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PolitikPolen

Einschüchterungskampagne gegen polnische Medien

15. Januar 2023

Einem TV-Sender droht Strafe, weil er Lügen von PiS-Politikern enthüllte. Die Regierung will Polens liberale Zeitungen einschüchtern. Kritiker sehen darin eine SLAPP-Kampagne vor den kommenden Parlamentswahlen.

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Polen, Krakau | Protest für freie Medien
Protest in Krakau für freie Medien - hier bei einer Demonstration im Dezember 2021Bild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Der politische Druck gehört zum Alltag der Medien in Polen. Am Pranger steht jetzt wieder der private Fernsehsender TVN. Er ist der nationalkonservativen Regierung der PiS (Recht und Gerechtigkeit) seit Jahren ein Dorn im Auge. In einer Dokumentation vom September 2022 enthüllte der Sender Manipulationen von Ex-Verteidigungsminister Antoni Macierewicz (PiS) während der Arbeit in dem von ihm geleiteten parlamentarischen Unterausschuss für die Untersuchung der Flugzeugkatastrophe von 2010 im russischen Smolensk. Damals war eine Maschine mit 96 Insassen an Bord beim Landeanflug in dichtem Nebel abgestürzt. Alle Passagiere, darunter der damalige polnische Präsident Lech Kaczynski, seine Frau und hochrangige Politiker und Beamte, kamen ums Leben. 

Trümmerteil des Flugzeuges und Löschkräfte
Bei dem Flugzeugabsturz am 10.04.2010 kamen alle Passagiere ums LebenBild: AP

Macierewicz vertrat von Anfang an die These von einem russischen Attentat auf die polnische Elite. Und dies, obwohl eine Regierungsuntersuchung im Sommer 2011 ergab, dass der Absturz auf menschliches Versagen und schlechte Wetterbedingungen zurückzuführen war und dass "Dritte" nicht beteiligt waren. Antoni Macierewicz will jedoch mit seinem parlamentarischen Untersuchungsausschuss das Gegenteil beweisen. Die Theorie vom russischen Komplott ist für die Anhänger der jetzigen Regierung zu einem Glaubenssatz geworden. Auch der PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, der Zwillingsbruder des verunglückten Präsidenten, wiederholt den Vorwurf immer wieder.

Antoni Macierewicz
Der ehemalige Verteidigungsminister Antoni MacierewiczBild: Radek Pietruszka/PAP/picture alliance

In seiner Doku über den Fall griff der TVN-Reporter Piotr Swierczek auf Aufzeichnungen, Fotos und internationale Expertenberichte über die Smolensk-Katastrophe zurück. Sie waren zwar von Macierewiczs Untersuchungsausschuss in Auftrag gegeben worden, aber nie in dessen Berichte, inklusive den Abschlussbericht, aufgenommen worden. Diese Materialien schließen ein Attentat völlig aus. Auch einige Ausschussmitglieder sagen in der Doku aus, dass ihre eigenen Recherchen manipuliert oder selektiv im Sinne der vorgefassten Thesen Macierewiczs verwendet wurden.

Jahrelanger Druck auf TVN

Nun lässt der Nationale Rundfunkrat auf Anfrage Macierewiczs untersuchen, ob die Reportage durch "eine mögliche Verbreitung falscher Informationen und Aktivitäten, die den nationalen Interessen Polens zuwiderlaufen und die öffentliche Sicherheit gefährden", nicht etwa gegen das polnische Mediengesetz verstoßen hat. Die Untersuchung könnte zu hohen Geldstrafen und sogar zum Entzug der Sendelizenz von TVN führen, die im Jahr 2024 ausläuft.

Blick auf die aufgeschlagene Zeitung
"Wir verteidigen freie Medien" - die liberale Zeitung Gazeta Wyborcza Bild: Aleksander Kalka/ZUMAPRESS/picture alliance

Schon 2021 drohte dem Sender der Lizenzentzug, als die PiS mit einem neuen Gesetz das ausländische Kapital in den polnischen Medien reduzieren wollte. Letztendlich kam es nicht dazu, auch weil sich Polens Regierung nicht mit dem Verbündeten USA anlegen wollte. Schon 2018 hatte sich die damalige US-Botschafterin in Warschau in die polnische Debatte eingeschaltet und Sorge über die von der PiS geplante "Re-Polonisierung" der Medien ausgedrückt.

Die Medien als Zielscheibe im Wahlkampf

Unterdessen hat im Rahmen der "Re-Polonisierung" der polnischen Medien der Ölkonzern Orlen der deutschen "Verlagsgruppe Passau" den Lokalmedien-Verlag "Polska Press" abgekauft. Der polnische Staat ist der größte Anteileigner an Orlen. Damit bekam die Regierung praktisch die Kontrolle über 20 von 24 Lokalzeitungen, 120 regionale Wochenzeitschriften und 500 Online-Portale. Für Medien, die sich nicht "re-polonisieren" lassen, auch weil sie keine ausländischen Eigentümer haben, hat die PiS andere Methoden. Die Behörden dürfen die entsprechenden Zeitungen weder abonnieren noch darin Anzeigen schalten, was vor allem für lokale Medien schwere finanzielle Folgen hat.

Vor der kommenden Parlamentswahl im Herbst, durch die sich die PiS die dritte Legislaturperiode in Folge sichern will, mehren sich auch juristische Attacken auf regierungskritische Medien.

Bartosz Wielinski
Bartosz Wielinski, polnischer Journalist, stellvertretender Chefredakteur der Gazeta Wyborcza in WarschauBild: Mateusz Skwarczek/Gazeta Wyborcza

Gegen die liberale Gazeta Wyborcza laufen derzeit über hundert Klagen vor verschiedenen Gerichten, die vor allem von Regierungspolitikern und Mitgliedern staatlich kontrollierter Firmen angestrengt wurden. "Es sind meistens völlig unbegründete Vorwürfe gegen unsere Artikel. Klagen werden auch dann formuliert, wenn sie keine Aussicht auf Erfolg haben", sagt der stellvertretende Chefredakteur der Gazeta Wyborcza, Bartosz Wielinski, der DW.

Die Einschüchterungsversuche werden immer häufiger

"Wenn man zum Beispiel einen Artikel über den Chef des PiS-nahen Ölkonzerns Orlen schreibt, kann man sofort davon ausgehen, dass bald Post von den Konzernjuristen eintrifft", so der Journalist. Zuerst kämen Drohungen und vorgerichtliche Vorladungen. "Und wenn man sie ignoriert und oft absurde und völlig falsche Einwände gegen seinen Text nicht berücksichtigt, dann bekommt man massenweise irgendwelche Unterlagen von der Rechtskanzlei, mit denen man sich auseinandersetzen muss."

Es gehe nicht darum, einen Prozess zu gewinnen, sondern darum, "den Gegner durch den Kampf zu fesseln". Wenn der angegriffene Journalist die juristischen Schreiben ständig beantworten und zu vorgerichtlichen Terminen erscheinen würde, könnte er seiner Arbeit nicht mehr nachgehen. Und die Kapazitäten der Zeitungsjuristen wären auch irgendwann am Ende - so sei die Hoffnung der Kläger. "Es ist eine typische SLAPP-Kampagne", sagt Wielinski.

Strategische Klagen als Einschüchterung

Die Abkürzung SLAPP steht für das  englische "Strategic lawsuit against public participation", auf Deutsch: Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Ihr Ziel ist es, Journalisten oder Aktivisten einzuschüchtern. Durch lange Prozesse sollen sie mürbe gemacht werden. Klagen werden oft auch dann eingereicht, wenn klar ist, dass sie keine Chance auf Erfolg haben.

Staatliche Medien als Propagandainstrument

Der Hetzkampagne gegen unabhängige Medien schließt sich der staatliche Fernsehsender TVP an. Bartosz Wielinski von Gazeta Wyborcza wurde auch persönlich angegriffen. Zwei TVP-Moderatoren nannten ihn einen "Volksdeutschen", was ihn als antipolnischen Journalisten diffamieren sollte. Anders als im Falle der kritischen TVN-Dokumentation werden solche Aktionen des staatlichen Senders vom Nationalen Rundfunkrat toleriert.

Im Wahlkampf will die PiS das Staatsfernsehen und den Staatsrundfunk, die dieses Jahr umgerechnet 600 Millionen Euro von der Regierung bekommen, noch mehr stärken. Laut neuestem Gesetzentwurf sollen zum Beispiel die Betreiber von Bezahlfernsehen verpflichtet werden, alle fünf Kanäle des staatlichen Fernsehsenders anzubieten. Alle anderen bisherigen Pflichtkanäle, darunter TVN, werden von der obligatorischen Liste gestrichen.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau