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KonflikteUkraine

Mehr als 50 Tote durch russischen Angriff in Charkiw-Region

5. Oktober 2023

Bei einer russischen Attacke werden ein Lebensmittelgeschäft und ein Café nahe Kupjansk getroffen. Selenskyj warnt vor einem Einfrieren des Konflikts mit Russland. Scholz sagt ein neues Patriot-System zu. Ein Überblick.

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Rettungskräfte suchen in den Trümmern verzweifelt nach Opfern des verheerenden russischen Angriffs auf das Dorf Hrosa
Rettungskräfte suchen in den Trümmern nach Opfern des verheerenden russischen Angriffs auf das Dorf HrosaBild: Ukrainian Presidential Press Office/AP Photo/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Viele Tote bei russischem Angriff in der Region Charkiw
  • Präsident Selenskyj lehnt Waffenstillstand mit Moskau ab 
  • Deutschland liefert Ukraine weiteres Flugabwehrsystem  
  • Der Kreml-Herrscher übt erneut heftige Kritik am Westen 
  • Großbritannien warnt vor Angriffen mit Seeminen im Schwarzen Meer

 

Bei einem russischen Angriff im Osten der Ukraine sind ukrainischen Angaben zufolge mindestens 51 Menschen getötet worden. Der Raketenangriff auf einen "gewöhnlichen Lebensmittelladen" in einem Dorf nahe der Stadt Kupjansk in der Region Charkiw sei ein "brutales russisches Verbrechen", erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Onlinenetzwerken. Der Angriff sei in der Nähe der Frontlinie erfolgt. Laut dem örtlichen Gouverneur Oleg Sinegubow ist unter den Toten auch ein sechs Jahre altes Kind.

Der Angriff ereignete sich am Mittag in dem Dorf Hrosa, das rund 30 Kilometer entfernt von Kupjansk liegt, wie Sinegubow im Onlinedienst Telegram weiter mitteilte. Neben dem Lebensmittelgeschäft sei auch ein Café getroffen worden. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft veröffentlichte Fotos und ein Video, die Trümmerberge und reglos am Boden liegende Menschen zeigen. Weiteren Behördenangaben zufolge hielten sich zum Zeitpunkt der Attacke sehr viele Menschen vor Ort auf, weil sie in dem Café an der Trauerfeier für einen verstorbenen Dorfbewohner teilgenommen hätten. In dem kleinen Hrosa mit seinen rund 330 Bewohnern sei von dem verheerenden russischen Beschuss wohl jede Familie betroffen.

Krieg zentrales Thema von Europa-Gipfel in Granada

Im spanischen Granada treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG). Zu dieser gehören nicht nur die EU-Staaten, sondern auch weitere europäische Länder wie Großbritannien, die Türkei oder die Kaukasus-Staaten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte dieses Format angestoßen, um die Zusammenarbeit auf dem Kontinent - auch angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine - zu verbessern. Ganz Europa steht geschlossen gegen Russlands Krieg: Dieses Zeichen soll von den informellen Beratungen der EPG ausgehen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Granada im Gespräch mit dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (links) in Granada im Gespräch mit dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro SánchezBild: Borja Puig de la Bellacasa/AFP

Auch der ukrainische Präsident nimmt an dem Gipfeltreffen der EPG teil. In Granada warnte Selenskyj vor einem Waffenstillstand und einem Einfrieren des Konflikts in seinem Land. Wenn Russland jetzt eine Pause bekomme, dann werde es bereits 2028 sein bisher durch den Krieg verbrauchtes militärisches Potenzial wieder erlangt haben. In seinem Expansionsdrang werde der Angreifer Russland dann "stark genug sein, andere Länder anzugreifen". Besondere Gefahr sieht der ukrainische Staatschef demnach vor allem für die baltischen Staaten, die ebenfalls einst Teil der Sowjetunion waren.

Selenskyj rief zugleich zur Einheit der Europäer im Kampf gegen die russische Aggression auf. Moskau könne nur durch eine Niederlage in seinem Angriffskrieg unschädlich gemacht werden. Die Ukraine sei dazu allein nicht in der Lage und deshalb auf Hilfe und
Sicherheitsgarantien angewiesen, so der Präsident. Mit Blick auf den "politischen Sturm" in den USA appellierte er an die Europäer, sich "auf ihre eigenen Stärken" zu besinnen und der Ukraine weiter zu helfen.

Scholz sagt weiteres Patriot-System zu  

Bundeskanzler Olaf Scholz hat dem ukrainischen Präsidenten für die Wintermonate ein weiteres Flugabwehrsystem vom Typ Patriot zugesagt. "Das ist das, was jetzt am allermeisten notwendig ist", sagte der SPD-Politiker nach einem Treffen mit Selenskyj am Rande des Europa-Gipfels im spanischen Granada. Man müsse damit rechnen, dass Russland im Winter erneut versuchen werde, mit Raketen- und Drohnenangriffen Infrastruktur und Städte in der Ukraine zu bedrohen. Selenskyj seinerseits schrieb im Kurznachrichtendienst X, er sei dankbar für Deutschlands Unterstützung bei der Verteidigung der Freiheit der Ukraine und ihrer Menschen.

Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei ihrem Treffen am Rande des EPG-Gipfels
Bundeskanzler Olaf Scholz (links) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei ihrem Treffen am Rande des EPG-Gipfels Bild: UKRAINIAN PRESIDENTIAL PRESS/AFP

Kurz vor dem Treffen von Scholz und Selenskyj war bekannt geworden, dass Scholz trotz eindringlicher Bitten der Ukraine vorerst keine Taurus-Marschflugkörper in das Kriegsgebiet liefern will. Zu diesem Thema äußerte sich Selenskyj in seiner Nachricht nicht. Im April hatten Deutschland, die Niederlande und die USA zunächst je ein Patriot-System an die Ukraine übergeben. Im August stellte Deutschland dann zwei weitere Patriot-Abschussrampen zur Verfügung. Deutschland hat die Ukraine auch mit zwei Einheiten des Luftverteidigungssystems Iris-T versorgt.

Putin: Scharfe Kritik am Westen - und "eine neue Welt"

Der russische Präsident Wladimir Putin will nach eigenen Worten "eine neue Welt errichten". Der Kreml-Chef stellte beim politischen Waldai-Forum in der Schwarzmeer-Stadt Sotschi die russische Offensive in der Ukraine in den Zusammenhang mit einer "Hegemonie" des Westens. "Wir stehen im Wesentlichen vor der Aufgabe, eine neue Welt zu errichten", sagte Putin. Dem Westen warf er vor, dass dessen Handeln seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion von "Arroganz" geprägt sei. "Die USA und ihre Satelliten haben den Weg der Vorherrschaft eingeschlagen." Außerdem brauche der Westen "immer noch einen Feind, mit dem er den Kampf mit Gewalt und Expansionismus rechtfertigen kann", so der Staatschef weiter.

Der russische Präsident Wladimir Putin bei seinem Auftritt beim Waldai-Diskussionsforum in Sotschi
Der russische Präsident Wladimir Putin: "Die USA und ihre Satelliten haben den Weg der Vorherrschaft eingeschlagen"Bild: Grigory Sysoyev/AFP

Die russische Offensive ist daher nach Putins Interpretation "kein territorialer Konflikt", vielmehr diene sie der Festlegung der "Grundsätze, auf denen die neue Weltordnung begründet wird". "Wir haben keinerlei Interesse daran, Territorien zurückzuerlangen", versicherte der Kreml-Chef, der nach der Krim-Annexion 2014 im September 2022 vier ukrainische Regionen für annektiert erklärt hatte. "Der Krieg, der von dem Kiewer Regime mit der aktiven Unterstützung des Westens begonnen wurde, dauert schon seit zehn Jahren an", legte Putin seine Sicht der Dinge dar. "Die militärische Spezialoperation wurde gestartet, um ihn zu stoppen." Moskau kritisiert seit Jahren, dass die NATO-Osterweiterung Russland in seiner Existenz bedrohe.

Biden will Rede zum Ukraine-Krieg halten

Präsident Joe Biden will sich bald in einer größeren Rede zur Ukraine und der Unterstützung für das von Russland angegriffene Land äußern. Er werde darin erklären, "warum es für die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten von entscheidender Bedeutung ist, dass wir unsere Zusage einhalten", sagte Biden am Rande eines Termins in Washington. Auf die Frage, ob er sich Sorgen mache, dass nach Absetzung des republikanischen Repräsentantenhaus-Vorsitzenden Kevin McCarthy und der daraus resultierenden Blockade die USA bald vielleicht nicht mehr in der Lage sein könnten, die versprochene Hilfe zu leisten, antwortete der US-Präsident: "Das macht mir keine Sorgen. Ich weiß, dass die Mehrheit der Mitglieder des Repräsentantenhauses und des Senats und beider Parteien die Finanzhilfen für die Ukraine unterstützen."

 Joe biden / Ukraine
Für US-Präsident Joe Biden steht die amerikanische Unterstützung für die Ukraine nicht zur DispositionBild: Evan Vucci/AP Photo/picture alliance

Biden wies zudem darauf hin, dass es neben den vom Kongress genehmigten Hilfstranchen noch einen anderen Weg gebe, wie die USA die Ukraine unterstützen könnten. Er lehnte es ab, weitere Angaben dazu zu machen.

In dem Übergangshaushalt, den der US-Kongress am Wochenende verabschiedet hat, sind keine weiteren Ukraine-Hilfen vorgesehen. Das heißt jedoch nicht, dass die Vereinigten Staaten Kiew von jetzt auf gleich nicht mehr unterstützen, noch sind mehrere Milliarden Dollar dafür vorhanden. Doch geht das bisher bewilligte Geld zur Neige.

Großbritannien warnt vor Angriffen auf Frachtschiffe im Schwarzen Meer

Russland könnte nach Einschätzung der britischen Regierung Frachtschiffe im Schwarzen Meer mit Seeminen vor ukrainischen Häfen angreifen und dann die Ukraine für die Angriffe verantwortlich machen. Es bestehe eine Gefahr von Angriffen auf Getreidefrachtschiffe, die durch den "humanitären Korridor" fahren. Solche Angriffe zielten darauf ab, Getreideexporte aus der Ukraine zu verhindern, heißt es aus dem britischen Außenministerium unter Berufung auf die Geheimdienste des Landes.

Schwarzes Meer | Getreidefrachtschiff
Ein Getreidefrachtschiff am Dienstag im Schwarzen MeerBild: Yulii Zozulia/Ukrinform/abaca/picture alliance

Russland hatte sich im Juli aus dem Abkommen mit der Ukraine zurückgezogen, das der Ukraine trotz des russischen Angriffskrieges den Transport von Getreide über das Schwarze Meer ermöglicht hatte. Seitdem seien durch russische Angriffe 130 Einrichtungen der Hafeninfrastruktur beschädigt und fast 300.000 Tonnen Getreide vernichtet worden - genug, um mehr als eine Million Menschen ein Jahr lang zu ernähren, erklärte die britische Regierung.

Özdemir spricht in der Ukraine über Getreide-Exporte

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ist zu einem Besuch in der Ukraine eingetroffen. Bei den Gesprächen soll es nach Angaben seines Ministeriums unter anderem um den Export ukrainischen Getreides gehen. Özdemir sagte nach seiner Ankunft, er werde mit seinem ukrainischen Kollegen Mykola Solskyj darüber sprechen, "wie es uns gelingt, dass ukrainisches Getreide dort landet, wo es dringend benötigt wird: im globalen Süden".

Cem Özdemir | Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft
Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft (Archivbild)Bild: Metodi Popow/IMAGO

Deutschland wolle der Ukraine weiter dabei helfen, ihr Getreide zu exportieren und so Einnahmen zu generieren, versicherte Özdemir. Insbesondere wolle man die "Solidarity Lanes" ausbauen, also Lieferkorridore auf dem Landweg und auf Flüssen für ukrainisches Getreide, um Ausfuhren über das Schwarze Meer zu ersetzen. 

Ukrainische Armee rückt im Süden vor

Die Ukraine kommt nach eigenen Angaben an der Front im Süden weiter voran. "Wir haben westlich von Robotyne einen Teilerfolg erzielt", sagt der Sprecher der Südgruppe, Oleksandr Stupun, im staatlichen Fernsehen. "In einigen Gebieten sind wir zwischen 100 und 600 Meter vorgerückt." Das russische Verteidigungsministerium spricht im Gegenzug ebenfalls von Erfolgen seiner Streitkräfte an der Ostfront. Die Berichte über die Kämpfe lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

In der westrussischen Region Kursk ist nach offiziellen Angaben infolge ukrainischer Drohnenangriffe in vielen Ortschaften der Strom ausgefallen. Es seien Infrastrukturobjekte in den Landkreisen Sudscha, Korenowo und Gluschkowo attackiert worden, teilte der Kursker Gouverneur Roman Starowoit auf seinem Telegram-Kanal mit. Alle drei Kreise grenzen an die Ukraine. 

USA schicken beschlagnahmte Munition in die Ukraine

Die US-Regierung hat der von Russland angegriffenen Ukraine vom Iran beschlagnahmte Munition geschickt. Die Munition sei im Dezember 2022 vom US-Militär im Golf von Oman auf einem Schiff sichergestellt worden, teilten das zuständige Regionalkommando des US-Militärs (Centcom) und das US-Justizministerium mit. Der Iran habe die rund 1,1 Millionen Schuss den Huthi-Rebellen im Jemen schicken wollen, hieß es weiter. Das sei ein Verstoß gegen eine Resolution des UN-Sicherheitsrats. Die USA erklärten die Munition daraufhin zu ihrem Eigentum.

Ex-EU-Kommissionschef gegen schnellen EU-Beitritt der Ukraine

Der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat vor einem übereilten Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union gewarnt und spricht sich stattdessen für einen Art "Teilbeitritt" aus "Wer mit der Ukraine zu tun gehabt hat, der weiß, dass das ein Land ist, das auf allen Ebenen der Gesellschaft korrupt ist", sagte Juncker in einem Interview der "Augsburger Allgemeinen". Trotz der Anstrengungen sei es nicht beitrittsfähig, "es braucht massive interne Reformprozesse", sagte Juncker weiter.

Jean-Claude Juncker
Der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker (Archivbild)Bild: Andreas Arnold/dpa/picture alliance

Auch dem Land selbst gegenüber sei ein solches Vorgehen nicht fair, gab Juncker zu bedenken. "Man darf den Menschen in der Ukraine, die bis zum Hals im Leid stecken, keine falschen Versprechungen machen." Dennoch müsse eine "europäische Perspektive" für Moldau und die Ukraine, "die sich so tugendhaft (gegen Russland) wehrt und europäische Werte verteidigt", aufrechterhalten bleiben. Es müsse möglich sein, dass diese Länder "an Teilen der europäischen Integration teilnehmen können", sagte Juncker. "Wir sollten darauf hinwirken, dass so etwas wie ein teilweiser Beitritt möglich wird, eine intelligente Form der Fast-Erweiterung."

EU-Ratspräsident Charles Michel hatte zuletzt einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union bis zum Jahr 2030 - unter bestimmten Voraussetzungen - befürwortet. Angesichts des russischen Angriffskriegs hat auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wiederholt für einen EU-Beitritt der Ukraine geworben.

sti/jj/qu/kle (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.