßen zurecht, aber das ist viel schwieriger geworden."
Inflation und sinkende Kaufkraft infolge der Pandemie und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine - das ist eines der bestimmenden Themen kurz vor der Stichwahl. Umfragen sahen Macron zuletzt mit zehn Prozentpunkten in Führung; 2017 hatte er Le Pen noch mit gut 32 Prozentpunkten Vorsprung besiegt.
"Frankreich ist in Gefahr"
Im Pariser Vorort Maisons-Lafitte - mit Pferderennbahn, Villen und weitläufigen Alleen eine der nobleren Adressen im Speckgürtel der Hauptstadt - lag Macron im ersten Wahlgang vorne. Die ivorischstämmige Wahlkämpferin Rosine Nahounou wirbt auf dem Wochenmarkt hingegen für Le Pen: "Frankreich ist in Gefahr! Das heutige Frankreich hat seine Werte verloren, das ist nicht mehr Frankreich", sagte sie der DW.
Nahounou unterstützt die rechtsextreme Politikerin bereits seit zehn Jahren - und verteidigt auch ihre restriktive Position zur Einwanderung: "Marine ist überhaupt nicht rassistisch. Jeder Ausländer, der in Frankreich leben will, sollte die Werte der Republik respektieren; das ist das Minimum, damit wir zusammenleben können." Man müsse Frankreich respektieren und dankbar sein und dürfe es nicht mit Füßen treten, findet Nahounou: "Wer die Franzosen nicht erträgt und nicht mit ihnen zusammenleben kann, kann Frankreich jederzeit verlassen."
"Das alte Lagerdenken überwinden"
Auf einem anderen Wochenmarkt, im 20. Arrondissement von Paris, wirbt Mohamad Lamine Gassama für Amtsinhaber Emmanuel Macron. In dem Arbeiterviertel leben viele Migranten aus verschiedenen Regionen Afrikas; hier holte im ersten Wahlgang der Linke Mélenchon die meisten Stimmen.
Der aus dem Senegal stammende Gassama war früher bei der Sozialistischen Partei aktiv, die gemeinsam mit ihrem vorerst letzten Präsidenten François Hollande unterging und bei den aktuellen Wahlen praktisch keine Rolle mehr spielte.
Auch Gassama wandte sich Macron und seiner Partei La République En Marche zu: "Er ist jemand, der von echter Emanzipation gesprochen hat. Mir hat eine Rede im Jahr 2016 imponiert, die habe ich schnell für mich angenommen. Emanzipation bedeutet, sicherstellen zu wollen, dass die Menschen in die Lage versetzt werden, sich selbst zu verwirklichen", sagte Gassama der DW. Macron habe dafür plädiert, das alte Lagerdenken zu überwinden und alle Menschen an einem gemeinsamen Projekt arbeiten zu lassen.
"Alles ist möglich"
Zurück im "afrikanischen Viertel" Château-Rouge hört man in einigen Gesprächen eher die Sorge, welche Nachteile ein Wahlsieg Marine Le Pens nach sich ziehen könnte - etwa, dass es komplizierter werden könnte, einen neuen Pass zu beantragen.
Amadou Sylla ist einer der Alteingesessenen in Château-Rouge; seit 23 Jahren lebt er dort. Der Mann mit Wurzeln im Senegal ist nicht zufrieden mit den beiden Optionen, die ihm zur Stichwahl verbleiben - besonders sorgt er sich jedoch darüber, dass es die Kandidatin des Rassemblement National in den entscheidenden Wahlgang geschafft hat: "Marine Le Pen hat ein politisches Projekt", warnte er im Gespräch mit der DW. Dabei müsse man doch die Werte der Republik hochhalten. "Leider finden wir uns in einem Szenario wieder, in dem alles möglich ist."