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"Der UEFA fehlt der Mut"

Daniel Martinez3. Juli 2015

Nach dem Wirbel rund um den FIFA-Kongress und dem angekündigten Rücktritt von Joseph Blatter ist es ruhiger um den Weltverband geworden. Das war aber noch nicht alles, sagt US-Experte Andrei Markovits im DW-Interview.

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Professor Andrei Markovits. Foto: dpa-pa
Bild: picture-alliance/akg-images/B. Meya

DW: Herr Professor Markovits, nach den Verhaftungen vor einem Monat in Zürich scheint sich die Lage um die FIFA beruhigt zu haben. Waren wirklich nur die verhafteten Funktionäre der CONMEBOL [südamerikanischer Fußballverband, Anm. der Red.] und der CONCACAF [Verband der Karibik, Nord-und Mittelamerikas] korrupt?

Andrei Markovits: In der FIFA sind alle korrupt! Allein der Aufbau der FIFA führt zu Korruption. Ihre Monopolstellung im Fußball lädt die Funktionäre regelrecht dazu ein, korrupt zu sein. Ich bin mir sicher, dass es noch nicht vorbei ist: Die Ermittlungen haben gerade erst begonnen, und es folgen zweifelsfrei noch andere Enthüllungen und Verhaftungen.

Währenddessen bleibt im Fußball alles wie gehabt. Warum?

Der Fußball ist mehr als nur ein Sport, er ist ein Weltkulturerbe. Es ist vollkommen egal, was die FIFA macht oder wie korrupt sie als Organisation ist, denn die Menschen werden das Spiel weiterhin lieben, sich weiterhin für all das, was auf dem Fußballplatz vor sich geht, begeistern und weiterhin die Spieler bewundern. Dieser Umstand, also die Liebe des Fans zum Fußball, erlaubt es der FIFA, korrupt zu sein.

Polizei vor der CONCACAF-Zentrale in Miami. Foto: dpa-pa
Polizei vor der CONCACAF-Zentrale in MiamiBild: picture-alliance/epa/C. Herrera

Also tragen die Fans eine Mitschuld, dass das System so korrupt ist?

Nur entfernt. Die Fans lieben den Sport und tolerieren alles, was außerhalb des Spielfeldes passiert, weil sie am Spiel interessiert sind - nicht am Geschäft.

Ist der Fußball nicht in erster Linie ein Geschäft?

Sicherlich, aber was den Fan bewegt, ist, ob seine Mannschaft am Ende gewinnt oder verliert. Und sie alle wollen gewinnen. Da brauchen wir uns nur den Fall Arturo Vidal bei der Copa América ansehen. Jeder beliebige Bürger würde im Gefängnis landen, wenn er alkoholisiert Auto fährt. Aber für Chile ist dieser Spieler eine Chance, das Turnier zu gewinnen, also wird er anders behandelt. Im Fußball gibt es eine Doppelmoral.

Autounfall Arturo Vidal. Foto: Reuters
Vidals Alkoholfahrt endet im GrabenBild: Reuters/F. Fredes/Agencia Uno

Sollten die Fans dann nicht Verantwortung in diesem System übernehmen?

Vielleicht ja. Wenn wir ehrlich sind, könnten Sie doch immer, wenn ich mir ein Fußballspiel ansehe, mit dem Finger auf mich zeigen und sagen, dass ich korrupt bin. Aber was macht das schon? Ich, genauso wie alle anderen Fans auch, werde weiterhin Fußball gucken und mich an dem Sport erfreuen, der mir so sehr gefällt. Und das, obwohl ich damit Korruption hervorrufe.

Legitimieren die Fans damit nicht die Korruption innerhalb der FIFA?

Die Korruption ist das Ergebnis davon, dass es keine Alternative zur FIFA gibt, deren Macht größtenteils auf der Bedeutung der Nationalmannschaften beruht. An dem Tag, an dem Stars wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo sagen, dass es ihnen reicht, für ihren Club zu spielen und sie nicht länger für ihr Land antreten werden, wird die FIFA ihre Monopolstellung verlieren und neue Spielregeln akzeptieren müssen.

Deutschland hat einen Zehn-Punkte-Plan zur FIFA-Reform vorgelegt. Wie finden Sie die Ideen?

Der Plan beinhaltet fast alle Punkte, die nötig sind, um die Korruption zu beenden: Transparenz, begrenzte Amtszeiten für Präsidenten und Funktionäre, die Etablierung von Integritätsprüfungen, die Kontrolle der Geldflüsse, usw. Doch trotz alledem gibt es auch andere Aspekte innerhalb des Vorschlags, die auf Widerstand stoßen werden: Zum Beispiel die Auflösung des Prinzips "Ein Land, eine Stimme". Die Deutschen haben Recht, dass dieser Mechanismus nicht die Machtverhältnisse im Fußball reflektiert, aber er erhält das korrupte System der FIFA aufrecht.

DFB-Präsident Niersbach und UEFA-Chef Platini. Foto: dpa-pa
DFB-Präsident Niersbach und UEFA-Chef PlatiniBild: picture-alliance/dpa/J. Wolf

Hat sich Deutschland zu viel vorgenommen?

Deutschland allein kann diese vielen Änderungen nicht durchsetzen, die in der FIFA nötig sind. Die Deutschen müssen die Unterstützung anderer starker Verbände, wie dem englischen, oder einflussreicher Verbände, wie dem südamerikanischen, suchen. Mit solchen Bündnissen und Verhandlungen ist es möglich, die Reform voranzubringen.

Und wenn die Initiativen zu einer FIFA-Reform scheitern?

Dann könnte die UEFA sich unabhängig machen. Letzten Endes gibt es in Europa die besten Fußballligen und das beste Geschäftsmodell. Dort spielen die erfolgreichsten Spieler der ganzen Welt, und dort funktioniert der Fußball. Trotzdem glaube ich nicht, dass die UEFA so weit gehen würde. Die Trennung von der FIFA wäre ein zu drastischer Schritt für Europa. Die Macht hätte Europa allemal, aber es fehlt der Mut.

Was wird derweil aus dem Fußball?

Nichts! Fußball wird in Stadien gespielt, das hat nichts damit zu tun, was in den Büros vor sich geht. Die Zuschauer werden weiterhin zu den Spielen gehen, die Fans weiterhin ihre Mannschaften anfeuern. Was aus der FIFA wird, wird keinerlei Auswirkungen auf den Konsum des Fußballs haben. Die Fans werden mit jedem Tor leiden oder sich daran erfreuen, völlig unabhängig von der Ehrlichkeit oder der Korruption der Funktionäre.

Professor Andrei Markovits ist Politiker und Soziologe an der Universität von Michigan. Der 66 Jahre alte US-Amerikaner forscht und publiziert auch zu Themen des Sports, insbesondere des Fußballs.

Das Interview führte Daniel Martinez