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Politik

Malis Präsident Keita: "Alle wollen Frieden"

Eric Topona | Dirke Köpp
8. Februar 2019

Trotz internationaler Unterstützung kommt Mali nicht zur Ruhe. Präsident Ibrahim Boubacar Keita sagt im DW-Interview, er würde lieber in Soziales investieren als in Sicherheit. Dennoch fordert er mehr Geld für die Armee.

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Präsident von Mali besucht Bundeskanzlerin
Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrzenka

Deutsche Welle: Herr Präsident, Sie sind in Berlin, um die Beziehungen Malis und Deutschlands zu vertiefen. Die beiden Länder sind seit langer Zeit miteinander verbunden: Deutschland war das erste Land, das 1960 die Unabhängigkeit Malis anerkannte. Was erwarten Sie von Ihrem Aufenthalt?

Ibrahim Boubacar Keita: Zunächst möchte ich mich bei Frau Merkel bedanken, die mich nach Berlin eingeladen hat, damit wir uns über die aktuelle Kooperation austauschen und zusammen bewerten können, in welchen Bereichen wir sie weiterentwickeln. Sie haben einen wesentlichen Punkt schon angesprochen: Dass Deutschland als erstes Land das unabhängige Mali anerkannt hat, bedeutet uns viel, und heute wird unsere Kooperation immer enger.

Welche neuen Ideen der Kooperation werden Sie Frau Merkel bei Ihrem Treffen am Freitag (8.2.) vorschlagen?

Zunächst möchte ich mit ihr erörtern, wo wir mit unserer Kooperation stehen, die Fragen der demokratischen Regierungsführung, der institutionellen Unterstützung betrifft. Deutschland hat uns beispielsweise (im Prozess der Dezentralisierung der Verwaltung, Anm. d. Red.) unterstützt, ein Ausbildungszentrum für Gebietskörperschaften aufzubauen. Das ist sehr wichtig für uns. Damit unsere Projekte zielführend sind und positiv auf die Bevölkerung wirken, muss sie sich angesprochen fühlen - und dafür müssen die Einrichtungen, in denen Entscheidungen getroffen werden, dezentralisiert und zu ihnen gebracht werden. Diese Dezentralisierung muss es tatsächlich geben und sie muss auf die Bevölkerung, ihren Alltag, ihre Bedürfnisse zugeschnitten sein. Dabei hat Deutschland uns geholfen. Mali ist ein Land mit vielen Herausforderungen in Sachen Sicherheit; wir sind mitten im Sahel (in dem staatenübergreifend terroristische Gruppen aktiv sind, Anm. d. Red.). Auch da unterstützt Deutschland uns.

Kanzlerin Merkel in Afrika Mali
2016 empfing Ibrahim Boubacar Keita Bundeskanzlerin Angela Merkel in BamakoBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Seit 2015 gibt es einen Friedensvertrag zwischen der Regierung und bewaffneten Gruppen. Inzwischen wird aber nicht nur in Mali, sondern auch in Deutschland ein Teil der Öffentlichkeit ungeduldig, weil es so lange dauert, bis der Vertrag umgesetzt wird. Wo hakt es?

Es dauert gar nicht lange, auch wenn man manchmal den Eindruck haben kann. Es ist offenkundig, dass die malische Regierung sich große Mühe gibt und täglich daran arbeitet, den Friedensvertrag voranzutreiben.  Etwa auf institutioneller Ebene: Wir haben (im Zuge der Dezentralisierung, Anm. d. Red.) neue Regionen geschaffen, die seit etwa anderthalb Jahren handlungsfähig sind. Wir haben Interimsbehörden  geschaffen, die die Regionen verwalten. Es gibt auch andere Initiativen, um den Prozess schnell voranzutreiben, denn nach einer solchen Krise, in dem bewaffnete Gruppen die Regierung angegriffen haben, braucht man nachhaltigen Frieden und Stabilität: Wir haben daher beschlossen, die Rebellen zu entwaffnen. Aber wenn man entwaffnet, muss man auch Perspektiven bieten: also Demobilisierung, Entwaffnung, Wiedereingliederung (DD&R). Da uns als Regierung der DD&R-Prozess, den wir mit unseren internationalen Partnern beschlossen hatten, zu lange dauerte, haben wir ein Konzept erstellt, wie er beschleunigt werden kann. Dank dieses neuen Systems konnten schon 1500 Männer demobilisiert und entwaffnet werden und werden derzeit eingegliedert. Wir werden bald bei 5000 sein und dann am Ende des Projektes bei 20.000. Es dauert also gar nicht lange! Es geht so schnell voran, wie die Bedingungen es erlauben, die finanziellen Bedingungen zum Beispiel. Denn es hat zwar viele Geberkonferenzen gegeben. Aber zwischen dem, was dort angekündigt wurde an finanzieller Hilfe, und dem, was auf unseren Konten gelandet ist, klafft eine Lücke. Doch trotz dieser schwierigen Lage und des Mangels an Geld geht es mit der malischen Wirtschaft gut voran.

Diese Woche haben sich die Staaten, die sich zum G5 Sahel zusammengetan haben, getroffen: neben Mali auch Burkina Faso, der Tschad, der Niger und Mauretanien. Immer noch fehlt der gemeinsamen Eingreiftruppe Geld. Was empfehlen Sie, damit sie endlich wirklich einsetzbar wird?

Ich benutze im Zusammenhang mit dem Sahel oft das Bild eines Schutzdammes. Wenn er bricht, werden die Dörfer überflutet. Viele der Terroristen, die im Osten Afrikas von den internationalen Kräften bekämpft werden, fliehen in den Sahel. Das wird durch die an Anarchie erinnernde Situation in Libyen begünstigt. Wenn man sich international geeinigt hat, dass man Milliarden Dollar für den von Daesh überrannten Osten Afrikas ausgibt, sollte man tunlichst schauen, dass dasselbe Phänomen nicht am anderen Ende des Kontinents wieder auftritt. Wenn der Schutzdamm des Sahels bricht, schwappt das auch nach Europa. Wir haben also eine universelle Mission, und ich verstehe nicht, warum die ursprünglichen Willensbekundungen nie konkretisiert wurden: Es geht um nur 423 Millionen Euro! Das ist doch keine astronomische Summe - und doch ist sie immer noch nicht da. Das ist schade!

Aber auch die fünf beteiligten Staaten haben noch nicht die Gesamtzahl der für die G5-Mission zugesagten Soldaten entsandt.

Im Durchschnitt sind die Länder bei 80% der zugesagten Bataillone. Das ist personell und finanziell eine große Anstrengung für unsere Staaten, die über wenig interne Ressourcen verfügen. Mali beispielsweise investiert 22% der staatlichen Einnahmen für Sicherheit und Verteidigung. Das ist viel! Dieses Geld wäre besser investiert in Sozialem: Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Zugangswege für Bauern. Und dennoch: Hätten wir die G5 nicht längst gegründet, würden wir das heute tun.

Mali Angriff auf G5 Sahel Basis in der Stadt Sevare
Im Juni 2018 griff ein Selbstmordattentäter das Hauptquartier der Anti-Terror-Truppe G5 Sahel inm malischen Sevare anBild: Getty Images/AFP

Dennoch gibt es weiter Attentate in Mali, in Burkina; der Tschad schlägt gerade mit Hilfe Frankreichs Rebellen aus dem Norden zurück. Wieso gelingt es der G5-Mission nicht, die Terroristen in Schach zu halten?

Auch in Ländern, die höhere und bessere Mittel haben als unsere Staaten, gibt es Attentate. Wir befinden uns in einem asymmetrischen Krieg, in dem der Feind manchmal unser Nachbar ist, mitten unter uns. Das macht die Aufgabe der Streitkräfte extrem schwierig. Sie stehen unter großem psychischem und moralischem Druck. Stellen Sie sich einen Wochenmarkt vor: Unsere Soldaten sind da, patrouillieren. Auf einmal zündet jemand seinen Bombengürtel, andere holen Kalaschnikows aus Körben, die eigentlich für Obst und Gemüse gedacht sind, und schießen. Wenn dann die Soldaten reagieren - wie heißt dann die Schlagzeile? "Massaker an der Zivilbevölkerung." Es ist kompliziert...

Wann wird Ihrer Meinung nach der malische Staat wieder Kontrolle über das gesamte malische Gebiet haben? Denn im Moment ist er in vielen Regionen abwesend.

Oh, es wäre schön, wenn es bald so wäre. Aber ich bin nicht das Orakel von Delphi, nur Malis bescheidener Präsident. Aber schauen wir uns die Kriterien an: Der Friedens- und Versöhnungsvertrag ist auf einem guten Weg. Aber er muss auch überall und von allen Unterzeichnerparteien umgesetzt werden. Wir sind auch dabei, unsere Armee mit Hilfe von entwaffneten Rebellen wiederaufzubauen.

Das ist schon einmal schiefgegangen: Von den Rebellen, die 2006 in die malische Armee integriert wurden, sind beim Beginn der Krise 2012 viele wieder zu den Rebellen übergelaufen.

Was schlagen Sie vor? Ja, sicher, ein Restrisiko bleibt. Aber wir müssen auf den Frieden setzen. Auf Frieden und Vernunft. Die Menschen im Norden, die jungen, die alten - alle wollen Frieden. Dafür haben wir den Friedensvertrag in Algier unterzeichnet. Und das haben die verschiedenen Parteien freiwillig getan. Jetzt muss jeder seinen Teil der Abmachung erfüllen. Es ist kriminell, fast teuflisch, die friedliche Bevölkerung immer wieder mit irgendwelchen neuen Rebellionen konfrontiert wird - denn alle sind deren müde!

Deutschland Berlin DW-Interview mit Ibrahim Boubacar Keita, Präsident Mali
Eric Topona und Dirke Köpp interviewten Präsident Keita in BerlinBild: DW

Im Moment gibt es eine hitzige Debatte um den Franc CFA und die Rolle Frankreichs. Mali hatte sich von 1962 bis 1984 aus der Franc-Zone zurückgezogen. Wie stehen Sie heute zum Franc CFA?

Man kann das natürlich sentimental sehen und wieder dem Kolonialismus den Prozess machen. Aber die meisten CFA-Länder sind seit mehr als 50 Jahren unabhängig. Es ist an uns selbst, zu wissen, was wir wollen und was nicht. Mir fällt jedenfalls auf, dass die Kopplung des Franc CFA an den Euro uns heute international bestimmte Möglichkeiten eröffnet und dass sie uns vor gewissen Versuchungen schützt, zum Beispiel der Notenpresse oder der galoppierenden Inflation, bei der man einen ganzen Sack mitbringen muss, wenn man einen Laib Brot kauft. Davor sind wir mit dem Franc CFA sicher. Jedes Land sollte selbst wissen, was es tut. Nichtsdestotrotz bin ich ein Fan der monetären Souveränität. Ich bin damit nicht allein, denn in der Ecowas sind wir in einem Denkprozess und haben einige Kollegen damit beauftragt, über eine gemeinsame Währung nachzudenken - aber ohne Messer zwischen den Zähnen und in Harmonie mit unseren französischen Freunden. Eines ist sicher: Wenn man zwischen Stabilität und Instabilität wählen muss, entscheidet man sich für Stabilität.

Das Interview führten Eric Topona und Dirke Köpp