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Madagaskars Wirtschaft am Abgrund

Friederike Müller18. Oktober 2013

Madagaskars politische Dauerkrise hat auch die Wirtschaft lahmgelegt. Investoren bleiben fern, die Armut wächst. Alle Hoffnungen ruhen auf den anstehenden Wahlen, die einen Weg aus der Krise ebnen sollen.

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Bild: DW/F. Müller

Erick Régis Rakotomalala zieht sich die buntkarierte Wolldecke enger um die Schultern. Morgens ist es noch kalt in der Stadt Antsirabe im Hochland von Madagaskar, und der Rikscha-Fahrer muss lange auf Kunden warten. "Seit der Krise können sich die Leute hier nicht mehr leisten, mit uns zu fahren", sagt er. Ohne die ausländischen Touristen, die noch ab und zu eine Rundfahrt durch die Stadt buchen, würde er gar nichts mehr verdienen. "Und auch so reicht es manchmal nicht, um etwas zu essen zu kaufen."

Ob Rikscha-Fahrer, Schneider oder Hausfrau: Armut, Angst und Sorge ums tägliche Überleben kennen sie alle in Madagaskar. Denn die Auswirkungen der politischen Krise im Land bekommt fast jeder zu spüren.

Kein Geld mehr für Bildung und Gesundheit

Diese Krise in dem Inselstaat vor der Ostküste Afrikas begann Anfang 2009: Nach langen Auseinandersetzungen mit Staatschef Marc Ravalomanana putschte sich Andry Rajoelina, ein junger Medienunternehmer und Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, mit Unterstützung eines Teils des Militärs an die Macht. Seitdem steht er an der Spitze einer Übergangsregierung, die viele Staaten - darunter auch Deutschland - bis heute nicht anerkennen. Viele Geber von Entwicklungshilfe stellten ihre finanzielle Unterstützung für die madagassische Regierung ein. Die USA kündigten Madagaskar zudem den zollfreien Zugang zu ihrem Textilmarkt. Über 30.000 Arbeitsplätze gingen dadurch allein in der Textilindustrie verloren.

Zwei Männer treiben eine Herde Zeburinder die Straße im Hochland von Madagaskar entlang. (Foto: Friederike Müller/DW)
Madagaskar gehört zu den ärmsten Ländern der WeltBild: DW/F.Müller

Um einen Bankrott abzuwenden, habe die Übergangsregierung harte Sparmaßnahmen ergriffen, die die Armen zusätzlich träfen, erklärt Haleh Bridi, Leiterin der Weltbank in Madagaskar. Die öffentlichen Ausgaben in den Bereichen Schulbildung, Gesundheitswesen, soziale Sicherheit und Ernährung seien stark zurückgegangen. "Heute kann nur einer von zehn Madagassen einigermaßen würdevoll leben. Der Rest muss ums Überleben kämpfen. Die Armut ist auf dem Land, in der Stadt, überall", sagt Bridi. Noch subventioniert der Staat Benzin und Elektrizität. Doch auch das wird er sich wahrscheinlich nicht mehr lange leisten können. Steigen die Preise dafür, würde das die Inflation anheizen. Auch der Tourismus ist gerade in den ersten Jahren nach dem Putsch stark zurückgegangen.

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Haleh Bridi von der Weltbank sieht großes Potenzial in Madagaskas Wirtschaft - wenn die politische Krise einmal überwunden istBild: DW/F. Müller

Sorgen der Investoren

Schon vor der Krise gehörte Madagaskar zu den ärmsten Ländern der Welt. Mehr als 90 Prozent der Madagassen arbeiten in der Landwirtschaft, die jedoch weniger als ein Viertel der Wirtschaftsleistung des Landes erbringt. Andere Branchen wie der Tourismus und die Textilindustrie bieten nur wenige Arbeitsplätze.

Vor Beginn der Krise 2009 hatte es durchaus Lichtblicke gegeben: Präsident Marc Ravalomanana hatte mit einer liberalen Wirtschaftspolitik Entwicklungsgelder und Investoren aus dem Ausland angezogen und ein jährliches Wirtschaftswachstum von durchschnittlich fünf Prozent erreicht. Doch Vorwürfe wurden laut, er und seine Minister wirtschafteten in die eigene Tasche - was mit zum Umsturz führte. Seitdem ist das Wirtschaftswachstum nach Informationen der Weltbank stagniert.

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Für viele Madagassen sind Grundnahrungsmittel wie hier auf dem Markt in der Hauptstadt Antananarivo kaum noch zu bezahlenBild: DW/F. Müller

Ausländische Investoren haben sich zurückgezogen oder ihre Aktivitäten stark eingeschränkt. Der Deutsche Heiko Schlittke leitet die Geschäfte des indischen Mobilfunkanbieters Airtel in Madagaskar. Seine Firma hält derzeit nur ihr Netz in Stand, es weiter auszubauen, kommt nicht in Frage. Denn die Übergangsregierung kann ihnen und anderen Investoren keine Planungssicherheit geben: "Kein Mensch weiß, ob eine Unterschrift, die er heute bekommt, morgen noch etwas wert ist. Das hindert natürlich vernünftige Investitionspläne", erklärt der Manager.

Wahlen als Startschuss

Für Schlittke ist klar: Erst müssten Wahlen stattfinden, die auch international anerkannt werden und die eine Regierung hervorbringen, die mit einer verlässlichen Legitimation mit Investoren verhandeln könne. Am 25. Oktober steht die erste Runde der bereits mehrmals verschobenen Präsidentschaftswahl an. "Wenn das sauber über die Bühne geht, wird unser Investitionsprogramm in den zwei, drei Monaten danach sofort anlaufen", sagt Schlittke.

Darauf scheinen auch andere Unternehmen nur zu warten: Regelmäßig bekommt der Manager Anrufe von Kollegen, die sich für Madagaskar interessieren und ihn nach seiner Einschätzung fragen. Denn Madagaskar hat großes Potenzial. Es ist reich an Bodenschätzen.

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Mobilfunkmanager Heiko Schlittke wartet mit Investitionen auf eine stabile Regierung nach den WahlenBild: DW/F. Müller

Mit einer gewählten Regierung kann Madagaskar auch wieder mit Finanzhilfen aus den Geberländern für den klammen Staatshaushalt rechnen. Damit könne die Wirtschaft wieder angekurbelt werde, ist Stéphane Raveloson überzeugt. Er ist Vize-Präsident des madagassischen Arbeitgeberverbandes und nennt die aktuelle Situation aus Sicht der Unternehmer "alarmierend". Vor allem die mangelnde Kaufkraft und die Angst vor einer Inflation machen ihm Sorgen.

Trotzdem hat er Hoffnung: "Diese Krise hat uns vier Jahre lang geprägt. Vier Jahre lang!", sagt er nachdenklich. Aber: "Wenn wir eine Lösung finden und das Land wieder auf die Beine stellen, dann sage ich Ihnen: Das wird ein anderes Madagaskar sein, es wird sich unglaublich entwickeln, besser als alle Länder umher." Ob das zu optimistisch ist? Nein, sagt Haleh Bridi von der Weltbank: Natürlich werde das Jahre dauern. Doch die Vergangenheit habe gezeigt, dass Madagaskar nach Krisen schnell wieder auf die Beine kommen kann - wenn die Rahmenbedingungen stimmen. "Hoffen wir, dass es auch dieses Mal wieder so ist."