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Mao, Markt und Menschenrechte

7. Oktober 2002

30 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen China und Deutschland

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Chinas Präsident Jiang Zemin und seine Frau Wang Yeping zu Beginn ihres Deutschland-Besuchs am 8. April.Bild: AP

Am 11. Oktober vor 30 Jahren nahmen China und die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen auf. Inzwischen ist Deutschland der größte Handelspartner Chinas in Europa und auch der größte europäische Investor in China. Politisch dagegen gab es im bilateralen Verhältnis auch immer wieder Dissonanzen, die allerdings nach einiger Zeit immer wieder überbrückt werden konnten. Auch hierfür waren oft wirtschaftliche Motive aussschlaggebend. Dennoch umfassen die deutsch-chinesischen Beziehungen auch andere bedeutende Felder wie den Austausch im Kulturbereich und den sogenannten Rechtsstaatsdialog. Hören Sie ein Feature von Matthias von Hein über 30 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und China:

*


1. O-Ton Gerhard Schröder, dt.:

"Wir verfolgen die Entwicklung in ihrem Land als Deutsche mit großer Aufmerksamkeit und mit viel Respekt für das, was in der Zwischenzeit geleistet worden ist. Auch was die chinesisch-deutschen Beziehungen angeht, kann man, glaube ich, davon sprechen, dass sie in sehr sehr guter Verfassung sind."

Fast schon überschwenglich äußerte sich der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder Anfang April dieses Jahres in Berlin gegenüber dem chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin über die positive Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen. Natürlich gehört die positive Würdigung von bilateralen Beziehungen zum diplomatischen Geschäft bei Staatsbesuchen. Doch selbst wenn man die bei solchen Gelegenheiten übliche Übertreibung in Rechnung stellt, bleibt festzuhalten: Die deutsch-chinesischen Beziehungen entwickeln sich zumindest unproblematisch. Und: Sie haben eine beträchtliche Breite erreicht.

Das gilt insbesondere für den Wirtschaftaustausch: Deutschland ist der größte Handelspartner Chinas in Europa und auch größter europäischer Investor in China. China ist zudem der größte Empfänger deutscher Entwicklungshilfe. Und auch auf wissenschaftlicher und kultureller Ebene findet ein intensiver Austausch statt:

Sämtliche bedeutenden deutsche Wissenschaftsorganisationen wie etwa der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Max-Planck-Gesellschaft, oder die deutsche Forschungsgemeinschaft unterhalten umfassende Austauschprogramme mit China. Rund 12.000 chinesische Studenten studieren in Deutschland - umgekehrt allerdings ist das Interesse deutscher Wissenschaftler an Aufenthalten in China eher gering. Dafür leisten die zahllosen deutsch-chinesischen Städtepartnerschaften wertvolle Arbeit bei der Organisation von Ausstellungen und Gastspielen.


Förderlich für die Entwicklung der deutsch-chinesischen Beziehungen war sicherlich, dass sie kaum durch historische Hypotheken belastet sind. Das Bild Deutschlands in China ist nicht geprägt durch die Verbrechen des Nationalsozialismus, sondern vor alle durch die kulturellen, technischen und wirtschaftlichen Leistungen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Deutsche Firmen lieferten noch im 19. Jahrhundert die ersten Lokomotiven Chinas, die erste Zeigertelegraphenanlage, die ersten Strassenbahnen und andere High-Tech-Produkte der damaligen Zeit. Zwar war das deutsche Kaiserreich an der blutigen Niederschlagung des Boxeraufstands 1899 beteiligt. Auch wurde die Abtretung eines deutschen Pachtgebietes in der ostchinesischen Provinz Shandong erzwungen. Doch der deutsche Kolonialismus in China blieb eine kurze Episode: Nach 16 Jahren wurde Qingdao 1914 von den Japanern besetzt.

In den dreißiger Jahren spielten deutsche Militärberater eine wichtige Rolle bei der Modernisierung der chinesischen Armee unter der Regierung des Guomindang (Kuomintang) von General Tschiang Kai-shek. Der Auslöser für den berühmten Langen Marsch, die Umzingelung von Maos Stützpunkt in den Jinggang-Bergen, wurde von deutschen Militärs befehligt. Umgekehrt übten deutsche Kommunisten im Auftrag der von Moskau kontrollierten Kommunistischen Internationale zeitweise großen Einfluss auf die Kommunistische Partei Chinas aus.

Nach der Gründung der Volksrepublik China 1949 wurden die deutsch-chinesischen Beziehungen zunächst durch die Fronten des "Kalten Krieges" bestimmt: Die noch junge DDR nahm noch 1949 diplomatische Beziehungen zur VR China auf; die Bundesrepublik hingegen orientierte sich an Washington. Die USA aber kämpften im Koreakrieg zwischen 1950 und 1953 auch gegen Peking.

Zu einer ersten Annäherung kam es 1957. Damals wurde ein Handelsabkommen zwischen Deutschland und China geschlossen. Allerdings nicht zwischen den Regierungen - die hatten schließlich keine Kontakte - sondern zwischen dem Ostausschuss der deutschen Wirtschaft und der chinesischen Aussenhandelsbehörde CCPIT (China Council for the Promotion of International Trade). Verhandlungsführer auf deutscher Seite war damals der Industrielle Otto Wolff von Amerongen:

2. O-Ton Wolff von Amerongen, dt.:

"Ich bin dorthin gekommen als Vorsitzender des Ostausschusses, der die wirtschaftlichen Interessen zu den kommunistischen Ländern, zu denen wir keine diplomatischen Beziehungen hatten, wahrzunehmen hatte. Nicht in der DDR, sage ich ausdrücklich, sondern die Sowjetunion gehörte ähnlich wie Rumänien, mit dem ich vorher ein Abkommen abgeschlossen hatte, zu diesem Bereich. Und natürlich auch damals die VR China. Wir wollten hier nicht die Handelsbeziehungen, die mal existierten und die sich durch die politischen Veränderungen natürlich total geändert hatten, völlig ins Leere fallen lassen."

Der Wirtschaftsaustausch zwischen beiden Ländern wuchs an - mitunter zum Ärger der USA. So stießen deutsche Pläne zur Lieferung eines Stahlwerkes nach China in der zweiten Hälfte der 60er Jahre auf den erbitterten Widerstand Washingtons. Dort fürchtete man, der mit deutscher Hilfe erzeugte Stahl könnte amerikanischen Soldaten in Vietnam um die Ohren fliegen. Einer über wirtschaftliche Zusammenarbeit hinausgehenden Annäherung waren in jener Zeit ohnehin enge Grenzen gesetzt. Das änderte sich erst, nachdem auch die USA im Frühjahr 1972 Kontakte zu Peking aufnahmen.

Wolfgang Runge hat nicht nur als deutscher Konsul in Guangzhou (Kanton) gearbeitet, als promovierter Historiker hat er sich auch intensiv mit den deutsch-chinesischen Beziehungen befasst - und erläutert:

3. O-Ton Runge, dt.:

"Die Bundesrepublik Deutschland war in der schwierigen Situation, auf die Interessen ihrer wichtigsten Verbündeten Rücksicht nehmen zu müssen. Und dies bedeutete, dass sie ihren Handlungsspielraum nur ausschöpfen konnte in der Gestaltung ihrer Wirtschaftsbeziehungen. Es hat in den USA immer Stirnrunzeln erregt, wenn die BRD ihre Handelsbeziehungen zu China gepflegt hat. Dies ist aber toleriert worden. Die Grenze war ereicht, wo der Versuch gemacht wurde, diplomatische Beziehungen zu errichten. Das war nicht möglich aus zwei Gründen: Einmal wegen der Hallstein-Doktrin, welche die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einem Land, welches die DDR anerkannt hat, verbot. Und zum anderen: Rücksicht auf die Amerikaner, die es als unfreundlichen Akt betrachtet hätten, wenn zu einer Zeit - es war in den 60er Jahren, als der Vietnam-Krieg ausgebrochen war, das war ja ein Stellvertreter Krieg, in den China auch indirekt verwickelt war - wenn damals diplomatische Beziehungen aufgenommen worden wären. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen wurde erst möglich nach der spektakulären Wende in der amerikanischen Aussenpolitik, die sich mit der Reise von Kissinger nach Beijing verbindet und nach dem ersten Besuch eines amerikanischen Präsidenten - von Nixon - im Frühjahr 1972."

Auf dem Höhepunkt der Konfrontation zwischem dem Westen und den Staaten des Warschauer Paktes war die Kontaktaufnahme der USA mit den lange Jahre verteufelten chinesischen Kommunisten unter Mao Zedong einer simplen Logik gefolgt: Der Feind meines Feindes ist mein
Freund. Schließlich hatte der Konflikt zwischen den beiden ehemaligen sozialistischen Bruderstaaten UdSSR und China 1969 am Grenzfluss Ussuri sogar bewaffnete Formen angenommen. In die Freund-Feind-Logik passte auch, daß die ersten Annäherungsversuche der Deutschen von Politikern der damals oppositionellen CDU/CSU unternommen wurden. Die betrachteten die Ostpolitik der damaligen sozial-liberalen Regierung unter Willy Brandt mit ihrer Entspannung gegenüber der Sowjetunion nämlich genauso mißtrauisch wie die chinesische Führung in Peking.

1972 schickte Mao den Journalisten Wang Shu als Korrespondenten der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua nach Bonn. Wang Shus Auftrag war jedoch nicht journalistischer, sondern diplomatischer Art. Er sollte die Möglichkeiten zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen sondieren. Willy Brandt zögerte zunächst. Er wollte seine Entspannungspolitik gegenüber Osteuropa und Russland nicht gefährden. Als sich Wang Shu und der damalige Aussenminister Walter Scheel schließlich doch trafen, war schnell Einigigkeit erzielt, erinnert sich Wang Shu:

4. O-Ton Wang Shu, dt.:

"(Ich habe mich) sofort mit Scheel getroffen, nur 10 Minuten
verhandelt über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen - dann war
alles okay."

Nach der grundsätzlichen Einigung folgten harte Verhandlungen: 40 Tage lang klärte man die Punkte des bilateralen Vertrags. Besondere Probleme bereitete der Status Berlins. Aus Rücksicht auf die DDR sträubte sich China, West-Berlin als Teil der Bundesrepublik anzuerkennen.

Nach der offiziellen Aufnahme diplomatischer Beziehungen am 11. Oktober 1972 folgte noch im gleichen Jahr ein zwischenstaatliches Handelsabkommen. Wenig später wurde eine Vereinbarung über den wissenschaftlich-technologischen Austausch unterzeichnet, die chinesischen Wissenschaftlern den Weg an deutsche Universitäten ebnete. Abgesehen davon entwickelten sich die bilateralen Beziehungen zunächst erst recht zögerlich. In China tobte noch immer die Kulturrevolution, westliche Kultur war verpönt und das Land sollte sich aus eigener Kraft entwickeln, was schwunghafte Wirtschaftsbeziehungen erst einmal nicht aufkommen liess.

Ende der 70er Jahre setzte mit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik Deng Xiaopings eine regelrechte China-Euphorie in der deutschen Wirtschaft ein. Die vorsichtige Öffnung des potentiell größten Marktes der Erde schien fette Aufträge mit ebenso fetten Gewinnen zu versprechen. Als Anfang der achtziger Jahre jedoch eine ganze Reihe von Großprojekten von den Chinesen storniert wurde, setzte Ernüchterung ein. Deutsche Unternehmer mussten lernen, dass sich Chinas Wirtschaft nicht gleichmäßig entwickelt, sondern in schmerzlichen Zyklen von Überhitzung und staatlich verordneter Dämpfung. Trotzdem entwickelten sich Handel und Beziehungen zwischen den beiden Ländern stetig weiter.

Mit Zhao Ziyang besuchte Mitte der 80er Jahre erstmals ein chinesischer Ministerpräsident die Bundesrepublik; anschließend reiste der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl zum Gegenbesuch in das Reich der Mitte. Die Außenminister beider Staaten vereinbarten regelmäßig Konsultationen. Für Wolfgang Runge, waren die 80er Jahre das erste wichtige Jahrzehnt in den deutsch-chinesischen Beziehungen:

5. O-Ton Runge, dt.:

"Eigentlich auf allen Gebieten wurde es jetzt möglich, die Kooperation auszubauen - die Wirtschaftsbeziehungen voran. Damals hat sich in einem Jahrzehnt der chinesisch-deutsche Handel fast verdreifacht. Es wurden Kulturbeziehungen möglich. Zum ersten mal gab es Kooperationsvereinbarungen mit der Humboldt-Stiftung, mit der Max-Planck-Gesellschaft, mit dem DAAD. Und es wurde sogar - wenngleich das erst nach sehr schwierigen und mühevollen Verhandlungen möglich wurde - ein Goethe-Institut eröffnet im Frühjahr 1988 durch Aussenminister Genscher. Es war das erste Kulturinstitut, das das kommunistische China einem westlichen Staat erlaubt hat."

Die geradezu stürmische Entwicklung der bilateralen Beziehungen fand 1989 jedoch zunächst ein jähes Ende, als die chinesische Demokratiebewegung auf dem "Platz des Himmlischen Friedens" in Peking vor den Augen der Weltöffentlichkeit mit Panzern niedergewalzt wurde. Der ehemalige deutsche Konsul in Guangzhou (Kanton), Wolfgang Runge, erinnert sich:

6. O-Ton Runge, dt.:

"Es wurden alle Handelsförderungsmassnahmen, insbesondere die Hermes-Bürgschaften ausgesetzt. Es wurden alle offiziellen Besuche eingefroren. Das heißt: Sie fanden nicht mehr statt. Es hatte ja bis dahin ein sehr reger Besucheraustausch auch auf Ministerebene und Kanzlerebene stattgefunden. Der Kanzler und der chinesische Ministerpräsident waren umschichtig jeweils ein Jahr nach Bonn oder nach Beijing gereist. Es fanden keine dieser Reisen mehr statt. Allerdings eines muss auch gesagt werden: Ein vollständiges Embargo hat damals nicht stattgefunden. Es ist nicht beschlossen worden - weder von der EU, noch von den USA."

Schon 1990 wurde die deutsche Entwicklungshilfe für China wieder aufgenommen. Das Klima jedoch blieb weiter kühl. Erst Ende 1991 reiste mit dem damaligen Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann wieder ein deutsches Kabinettsmitglied nach China. Im März 1992 kam der chinesische Außenminister Qian Qichen nach Deutschland. Er packte seine Gesprächspartner dort, wo es weh tat: am wirtschaftlichen Auftragsvolumen. Achselzuckend erläuterte Qian, die chinesische Regierung habe den Einbruch der deutschen Exporte nach China nicht zu verantworten. Andere Staaten, so fügte er listig hinzu, hätten ihre Exporte nach China sogar noch steigern können. Die Rezession zu Hause und das Wirtschaftswachstum in China vor Augen, verstand die deutsche Regierung die Botschaft: Außenminister Klaus Kinkel verkündete ein halbes Jahr später in Peking die völlige Normalisierung der bilateralen Beziehungen. Die war ursprünglich von deutlichen Verbesserungen der Menschenrechtssituation abhängig gemacht worden, von denen jedoch keine Rede sein konnte.

Im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftsinteressen und Menschenrechtsproblematik entschied sich die deutsche Regierung - wie auch die anderen europäischen Regierungen - für die sogenannte "stille Menschenrechtsdiplomatie". Damit beschränkte man sich auf das Überreichen von Listen mit den Namen politischer Gefangener und der Bitte um ihre Freilassung und auf das Aufbringen des Themas hinter geschlossenen Türen. Das offene Ausfechten von Kontroversen über Menschenrechtsfragen wurde den Amerikanern überlassen.


Im Oktober 1993 legte die Bundesregierung ihr neues "Asien-Konzept" vor. Darin wird Asien als eine Region mit immensen Zukunftschancen beschrieben. Politik und Wirtschaft wurden zu einem verstärkten Engagement in Asien aufgefordert, auch in China. Die deutsche Chinapolitik verengte sich damit weiter auf Handels- und Wirtschaftsförderung. Ihren sichtbarsten Ausdruck fand und findet diese Politik in den umfangreichen Wirtschaftsdelegationen, die jede Kanzlerreise nach China begleiteten. Dabei wird den Vorstandsvorsitzenden von Großkonzernen wie Siemens oder Daimler-Chrysler von chinesischer Seite eine Behandlung gewährt, die mit Bundesministern mindestens gleichrangig ist. Warum das so ist, erläutert Wolfgang von Lingelsheim-Seibecke, im Bundesministerium für Wirtschaft zuständig für den chinesischen Wirtschaftsraum:

7. O-Ton von Lingelsheim-Seibecke, dt.:

"Chinas Wirtschaftsordnung wird nach wie vor sehr stark vom Staat bestimmt und gelenkt. China bekennt sich zum Prinzip der Investitionslenkung. Also die Regierung glaubt noch immer, zu wissen, welche Investitionen für dieses Land in welcher Größe und an welcher Stelle wichtig sind. Das heißt: Es ist für die Industrie aus aller Welt - aber eben auch aus Deutschland -, wichtig, gute Kontakte zu den Behörden zu haben, die diese
Entscheidungen treffen. Es gehört zum chinesischen Staatsverständnis, dass Regierungen hauptsächlich mit Regierungen reden. Und deshalb erfüllt die Bundesregierung - obwohl sie ja kein Unternehmen ist oder privat wirtschaftet - die Funktion eines Türöffners und eines Wegbereiters für wichtige Geschäfte."

Gestört wurden die deutsch-chinesischen Geschäfte nur selten. In Erinnerung bleibt die chinesische Verärgerung nach der Verabschiedung einer china-kritischen Tibet-Resolution 1996 durch den deutschen Bundestag. Zuvor hatte der damalige chinesische Ministerpräsident Li Peng während einer Europareise bereits gewarnt, China mache lieber mit solchen Partnern Geschäfte, die sich politischer Einflussnahme enthielten. Zwar bleiben die tatsächlichen chinesischen Sanktionen hinter den Ankündigungen zurück. Doch reichte die Drohung mit dem Ausschluss vom verheißungsvollen chinesischen Markt für gewöhnlich aus, um die europäischen Regierungen - und eben auch die deutsche - im Sinne Pekings zu disziplinieren.

Ein tiefer Einschnitt war die Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad durch die NATO während des Kosovo-Krieges im Frühjahr 1999. Die chinesische Führung interpretierte dies als absichtlichen "verbrecherischen Angriff der von den USA geführten NATO". Es war der deutsche Bundeskanzler, der sich in Peking für den Zwischenfall entschuldigte - während einer auf einen Tag verkürzten China-Reise, die zufällig in die Zeit unmittelbar nach der Bombardierung fiel.

Nach seiner sicherlich schwersten Begegnung mit der chinesischen Führung sagte Schröder vor der Presse:

8. O-Ton Schröder, dt.:

"Ich glaube, dass man hier in der chinesischen Führung verstanden hat, dass es mir ernst ist, sehr ernst mit dem geäußerten Mitgefühl - und dass es nicht bei dem Mitgefühl bleiben kann. Sondern dass man ohne Wenn und Aber sich für den Vorfall in der Botschaft in Belgrad zu entschuldigen hat. Das habe ich getan. Nicht nur für die deutsche Regierung, die Teil der NATO ist und deshalb auch ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen hat. Sondern nach meinem gestrigen Gespräch mit dem NATO-Generalsekretär ausdrücklich auch in seinem Namen."

Das Gerhard Schröder sich für die NATO in Peking entschuldigt hat, zeigt, dass die deutsch-chinesischen Beziehungen nicht ausschließlich um Wirtschaftsfragen kreisen. Tatsächlich gibt es eine Besonderheit im deutsch-chinesischen Verhältnis: China will in vielfacher Hinsicht von Deutschland lernen. Da geht es neben Wissenschaft und Technik um den Aufbau von Sozialsystemen, um
Umweltschutz und sogar um Rechtskultur. China ist seit Jahren der größte Empfänger deutscher Entwicklungshilfe. Aber das Profil der Entwicklungshilfe hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Deutsche Helfer arbeiten jetzt nicht mehr in ländlichen Regionen an Dorfentwicklungs-Programmen oder Projekten zur Einführung von Regenwasser-Sammelsystemen. Sie arbeiten jetzt überwiegend in Peking und versuchen über die Beratung der Politik einen Beitrag zur
Armutsbekämpfung und nachhaltigen Entwicklung des Landes zu leisten.

Das spannendste Feld deutsch-chinesischer Zusammenarbeit ist sicher der sogenannte Rechtsstaatsdialog.

Ex-Konsul Runge kennt den Hintergrund:

9. O-Ton Runge, dt.:

"Der Rechtstaatsdialog hat eine längere Vorgeschichte und er ist konzeptionell schon Mitte der 90er Jahre erdacht worden. Umgesetzt worden ist er erst 1997/98 mit den ersten Projekten und im Jahr 2000 mit einer Regierungsvereinbarung, die einen Gesamtrahmen geschaffen hat. Ausschlaggebend und maßgebend ist die Überlegung, dass man die Durchsetzung der Menschenrechte vom Gedanken des Rechtstaates nicht trennen kann, dass Rechtstaatlichkeit ein Mittel ist um die Geltung der Menschenrechte durchzusetzen - und dass dies auszugehen hat von den Rechtsbeziehungen des Einzelnen zum Staat. Und deshalb: Die Projekte, die im Rahmen des Rechtsstaatsdialogs vereinbart worden sind, die Ansprüche des einzelnen gegenüber der Verwaltung, die Reform des Strafrechtes, die Reform der Richterausbildung - dies alles sind ganz praktische Dinge, die von Praktikern im Rahmen von Seminaren und Studienaufenthalten beschlossen und durchgeführt werden. Eine Sache um die China selbst gebeten hat. Ministerpräsident Zhu Rongji hat ausdrücklich erklärt, China sei bereit, auf dem Gebiete des Rechts von Deutschland zu lernen - und dies hat ja auch eine alte Tradition. Denn deutsches Recht ist teils direkt, teils auf dem Umweg über Japan schon seit den 20er Jahren in China rezipiert worden. Man sollte diese Erklärung von Zhu Rongji nicht einfach als Rethorik abtun."

Mit keinem anderen Land der Welt hat China einen solch weitreichenden Dialog begonnen. Durch dieses Abkommen werden keine politischen Gefangenen befreit noch wird die Kommunistische Partei ihren Anspruch auf Alleinherrschaft aufgeben oder die Verfolgung von religiösen Minderheiten wie etwa der Falun-Gong-Sekte einstellen. Dies veranlasst deutsche Menschenrechtsorganisationen auch dazu, den Rechtsstaatsdialog als Feigenblatt zu kritisieren, hinter dem die deutsche Regierung ihren mangelnden Einsatz für die Menschenrechte in China verberge. Aber klare Normen und Vorschriften schaffen nicht nur ein besseres Umfeld für die Wirtschaft. Einklagbare Rechte bieten auch Schutz vor der Willkür der Kader und könnten die Basis für eine neue politische Kultur werden. Deutschland will China dabei helfen.

Allerdings ist noch ein langer Weg zurückzulegen. Das wird auch aus den Worten von Justizminister Zhang Fusen deutlich. Auf einem rechtspolitischen Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung im April diesen Jahres betonte er bei allem Lob für den Rechtsstaatsdialog auch die sogenannten chinesischen Besonderheiten:

10. O-Ton Zhang, chines. frei:

"Das Rechtsregieren ist die gemeinsame Frucht der menschlichen Zivilisation. Chinas Demokratie und Rechtsordnung müssen sowohl auf seiner Besonderheit basieren und die eigene gute Tradition weiter
entwickeln, als auch die Erfolgserfahrungen aller modernen Rechtsstaaten der Welt - einschließlich Deutschland - als Beispiel nehmen und sich daran orientieren. Mit Freude stelle ich fest, dass der Austausch im Justiz- und Rechtsbereich zwischen China und Deutschland dank gemeinsamer Anstrengungen schon einen guten Anfang gemacht hat und über eine solide Grundlage verfügt. Der
Rechtsaustausch zwischen China und anderen Ländern hat auch Fortschritte aufzuweisen. Wir sind bereit, nach dem Prinzip des gegenseitigen Respekts, der Gleichberechtigung und der Suche nach Gemeinsamkeiten den Justizaustausch und die Zusammenarbeit mit anderen Ländern zu intensivieren."