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Buddhisten-Zentrum lehrt Achtsamkeit

Stefan Dege2. August 2013

Früher Menschenversuche, heute Geh-Meditation. Ein ehemaliges Krankenhaus bei Köln hat sich in einen spirituellen Ort verwandelt. Buddhistische Mönche in einer rheinischen Kleinstadt - geht das?

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Europäisches Institut für angewandten Buddhismus in Waldbröl, Juli 2013; Copyright: DW/Stefan Dege
Bild: DW/S. Dege

Kahlgeschoren sind sie, barfuß und in braune Kutten gehüllt. Konzentriert und bedächtig schreiten Mönche und Nonnen durch das Zelt, das so ausladend ist, dass es einen Dorfplatz ausfüllen könnte. Sie besteigen eine knieehohe, blumengeschmückte Holztribüne. Gut 500 Augenpaare sind auf sie gerichtet. Männer und Frauen, zahlende Seminarteilnehmer, bevölkern den Fußboden, hocken auf mitgebrachten Campingmatten und heben die Hände vor die Brust zur Demutsgeste. Gleich erscheint der Meister. Zeit für Meditation im "Europäischen Institut für angewandten Buddhismus" (EIAB) in Waldbröl, einer oberbergischen Kleinstadt, eine knappe Autostunde von Köln entfernt.

Früher Krankenhaus, heute Meditationszentrum

Ein spiritueller Ort, könnte man meinen, sieht anders aus: Schmucklos, streng gegliedert, viergeschossig erhebt sich hinter dem Zelt das langgestreckte, weißgekalkte Gebäude - ein ehemaliges Krankenhaus aus der Kaiserzeit. Die Nationalsozialisten sollen hier Menschenversuche unternommen haben, bevor sie es im Zweiten Weltkrieg als Lazarett nutzten. Danach wurde es Krankenhaus. Später zog die Bundeswehr ein.

Europäisches Institut für angewandten Buddhismus in Waldbröl, Juli 2013; Copyright: DW/Stefan Dege
Früher Krankenhaus, heute buddhistisches Zentrum: das EIAB in WaldbrölBild: DW/S. Dege

"Als wir herkamen", sagt Abt Phap An, "wussten wir nichts über diesen Ort." Phap An ist Direktor des Buddhistischen Zentrums, seit der vietnamesische Orden vor zehn Jahren den vom Verfall bedrohten Gebäudekomplex für einen symbolischen Betrag kaufte und wieder aufpäppelte. "Die wechselvolle Geschichte dieses Ortes gibt uns Energie." Bevor er Anfang der 1990er-Jahre als Mönch ordiniert wurde, arbeitete Phap An in den USA als hochgelobter Forscher für eine texanische Öl-Firma und am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Anfangs hätten die Waldbröler ihre neuen Nachbarn skeptisch beäugt, erinnert sich der Abt. Auch das ist inzwischen Geschichte.

Europäisches Institut für angewandten Buddhismus in Waldbröl, Juli 2013; Copyright: DW/S. Dege
Sinnsuche mit Klampfe: Seminarteilnehmer singen gemeinsamBild: DW/S. Dege

Lehrmeister Thich Nhat Hanh

Rund 50 Mönche und Nonnen leben ständig hier, Anhänger des 1966 aus Vietnam verbannten Lehrmeisters Thich Nhat Hanh. Der hochbetagte Mönch und Autor zählt neben dem Dalai Lama zu den bekanntesten zeitgenössischen Buddhisten. Seinem Orden gehören rund 700 Ordinierte und Zehntausende Laien an. Er ist Autor von rund 80 Büchern, darunter "Innerer Friede, äußerer Friede", "Lebendiger Buddha, lebendiger Christus" und "Das Wunder der Achtsamkeit". Das "Europäische Institut für angewandten Buddhismus" (EIAB) in Waldbröl ist das jüngste Projekt des Meisters.

Die Mittagssonne brennt herunter. Im Zelt steht die Luft. Ein asiatisch anmutender Gong ertönt. Nonnen und Mönche stimmen einen monotonen Singsang an. Endlich betritt ein kahlrasierter älterer Herr die Bühne. Er strahlt Würde aus. Er spricht leise, haucht die Worte, die sich zu einfachen Botschaften formen: "Glück und Leiden", verkündet er, "sind zwei Seiten des gleichen Papiers – keine existiert ohne die andere." Tich Nhat Hanh doziert auch über Liebe, deren wichtigster Bestandteil das Mitgefühl sei. Die Zuhörer kleben an seinen Lippen. Manche halten die Augen geschlossen. Andere nicken wiederholt. Die Botschaft kommt an.

Europäisches Institut für angewandten Buddhismus in Waldbröl, Juli 2013; Copyright: DW/Stefan Dege
Runter mit dem AlltagssStress: Abwaschszene im buddhistischen SeminarBild: DW/S. Dege

Bibliothekarin auf Sinnsuche

Im Publikum sitzt auch Schwester Ingrid. Früher war sie Bibliothekarin. Dann ging sie auf Sinnsuche, lebte eine Weile in Kanada, bevor sie zu Tich Nhat Hanhs Orden fand. Seit fünf Jahren lebt sie als Ordensfrau in Waldbröl. "Der Mahajana Buddhismus", erklärt sie, "steht für das Prinzip der Achtsamkeit."

Auf den Moment konzentrieren, Brüderlichkeit leben – darum geht es den Buddhisten von Waldbröl. In Geh-Meditationen nehmen sie sich den eigenen Körper vor. "Atmen. Gehen. An nichts denken, einfach nur da sein", so Schwester Ingrid, "das ist uns ständige Übung." Ihr Zentrum in Waldbröl hält die Nonne - wegen seiner Geschichte - für einen bedrückenden Ort. "Aber stolz macht es mich, dass wir ihn mit spirituellem Leben füllen und so zu einem guten Ort transformieren!"

Europäisches Institut für angewandten Buddhismus in Waldbröl, Juli 2013; Copyright: DW/Stefan Dege
Meditieren - aber bitte ohne SchuheBild: DW/S. Dege

Ein guter Ort ist das, was Mario Beckel gut gebrauchen kann. Der 45jährige Sozialarbeiter ist aus Köln angereist und möchte zu sich selbst finden. So meldete er sich zu dem Retreat des Tich Nhat Han-Ordens in Waldbröl an, also einem spirituellen Rückzug zur Ruhe, um zu meditieren. "Hier herrscht so eine friedliche Stimmung", sagt er, "das tut mir gut nach all dem Stress im Job." Er streift die Schuhe ab und stellt sie neben den Zelteingang. Von drinnen, wo es heiß ist, hebt wieder Mönchsgesang an.