Mai, Maria, Muttertag? - Ein Plädoyer für Wertschätzung
15. Mai 2024Der Muttertag im Mai polarisiert aus unterschiedlichen Gründen. Für die einen eine tolle Gelegenheit, ihre Liebe und Wertschätzung zu ihren Müttern auszudrücken. Für die anderen ein Fest des Kommerzes und Relikt patriarchaler Zeiten. Eine christliche Betrachtungsweise könnte durchaus Wege aus der Polarisierung weisen, obwohl es gerade im Katholizismus eine dominante Mutterfigur gibt, die im Mai traditionell ins Rampenlicht gerückt wird und auf den ersten Blick die beiden Fronten noch verschärft: Maria, die Mutter Gottes. Aber wenn man die Evangelien genau betrachtet, erschließt sich ein anderes Bild.
Vorweg ein Plädoyer für den Muttertag: Es ist einfach schön, seine Liebe und Verbundenheit zur eigenen Mutter auszudrücken; sie wissen zu lassen: «Mama, ich habe dich lieb.». Ob es für solche Liebesbekundungen wirklich den zweiten Sonntag im Mai oder kommerzielle Exzesse braucht, steht auf einem anderen Papier geschrieben. Aber eine Botschaft oder Geste der Liebe und Wertschätzung ist einfach etwas Schönes. Punkt.
Während meiner Studien in Lateinamerika wurde ich aber auch mit problematischen Aspekten von traditionellen Mutterrollen konfrontiert. Dazu gehören ideologische Überhöhungen von Müttern, die die daraus resultierenden übermenschlichen Ansprüche nicht erfüllen können, was oft in Überforderung, aber auch Gewalt und Vernachlässigung ihrer Kinder mündet. Dazu gehören Ungerechtigkeiten wie die soziale Ächtung und Exklusion von alleinstehenden Müttern oder die Geringschätzung von gleichgeschlechtlichen Eltern. Und: Dazu gehört auch das Bild der Mutter als duldsames Frustventil für ihren Partner und die Familie. Viel Idealisierung gegenüber traurigen Realitäten. Man merkt: Hier stimmt etwas nicht. Kein Wunder, wenn jemand sagt: Ich kann keinen Muttertag (mehr) feiern.
Maria, die Mutter Gottes, die besonders in Lateinamerika eine besondere Rolle im Alltag spielt, hat einige dieser problematischen Aspekte untermauert. Sie wurde und wird traditionell als Modell der perfekten Mutter propagiert: Liebevoll, fürsorglich, aufopfernd, aber auch gehorsam, duldsam, schweigsam. Womöglich zweifelt niemand an Maria als Mutter von Jesus von Nazareth. Selbst im Islam gehört dies zum Standardwissen. Doch vermischten sich bei ihr theologische Aussagen mit ihrer biologischen Mutterschaft. Die theologische Aussage, eine junge Frau wird ein Kind empfangen allein durch die Kraft des Heiligen Geistes; denn für Gott ist nichts unmöglich. (vgl. Lukas 1,35-37), bedeutet, dass Jesus von Nazareth sowohl menschlichen als auch göttlichen Ursprungs ist. Es geht also bei ihrer Mutterschaft nicht um Biologie, sondern um Theologie.
Diese theologische Mutterschaft ersetzte man aber im Lauf der Geschichte durch den Fokus auf die biologische Mutterschaft: Die junge Frau aus Nazareth hat Jesus geboren, somit ist ihre Gebärfähigkeit besonders wichtig. Und diese wird zum Ideal für die Frauen erhöht (neben der bereits im frühen Christentum verbreiteten Idealisierung der Jungfräulichkeit – quasi als Gegenmodell). Diese Verschiebung auf die Fruchtbarkeit und Gebärfähigkeit ist keineswegs eine christliche Besonderheit. Aber es ist bemerkenswert, weil gerade die Evangelien diesen biologistischen Fokus an mehreren Stellen hinterfragen. Jesu distanziert sich mehrmals von der Familie und insbesondere seiner Mutter. Nicht etwa aus Geringschätzung, sondern um eine wesentliche Aussage stark zu machen: «Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? (…) Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.» (Markus 3, 33.35). Eine Absage an traditionelle Rollenbilder und in drei Evangelien überliefert –offensichtlich eine wichtige Aussage Jesu.
Wie oben bereits erwähnt spricht nichts dagegen, am zweiten Sonntag im Mai in besonderer Weise seine Liebe und Verbundenheit zu den Müttern auszudrücken. Aber die Evangelien enthalten eigentlich ein Plädoyer für eine universale Wertschätzung gegenüber allen Menschen guten Willens. Wir können bedenkenlos Muttertag feiern. Dabei sollten wir uns jedoch nicht nur auf unsere eigene Mutter fokussieren, sondern den Tag auch aktiv nutzen, um die gesellschaftliche Rolle und Bedeutung der Mutter zu hinterfragen und auf Missstände aufmerksam zu machen. Damit ist letztlich allen Müttern geholfen: Denjenigen, die überfordert sind, denjenigen, die sich als Alleinerziehende in Teilzeitjobs aufopfern, um ihre Kinder durchzubringen, diejenigen, die aufgrund der ganzen unbezahlten geleisteten Carearbeit nicht genug fürs Alter vorsorgen konnten und in Altersarmut leben.
Aber darüber hinaus wäre es wichtig, allen Menschen stets mit Dankbarkeit, Respekt und Anerkennung zu begegnen. Eine solche Perspektive würde auch allen zu Gute kommen, die aus unterschiedlichen Gründen keinen Muttertag feiern können. Wie kann das gelingen? Ein jesuitisches Prinzip spricht von «Gott suchen und finden in allen Dingen». Dies könnte uns helfen, in der universalen Wertschätzung und Dankbarkeit zu unseren Mitmenschen zu wachsen.
Zum Autor:
Frater Pascal Meyer SJ, aus Langnau am Albis bei Zürich, seit 2024 wohnhaft und tätig am Canisius-Kolleg Berlin; studierte nach seiner Berufsausbildung und dem Militärdienst Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie und Theologie; seit 2013 ist er Jesuit; in seinen Ausbildungsabschnitten als Ordensmann lernte er zahlreiche Länder und Regionen der Welt persönlich kennen; der Satz "Gott suchen und finden in allen Dingen" inspiriert ihn bei einer Verkündigung des Glaubens.
Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.