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PolitikEuropa

Macron und die NATO: vom "Hirntod" auferstanden

31. Mai 2023

An großen Europareden mangelte es in letzter Zeit nicht. Jetzt schlägt der französische Präsident Emmanuel Macron eine neue Tonalität an, sendet Botschaften nach Osteuropa und bleibt sich dennoch treu.

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Slowakei Rede Macron beim Bratislava Forum
Der französische Präsident Emmanuel Macron spricht beim Globsec-Forum in Bratislava.Bild: Ludovic Marin/AFP

Zu Beginn seiner Rede in Bratislava lässt der französische Präsident Emmanuel Macron fast schon Selbstkritik erkennen. Er erinnert an seine Aussagen aus dem November 2019, mit denen er der Nordatlantischen Vertragsorganisation (NATO)den "Hirntod" bescheinigte. Mittlerweile habe der russische Präsident Wladimir Putin das Bündnis mit dem schlimmsten aller Elektroschocks wieder wachgerüttelt.

Überhaupt geht es in seiner Rede viel um die Beziehung Europas zur NATO. Macron stellt klar, dass er nicht vorhabe, die NATO durch eine andere Institution zu ersetzen und dankt den USA für ihren Einsatz in der Ukraine.

Jacob Ross forscht bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zur französischen Außen- und Sicherheitspolitik. Im Gespräch mit der DW erklärt er, dass der französische Präsident auffällig oft darauf hingewiesen habe, dass es der NATO - und dabei vor allem den US-Amerikanern - zu verdanken sei, dass die Ukraine die Sicherheit Europas mit garantiere. Ross hält es für eine der Kernbotschaften von Macrons Rede, dass auch die Franzosen die Rolle der NATO und der amerikanischen Sicherheitsgarantien nicht in Frage stellen würden.

Joe Biden und Emmanuel Macron
Im März 2022 traf sich die NATO erstmals zu einem Sondergipfel für die Ukraine. In seiner jüngsten Rede dankte Emmanuel Macron den Amerikanern für ihre Hilfen an Kiew.Bild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

Emmanuel Macron hatte mit Äußerungen zu Taiwan im April für Furore in Europa und den USA gesorgt. Seine Worte wurden als Appell für eine eigenständige Position im Taiwan-Konflikt und als Absage an die USA gewertet. Ganz ab sieht Macron von Europas eigener Rolle aber auch bei der Rede in Bratislava nicht.

"Ein wehrhaftes Europa, ein europäischer Pfeiler innerhalb der NATO ist unentbehrlich, es ist der einzige Weg, glaubwürdig zu sein," führt der französische Präsident aus. Frankreichexperte Ross zufolge gehe es Macron kurzfristig darum, dass die Ukraine den Krieg gewinne, mittelfristig aber darum, dass die EU aus dem Krieg lerne und selbstständiger werde.

Grundsätzlich seien alle Staaten für sich selbst und die Sicherheit ihrer Nachbarstaaten verantwortlich, mahnte Emmanuel Macron und forderte, dass strategische Entscheidungen schneller erfolgen und umgesetzt werden müssten. Damit meint er auch, dass die Europäer ihre Kapazitäten in den Bereichen Energie, Technologien und militärische Fähigkeiten schneller ausbauen müssten.

Europäische Souveränität weiterhin wichtig

Bei diesen Forderungen handelt es sich um ein Steckenpferd des französischen Präsidenten: die europäische Souveränität. Immer wieder setzte sich Emmanuel Macron für eine stärkere Unabhängigkeit der Europäischen Union ein. Diesmal konstatierte er, dass sich Europa insbesondere im Bereich der Verteidigung auf dem Weg in die Souveränität befinde. Gleichzeitig ruft er dazu auf, dass Munition in der EU gekauft werden und diese sich gemeinsam auf die Zukunft vorbereiten solle. Standards müssten vereinheitlicht und gemeinsame europäische Technologien für die Verteidigung geschaffen werden. Auch das würde dazu führen, das Europa unabhängiger werde.

Jacob Ross
DGAP-Experte Jacob Ross sieht einen Kurswechsel in der Osteuropapolitik Frankreichs Bild: privat

Französischer Kurswechsel in der Erweiterungspolitik

Für den Außen- und Sicherheitsexperten Ross schwang aber auch noch ein anderer Aspekt in der Rede mit: Der Gedanke, dass die anstehende EU-Erweiterung auch eine Art Wiedervereinigung des europäischen Kontinents nach der Trennung durch den kalten Krieg sei.

Und tatsächlich: Mit Blick auf den bevorstehenden Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) am Donnerstag führt der französische Präsident aus, dass die EU-Erweiterung "so schnell wie möglich" passieren müsse. Man würde auf dem Gipfel innovative Ansätze diskutieren. Dabei müsse Europa darauf aus sein, gewisse Fehler zu vermeiden - wie etwa Hoffnungen zu wecken und dann auf Zeit zu spielen. Der EU-Beitrittsprozess der Westbalkanländer zieht sich bereits seit vielen Jahren hin. Seit Sommer 2022 sind auch Moldau und die Ukraine EU-Beitrittskandidaten.

Hinter diesen Äußerungen sieht Ross einen Kurswechsel der Franzosen und betont, dass sich die französische Osteuropapolitik und deren Meinung zu Erweiterungsrunden durch den Ukraine-Krieg grundlegend geändert habe: Nun werde Erweiterungspolitik als ein geopolitisches Instrument begriffen und es herrsche Bewusstsein darüber, dass Hinhaltetaktiken beispielsweise die Länder des Westbalkans angreifbar für russische und chinesische Einflüsse machen könnten.

Botschaft an Osteuropa

Mit seinem Konzept der europäischen Souveränität hatte der französische Präsident eine andere Tonalität in seiner Vision für Europa angeschlagen als beispielsweise der deutsche Bundeskanzler in seiner Europarede am 9. Mai. Olaf Scholz sprach sich bei dieser gegen eine europäische Supermacht aus und möchte anderen Ländern auf Augenhöhe begegnen. Frankreichexperte Ross meint, dass Macrons Rede vor allem in Richtung Osteuropa zielte und dem schlechten Image Frankreichs dort entgegenwirken soll. Dies geschehe gerade auch mit Blick auf das anstehende Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft, bei dem mehr als 40 Staats- und Regierungschefs in Moldau zusammenkommen sollen.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel