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Gedenken über Gräbern

Bernd Riegert26. Juni 2014

Der scheidende EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy liebt Gedichte. Deshalb trug er zum Weltkriegsgedenken ein bewegendes vor. Der EU-Gipfel in Ypern begann ungewöhnlich.

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Ypern Gedenken Ausbruch Erster Weltkrieg
Bild: DW/B. Riegert

Rote Klatschmohn-Blätter regneten zu getragener Musik aus einem Oberlicht im Menentor auf die Staats- und Regierungschefs, die sich zum Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren im flandrischen Ypern versammelt hatten. Mit ernster Miene stand jeder vor seiner Nationalflagge in dem schneeweißen Tor, das an die Gefallenen und Vermissten der britischen Armee erinnert. EU-Ratspräsident Hermann Van Rompuy hatte Ypern bewusst für die Feierstunde ausgesucht. Denn seine Heimat Flandern war vor 100 Jahren eines der blutigsten Schlachtfelder des Krieges. In vier Jahren kamen hier 500 000 Soldaten auf beiden Seiten um. Die deutschen Angreifer setzten hier zum ersten Mal Giftgas militärisch ein. Noch heute steht "Yperit" im französischen Sprachraum für die inzwischen geächtete Gaswaffe.

Ewiger Frieden ist das Ziel

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sagte in seiner kurzen Ansprache, die heute Lebenden könnten aus den Kriegsgreueln nur eine Lehre ziehen: "Vier Generationen sind vergangen. 100 Jahre. Aber unsere Erinnerung ist noch intakt. Es sind die, die zusammen sind, und die 28 vereinigten Länder vertreten und sich versichern, wir sind die Wächter der Wachsamkeit. Es ist an uns, in Taten und Worten mit Zuversicht über den Frieden zu wachen, ihn zu einem dauerhaften Traum zu machen, zum ewigen Frieden." Mit Klatschmohn erinnern vor allem Briten, Kanadier, Amerikaner und Australier an die Opfer auf den Schlachtfeldern. Der Mohn war die erste Blume, die auf den frischen Gräbern wuchs. So bekam jeder der 28 Staats- und Regierungschefs von belgischen Schülern eine Mohnblume aus Metall überreicht, die feierlich an einer runden Gedenkbank abgelegt wurden. Die weiße Bank im Garten des Menentores auf der ehemaligen Stadtmauer Yperns trägt die Namen aller Staats- und Regierungschefs und ihrer Nationen.

Ypern Gedenken Ausbruch Erster Weltkrieg Angela Merkel 26.06.2014
Bundeskanzlerin Merkel legt ihre Mohnblume an der Gedenkbank der EU niederBild: picture-alliance/AP Photo

Gedenken mit Gedicht

Herman Van Rompuy, ein leidenschaftlicher Fan von Lyrik, hatte für die Zeremonie ein Gedicht des niederländischen Dichters Leo Vroman ausgesucht: "Komm und sag' mir heute Nacht, der Krieg ist vorbei. Sag' es mir hundert Mal und jedes Mal werde ich weinen." Zuvor hatten die Gipfelteilnehmer in der gotischen Tuchhalle am Marktplatz das Museum der flandrischen Schlachtfelder besucht. Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht in der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg auch eine Mahnung an die heute lebenden Europäer. "Ich glaube, dass uns das noch einmal vor Augen führt, in welch guten Zeiten wir heute leben, gerade dadurch dass es die Europäische Union gibt und dadurch, dass wir aus der Geschichte gelernt haben."

Beim Essen wird über die Zukunft gesprochen

Der britische Premierminister David Cameron wirkte bei der Schweigeminute und dem Trompetensignal für die Opfer besonders ergriffen. Rund um Ypern waren vor allen Truppen aus dem britischen Commonwealth eingesetzt. Davon zeugen Dutzende Soldatenfriedhöfe rund um die Stadt. Vielleicht dachte Cameron aber auch bereits an die Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union, die beim Abendessen in der Tuchhalle begann. Angela Merkel wünschte sich, dass die Staats- und Regierungschefs ein wenig von dem feierlichen Geist mit in den Sitzungssaal tragen. "Deshalb hoffe ich, dass uns das auch motiviert, die notwendigen Entscheidungen für die fünf Jahre, die auf uns zukommen, zu treffen", sagte Merkel vor Beginn des Gipfeltreffens.

Beim Abendessen erläuterte Herman Van Rompuy einen Arbeitsplan der EU für die kommenden fünf Jahre, die neue Legislaturperiode des Europäischen Parlaments. In den letzten vier Wochen hatte Van Rompuy mit allen 28 Regierungen und den Fraktionen über das vertrauliche Papier verhandelt, das möglichst alle Wünsche abdecken soll. Van Rompuy plädiert dafür, dass sich die EU auf wesentliche Dinge beschränkt und sich hauptsächlich für Wirtschaftswachstum und den Kampf gegen Arbeitslosigkeit engagiert. Innovation und Reformen in den Mitgliedsstaaten sollen gefördert werden. Möglichst viele Kompetenzen sollen bei den Nationalstaaten bleiben, wenn eine europäische Regelung keine erkennbaren Vorteile bringt. Erwähnt wird auch eine flexible Ausgestaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, also die Kontrolle der Neuverschuldung. Parallel zum Treffen in Ypern demonstrierten in Brüssel europäische Gewerkschaften für ein Ende der Sparpolitik und Beschäftigung für die 26 Millionen Arbeitslosen in der EU.

Kanadischer Soldatenfriedhof bei Ypern
Unvergessen: Kanadischer Soldatenfriedhof bei YpernBild: DW/B. Riegert

Cameron droht Niederlage in Personalfrage

Aus dem Van-Rompuy-Papier sollen Arbeitsaufträge für die neue EU-Kommission abgeleitet werden. Die mächtige Verwaltung der EU wird aller Voraussicht nach der ehemalige luxemburgische Regierungschefs Jean-Claude Juncker führen, der für die Konservativen die Europawahl gewonnen hatte. Nur der britische Premierminister David Cameron und möglicherweise der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban lehnen Juncker ab. Die heikle Personalfrage, die Cameron auf Biegen und Brechen in einer Abstimmung entscheiden lassen will, steht erst am zweiten Gipfeltag auf der Tagesordnung. Man sollte sich am Rande der Schlachtfelder nicht in die Haare kriegen. Das sei ein wenig pietätlos, so EU-Beamten, die mit dem Gipfelablauf vertraut sind. Trotzdem wird die Personalfrage natürlich in privaten Gesprächen von den Staats- und Regierungschefs diskutiert. "Ich halte es für kein Drama, wenn die Abstimmung in diesem Falle nicht einstimmig erfolgt", versuchte Angela Merkel zu beschwichtigen. "Deshalb müssen wir schauen, dass wir bei den inhaltlichen Fragen, ein hohes Maß an Gemeinsamkeit erreichen. Ich denke, hier können wir mit Großbritannien sehr gute Kompromisse finden und auch ein Stück auf Großbritannien zugehen."

Cameron als isolierter "Held"

Die Briten haben allerdings noch keine Forderungen, keinen Preis für ein Einlenken formuliert. Das mache die Suche nach Kompromissen schwer, so EU-Diplomaten. Die britische Zeitung "Financial Times" vermutet, dass sich Premier Cameron mit einer absehbaren Niederlage bei einer Abstimmung innenpolitisch als harter Kämpfer darstellen will. Nach Meinungsumfragen stützen zwei Drittel der Briten seinen Kurs. Cameron hatte sogar mit einem Austritt aus der EU gedroht.

Der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz, der Juncker in der Europawahl unterlegen war, versteht die Taktik Camerons nicht. "Lassen Sie uns ehrlich sein: Das ist kein normales politisches Verhalten. Sie und ich, jeder muss ab und zu mit Entscheidungen leben, die wir nicht gut finden oder bei denen wir in einer Minderheit sind. Man kann für oder gegen Jean-Claude Juncker sein, aber das sollte nicht zu kompletter Isolation führen", sagte Schulz am Rande des Gipfels. Kommende Woche wird er erneut zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt. Im Gegenzug stützen die Sozialdemokraten den konservativen Juncker als Chef der EU-Kommission. "Ich bin optimistisch, dass sobald die Entscheidung gefallen ist, das Vereinigte Königreich zu einer vernünftigen Kooperation zurückkehren wird", sagte Schulz.

Belgien Tuchhalle in Ypern
Tuchhalle in Ypern: Wiederaufgebaut nach dem Krieg, jetzt Museum und GipfelortBild: DW/B. Riegert

Keine WM in Ypern

Bundeskanzlerin Merkel konnte wegen der Teilnahme am EU-Gipfel das Fußballweltmeisterschaftsspiel Deutschland-USA nicht live verfolgen. Da sie ein großer Fußballfan sei, bedaure sie die Terminkollision, heißt es aus ihrer Umgebung. Offiziell würde sie sich dazu natürlich nie äußern. Es hat in der Vergangenheit aber schon EU-Gipfel gegeben, bei denen heimlich unterm Tisch oder auf den Fluren Fußballspiele angeschaut wurden, verrieten erfahrene EU-Diplomaten.