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Politik

Malmö im Griff der Bandenkriminalität

Nancy Isenson tl
24. November 2019

Lange galt Schweden als Musterland für Frieden und Sicherheit. Doch in Malmö hat die Bandenkriminalität besorgniserregende Ausmaße angenommen. Regelmäßig erschüttern Bombenexplosionen und Schießereien die Stadt.

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Schweden Explosion in Malmö
Polizisten sperren den Ort einer Bombenexplosion im schwedischen Malmö abBild: Getty Images/AFP/TT News Agency/J. Nilsson

Manchmal hat es fast den Anschein, als läge die 300.000-Einwohner-Stadt Malmö nicht im Süden Schwedens, sondern in einem der Krisengebiete dieser Welt. 29 Bombenexplosionen erschütterten die Stadt alleine in diesem Jahr. Im selben Zeitraum registrierte die Polizei in Malmö und dem näheren Umland 50 Schießereien - und das in einem Land, in dem es extrem schwierig ist, überhaupt legal an Waffen zu kommen.

Malmö blickt auf eine lange Tradition als Industrie- und Hafenstadt zurück. Früher dominierten Containerkräne und Schiffswerften das Stadtbild. Doch mit der Eröffnung der Öresundbrücke im Jahr 2000, die Malmö mit der dänischen Hauptstadt Kopenhagen verbindet, wandelte sich die drittgrößte Stadt Schwedens zu einem Zentrum der modernen Wissensgesellschaft. Eine neu eingerichtete Universität lockt Studenten aus Skandinavien und der ganzen Welt an. Immer mehr internationale Unternehmen haben sich hier angesiedelt, darunter die Computerspielproduzenten Massive Entertainment und King. Malmö ist eine kosmopolitische Stadt geworden: Mittlerweile ist jeder dritte Bürger der Stadt kein gebürtiger Schwede mehr.

Doch jenseits der Hochglanz-Erfolgsstory existiert eben auch diese andere Seite: Erst Anfang der Woche berichtete der schwedische Fernsehsender SVT, dass eine Drogendealerbande einen Lebensmittelhändler dazu gezwungen haben soll, in seinem Laden im Stadtzentrum Drogen zu verstecken.

Die Polizei hat alle Hände voll damit zu tun, die Gewalt einzudämmen, für den sie maßgeblich Drogenbanden verantwortlich macht. Am 9. November wurde bei einer Schießerei vor einer Pizzeria ein 15-jähriger Junge getötet, ein anderer musste schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Polizei erklärte den Fall zu einem nationalen Sonderfall und setzte eigens eine Task Force ein, um der Bandenkriminalität Herr zu werden.

"Das wurde auch höchste Zeit", findet Federico Moreno. Er berichtet seit über zehn Jahren als Lokalreporter für die schwedische Zeitung Kvällsposten. "Jedes Mal, wenn ein Kind erschossen wird, sollte zum Sonderfall deklariert werden, auf den alle reagieren müssen. Es ist wichtig, dass die Polizei hier ein Zeichen setzt. Und dass auch der schwedische Staat zeigt, dass wir hier ein Zeichen setzen müssen."

Oft trifft es Unbeteiligte

Obwohl viele der Täter und Opfer Verbindungen zur Bandenkriminalität haben, gibt es unter den Toten und Verletzten oft auch Unbeteiligte. Die 31-jährige Karolin Hakim etwa wurde im August dieses Jahres auf offener Straße erschossen, während sie ihr Baby in den Armen hielt.

"Ich habe Angst, nach Einbruch der Dunkelheit mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren", sagt Lehrerin Petra Metz, die im Malmöer Stadtteil Fosie Schwedischkurse für Immigranten gibt.

Schweden Polizeiabsperrung nach Mord in Malmö
Die Polizei untersucht ein ausgebranntes Auto in der Nähe des Tatorts, an dem Karolin Hakim erschossen wurde.Bild: Getty Images/AFP/TT News Agency/J. Nilsson

Das Viertel ist berüchtigt für seine hohe Kriminalitätsrate. Hier hat es bereits zahlreiche Schießereien gegeben. Aber die Lehrerin macht sich nicht nur Sorgen um sich selbst, sondern auch um ihre drei Kinder, die zwischen 13 und 18 Jahren alt sind. Im Juni 2018 waren bei einer Schießerei in einem Gaming Café drei unbeteiligte Jugendliche getötet worden. "Wäre das nur einen Monat früher passiert, hätte es meinen Sohn treffen können”, sagt Metz. Er hatte dort zuvor gerne seine Freizeit verbracht.

Metz wollte wegziehen, raus aus Foesie. "Aber meine Kinder hätten alles aufgeben müssen: ihre Freunde, ihre Schule, ihre Freizeitaktivitäten." Dieses Opfer sei ihnen zu hoch. "Und so habe ich den Gedanken wieder verworfen. Bald sind sie alt genug, dann werden sie ausziehen und woanders studieren", sagt Metz. Sie habe aber zahlreiche Freunde mit jüngeren Kindern, die ernsthafter darüber nachdächten, Malmö zu verlassen.

Eine mögliche Alternative wäre Staffanstorp, ungefähr 20 Autominuten von Malmö entfernt. Die dortige Stadtverwaltung veröffentlichte nur Tage nach der Schießerei vor der Pizzeria ein Video, mit dem sie die Einwohner Malmös dazu bewegen will, der Gewalt zu entfliehen und sich ein neues Leben aufzubauen – in einem Ort, "der so sei, wie das restliche Schweden sein müsste." Der Videoclip wurde bisher über 250.000 Mal angeklickt.

Wenn Gewalt alltäglich wird

"Ich liebe Malmö", sagt Federico Moreno. Der Lokaljournalist hatte nie ernsthaft darüber nachgedacht, die Stadt zu verlassen, obwohl er wegen seiner Berichterstattung über die Bandenkriminalität bereits bedroht wurde. Er erzählt, dass er einmal auf einer Reportagereise in Mexiko gewesen sei. "Dort werden die Menschen täglich von Drogenkartellen terrorisiert, und trotzdem schaffen sie es, ihr Alltagsleben weiterzuleben", sagt Moreno.

Schweden Explosion in einem Nachtclub in Malmö
Vor diesem Nachtclub im Stadtzentrum von Malmö explodierte im März 2018 eine BombeBild: Imago Images/TT/J. Nilsson

"Man gewöhnt sich an alles. Manchmal erzählen mir Menschen, dass sie die Zimmer tauschen, sodass die Kinder nach hinten raus schlafen. Sie berichten mir das, als sei es das Normalste auf der Welt: 'Ich verändere ein bisschen was, damit meine Kinder nicht verletzt werden, wenn auf der Straße eine Bombe hochgeht.'" Und nachdenklich fügt er hinzu: "Ich glaube, das Ganze verändert uns alle. Auch wenn wir das im Moment noch nicht realisieren."

Dabei ist die Gewaltkriminalität sogar bereits ein wenig zurückgegangen. Im Jahr 2017 hatte es sogar 58 Bombenexplosionen und 81 Schießereien gegeben. Bis die Stadt ihren Ruf als kriminellste Stadt Schwedens wieder loswird, hat Malmö aber noch einen weiten Weg vor sich.

"Auf der einen Seite ist Malmö eine Katastrophe," sagt Moreno. "Aber es ist auch eine sehr schöne und lebenswerte Stadt. Sie ist wirklich anders als andere schwedische Städte – und das meine ich durchaus auch positiv."