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Protokolle des Machtmissbrauchs

Boris Georgievski4. März 2015

Ein beispielloser Abhörskandal erschüttert Mazedonien. Der Opposition zufolge zeigen die Mitschnitte, wie die konservative Regierung Institutionen und Medien politisch kontrolliert.

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Journalisten-Proteste in Skopje Mazedonien (Foto: DW)
Bild: DW/K. Blazevska

Zahlreiche Journalisten versammelten sich unlängst im Hauptquartier der größten Oppositionspartei Mazedoniens. Sie waren persönlich eingeladen worden, um bei den Sozialdemokraten Ordner abzuholen, die Mitschriften von Telefongesprächen enthielten, die sie in den vergangenen Jahren geführt hatten.

"Mehr als hundert mazedonische Journalisten wurden in den vergangenen Jahren abgehört", verkündete Zoran Zaev, Chef der sozialdemokratischen Partei (SDSM). "Diese Gespräche zeigen die Verbindungen zwischen dem Premierminister, der Geheimpolizei und den Medien." Es war bereits das vierte Mal, dass die SDSM solche Dokumente veröffentlichte. Der Oppositionsführer Zaev behauptet, es gebe Beweise, dass mehr als 20.000 der rund zwei Millionen Bürger abgehört worden seien - als Teil eines Systems, das Premierminister Nikola Gruevski, sein Cousin und Geheimdienstchef Saso Mijalkov und einige andere enge Vertraute aufgebaut hätten.

Zoran Zaev (Foto: Petr Stojanovski)
Der Sozialdemokrat Zoran Zaev erhebt schwere VorwürfeBild: Petr Stojanovski

"Das Spiel ist zu groß für ihn"

In den vergangenen Wochen veröffentlichte Zaev eine Serie abgehörter Gespräche zwischen Ministern, dem Chef der Geheimpolizei, dem Generalstaatsanwalt, Journalisten und Medienmagnaten, die zeigen sollen, dass Justiz, Medien und andere Institutionen politisch kontrolliert werden.

Die Regierung hat die Existenz und die Echtheit der Mitschnitte nicht bestritten. Stattdessen antwortete sie mit einer Gegenbehauptung: Der konservative Premierminister Gruevski erklärte, die Abhöraktion sei von einem nicht identifizierten "ausländischen Geheimdienst" angeordnet worden - in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Geheimdienstchef, der zusammen mit fünf Geheimdienstmitarbeitern wegen des Vorwurfs der Spionage in Haft sitzt. Zaev sei "nur ein Instrument", sagte Gruevski. "Das Spiel ist groß, zu groß für ihn."

Saso Mijalkov und Nikola Gruevski (Foto: DW)
Premierminister Nikola Gruevski (r.) mit Geheimdienstchef Saso MijalkovBild: DW/P. Stojanov

Die Polizei beschuldigt Zaev, einen Putsch vorbereitet zu haben, hat ihn aber nicht festgenommen, sondern ihm lediglich untersagt, das Land zu verlassen. Zaev erklärte unterdessen, er habe die Mitschnitte von "Patrioten" erhalten, die für Mazedoniens Geheimdienst arbeiteten und es nicht mehr hätten "mit ansehen" können.

Illegale Kredite, angekündigte Haftstrafen

Ein Gespräch aus dem Jahr 2012 soll belegen, dass Premier Gruevski den Finanzminister damals anwies, illegal 700 Millionen Euro an Krediten im Ausland aufzunehmen, um einen Finanzkollaps des Balkanlandes zu vermeiden. In einer anderen Unterredung sollen Geheimdienstchef Mijalkov und der Chefredakteur des größten Fernsehsenders die Berichterstattung über die Verhaftung des Oppositionspolitikers und ehemaligen Innenministers Ljube Bososki absprechen. "Ich habe ja gesagt, dass ich am Montag (6. Juni 2011) anfangen würde, Leute zu verhaften", soll Mijalkov darin sagen und hinzufügen, dass Bososki für acht Jahre ins Gefängnis müsse. Bososki wurde später zu sieben Jahren verurteilt.

Premierminister Gruevski und seine Partei "Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation - Demokratische Partei für Mazedonische Nationale Einheit" (VMRO-DPMNE) ist seit 2006 an der Macht. Internationale Organisationen bescheinigen dem Land seither einen rapiden Verfall der demokratischen Standards und einen Rückgang der Pressefreiheit. "Die herrschende Partei toleriert keine abweichenden Meinungen und benutzt Angst und Einschüchterung, um ihre repressive Herrschaft über die Gesellschaft auszuüben", schieb kürzlich auch Erwan Fouéré, bis 2011 EU-Sonderbotschafter in der Hauptstadt Skopje

Demonstration gegen die Regierung Ende Februar in Skopje (Foto: DW)
Demonstration gegen die Regierung in SkopjeBild: DW/K. Blazevska

Die ehemalige jugoslawische Teilrepublik ist seit 2005 EU-Beitrittskandidat. Bislang finden jedoch keine Beitrittsverhandlungen statt, denn unter anderem verhindert Griechenland eine Annäherung. Im Jahr 2008 blockierte Griechenland zudem die Möglichkeit einer NATO-Mitgliedschaft, da der Name Mazedonien territoriale Ansprüche auf eine nordgriechische Region desselben Namens impliziere.

Gruevskis Regierung hat seit 2008 ihren proeuropäischen Kurs praktisch verlassen; seither bestimmen Nationalismus und die Einschüchterung von Regierungsgegnern das Bild. Funktionäre von Oppositionsparteien wurden inhaftiert und kritische Medien an den Rand gedrängt oder geschlossen. Bislang waren die Reaktionen der EU und des Westens verhalten. Dies ändert sich seit Beginn des Abhörskandals: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte vergangene Woche ein Treffen mit Gruevski ab und der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn äußerte "ernste Besorgnis" angesichts der politischen Entwicklungen in Mazedonien.