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Mehr als ein Stück Stoff

Mahmoud Tawfik 24. September 2004

Kopftuch oder nicht - der gesellschaftliche Konflikt um die muslimische Kopfbedeckung von Lehrerinnen im Schuldienst zieht weite Kreise. Doch beim Kopftuchstreit geht es um mehr als nur um ein Stück Stoff.

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Streitpunkt in Deutschland: <br>das KopftuchBild: dpa

Religionsfreiheit oder Staatsneutralität? Individualismus oder Anpassung an die deutsche Leitkultur? Kaum jemanden, der in Deutschland lebt, hat der so genannte "Kopftuchstreit" unberührt gelassen. Ob alt oder jung, deutsch oder nicht-deutsch, muslimisch, christlich oder andersgläubig: Es wird diskutiert und debattiert - auf verschiedenen Ebenen: mal emotionaler, mal wissenschaftlicher, mal theologisch, mal mit emanzipatorischem Unterton. Die Meinungen gehen dabei weit auseinander.

Sogar die Musliminnen sind uneins

Selbst innerhalb der in Deutschland lebenden muslimischen Gemeinde ist man sich in Sachen Kopftuch keineswegs eins. "Das Kopftuch kann für viele verschiedene Sachen stehen. Aus islamischer Sicht steht es für eine religiöse Pflicht. Es wird von Frauen, und auch Männern, erwartet, dass sie sich durch die Kleidung Distanz oder auch Respekt verschaffen", sagt Hamideh Mohaghegi, Islamwissenschaftlerin und Kopftuchträgerin aus dem Iran. Sie lebt seit fast 30 Jahren in Deutschland.

Islam, Buch
Steht wirklich im Koran, dass muslimische Frauen ihre Haare bedecken müssen?Bild: AP

Nicht alle muslimischen Frauen in Deutschland sind jedoch mit Mohaghegi einer Meinung. Im Gegenteil: "Ich finde, dass Kopftuch-Tragen nicht unbedingt der Weg ist, mir Respekt zu verschaffen. Ich sehe keine Notwendigkeit darin, meine Haare zu verdecken. Außerdem sagen manche auch, dass das eigentlich gar nicht so im Koran drin steht. Oder es steht drin, aber dann waren es damals andere Zeiten." Das ist nur eines der Gegenargumente von Nadine Essmat, einer jungen muslimischen Frau, die in Kairo und in Berlin aufgewachsen ist. "Kopftuchtragen soll die Frau unauffälliger machen und dafür sorgen, dass sie nicht angeguckt wird. Man macht sich aber gerade in einem Land, wo eben der Großteil der Frauen kein Kopftuch trägt, damit doch eher auffällig", findet Nadine, die kein Kopftuch trägt.

Unnötiger Streit um ein Stück Stoff?

Gegner und Befürworter schlagen Kapriolen, um ihr Gegenüber zu überzeugen. Argument und Gegenargument - die Sache könnte sich bis ins Unendliche ziehen. Und da ist der eine oder andere Beobachter wohl wahrhaftig gewillt, zu sagen: "Beruhigt Euch. Es geht ja nur um ein Stück Stoff." Ist das Ausmaß, das die Kopftuchdebatte mittlerweile angenommen hat, unnötig und unberechtigt? Oder geht es um mehr, als der eine oder andere einzusehen vermag?

Orient Okzident
Der Kopftuchstreit - eine globale Auseinandersetzung zwischen Orient und Okzident?

Es geht wahrhaftig nicht nur um ein Stück Stoff, darin sind sich mittlerweile viele Beobachter einig. Es geht um das Verhältnis zwischen Mehrheiten und Minderheiten in Europa, um eine globale Auseinandersetzung zwischen Orient und Okzident, um Weltanschauungen, um grundsätzliche Fragen des Zusammenlebens. Kurzum: um vieles, was anhand einer Kopftuchdebatte nicht einmal ansatzweise gelöst werden kann, sondern einer viel ausführlicheren Abhandlung bedarf.

Es geht weniger um das Kopftuch an sich, sondern um das, was es im jeweils gegebenen Falle symbolisiert. In diesem Sinne steht auch der so genannte Kopftuchzwang, den auch Mohaghegi wenn es ein Zwang wird als Zeichen der Unterdrückung der Frau anerkennt, nur symbolisch für eine allgemeine Diskriminierung der Frau in einigen islamisch geprägten Gesellschaften. Und er steht für unbeliebte Parallelgesellschaften in Deutschland und anderswo, wo eben diese Diskriminierung jenseits verfassungsrechtlicher Grundlagen auf privater Ebene möglich ist.

Das Stück Stoff wird also stellvertretend genommen für viele andere Probleme, die zwischen dem Islam und der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland stehen.