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EU-Asylpolitik auf Abwegen

Sabrina Pabst13. Februar 2014

Flüchtlinge hoffen auf Schutz, wenn sie die Grenzen der EU überqueren. Doch dort treffen sie auf Widerstände und mangelndes Mitgefühl. Denn wenn es um Asyl geht, gibt es Vorurteile - auf beiden Seiten.

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Bildergalerie Lampedusa Mamadou Ba
Bild: Mamadou Ba

"Auf einmal klickten die Handschellen, und ich kam in Untersuchungshaft", Hıdır Karul schüttelt den Kopf, wenn er sich an seine Erfahrungen mit der Ausländerbehörde in Hamburg erinnert. "Ich durfte niemanden anrufen: Keinen Anwalt, noch nicht einmal meine engagierte Klassenlehrerin. Am nächsten Tag sollte ich Richtung Türkei fliegen. Die wollten mich einfach abschieben." Hıdır Karul ist kurdischer Alewit. 1995 flüchtete der damals 16-Jährige wegen des drohenden Bürgerkriegs nach Deutschland. Aber - so die Behörde - er sei illegal in Deutschland und werde gesucht.

Warum er in Handschellen abgeführt wurde? Das weiß Hıdır Karul bis heute nicht. Dabei beantragte er direkt nach seiner Ankunft in Hamburg Asyl, bekam einen gesetzlichen Vormund, war in einer Wohngemeinschaft gemeldet und ging zur Schule. Am Tag seiner Festnahme meldete er sich pflichtbewusst nach einem Jahr bei der Ausländerbehörde, um seine Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen. Doch stattdessen wurde er abgeführt. "Kann ich illegal hier sein, wenn doch jeder weiß, wo ich mich aufhalte?" Aber die Frage konnte ihm keiner der zuständigen Beamten damals beantworten. Den Flug verpasste er, weil in letzter Minute sein Anwalt kontaktiert werden konnte. "Eine Willkommenskultur stelle ich mir anders vor", so Hıdır Karul heute.

Auch Schlepperbanden bringen Flüchtlinge nach Deutschland

Dass Hıdır Karuls nach Deutschland kam, war Zufall. Er suchte sich eine Schlepperbande, die ihn nach Münster brachte. Von dort ging es nach Hamburg. Dort stellte er seinen Asylantrag. 3000 Euro kostete ihn seine Reise.

Hidir Karul erzählt bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung von seinen Erfahrungen als Flüchtling.
Hidir Karul: "Wer seine Rechte als Asylsuchender nicht kennt, hat keine Chance"Bild: Jonas Banken

Für viele Flüchtlinge ist der Weg erheblich schwieriger - sie versuchen, über illegale Wege nach Deutschland oder in die EU zu gelangen. Und dafür begeben sie sich häufig in die Hände von Schlepperbanden. Ein kostspieliges Unterfangen, dass viele von ihnen mit ihrem Leben bezahlen. "Wir brauchen mehr legale Wege über Botschaften in die EU", fordert die Politikwissenschaftlerin Petra Bendel vom Zentralinstitut für Regionenforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg. In Krisenländern und Kriegsgebieten gebe es für Schutzbedürftige keine Botschaften oder Konsulate, in denen sie Hilfe bekommen könnten. "Sie müssen sich an Schlepperbanden wenden und stranden, wenn sie Glück haben, irgendwo an der EU-Außengrenze. Ab da ist ihre Zukunft ungewiss." Jedes Land behandele Einwanderer unterschiedlich. Für Petra Bendel ist in der europäischen Flüchtlingspolitik kein politischer Wille zu erkennen, die bisher in jedem Land einzeln geregelte Asylpolitik europaweit zu harmonisieren.

Verteilung statt Haftanstalt

Bulgarien, Ungarn, Griechenland und Italien stehen oft in der Kritik, Einwanderer in menschenunwürdigen Inhaftierungsanstalten unterzubringen. Doch Hilfe durch andere EU-Staaten, diese Länder zu entlasten, fehle, meint die Migrationsexpertin. Der Gedanke der europäischen Solidarität sei bei den Regierungen der EU-Staaten nicht zu erkennen. Und "auch Deutschland verteilt lieber Geld und zahlt in den europäischen Flüchtlingsfond, anstatt selber Menschen in Not zu retten und zu unterstützen", so Bendel, Mitglied im Netzwerk "Migration in Europa". Wichtig sei, dass eine neue europäische Flüchtlingspolitik den menschenrechtlichen Anforderungen entspreche und sich kein Staat vor der Verantwortung drücke.

Dass Hıdır Karuls Geschichte doch noch ein gutes Ende findet, verdankt er Mitmenschen, die sich für seine Rechte einsetzen. Doch vielen Schutzsuchenden fehle diese Hilfe, wenn sie in ein unbekanntes Land flüchten. Sie sprechen weder die Sprache, kennen nicht ihre Rechte und auch nicht die entsprechenden Organisationen, an die sie sich in ihrer Not wenden können, wie Dagmar Dahmen, Leiterin der Ausländerbehörde in Köln, betont. "Sie kommen hier hin, um zu arbeiten, und nicht, um vom Staat abhängig zu sein." Doch das Arbeiten werde ihnen verwehrt, so lange sie nicht als Flüchtlinge anerkannt seien, so Dahmen.

Petra Bendel ist Geschäftsführerin des Zentralinstituts für Regionenforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied im Netzwerk Migration in Europa.
Petra Bendel: "Das neue gemeinsame europäische Asylsystem hat seine Ziele verfehlt"Bild: Jonas Banken

Mehr Engagement durch Zivilgesellschaft

Petra Bendel unterscheidet dabei zwischen Wirtschafts- und Asylmigranten: "Sie sitzen zwar zusammen in einem Boot, wenn sie über das Mittelmeer in die EU kommen, doch haben sie unterschiedliche Gründe für ihre Flucht." Viele der jungen Männer, die in die EU kommen, wollen vor allem eins: arbeiten. Und Arbeit sei die beste Möglichkeit, Flüchtlinge in die Gesellschaft zu integrieren. "Die Menschen gehen daran kaputt, wenn sie nicht arbeiten dürfen. Sie sitzen den ganzen Tag im Flüchtlingsheim, kulturell gemischt, auf engstem Raum zusammengepfercht, irgendwo in einem Dorf, und dürfen nicht raus."

Die Europäische Kommission arbeitet schon jahrelang an einer Gesetzesvorlage zur Verteilung von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Europa. So sollen potenzielle Fachkräfte unter ihnen nach Bedarf und Qualifikation verteilt werden können. Die Verteilung soll von einer europäischen Anlaufstelle koordiniert werden. Doch Arbeitspolitik ist nationale Sache. Vor einer Zusammenarbeit sperren sich wieder die EU-Staaten. Wenigstens einige Bildungsabschlüsse in wenigen Branchen seien mittlerweile europaweit anerkannt - ein erster Schritt in den Augen von Bendel.

"Asyl- und Arbeitsmarktpolitik passen zusammen"

Den Frust, keine Beschäftigung annehmen zu dürfen, kennt auch die Leiterin der Ausländerbehörde in Köln, Dagmar Dahmen. "Die Menschen, die hier ankommen, erwarten etwas von uns", betont sie. "Aber von einer richtigen Willkommenskultur sind wir weit entfernt. Wir müssen ihnen das Gefühl geben, sie kommen als Menschen hier an."

Seit fast 20 Jahren lebt Hıdır Karul nun in Deutschland. Er ging hier zur Schule, studierte, promovierte, arbeitet. Hıdır Karul ist anerkannter politischer Flüchtling. Dieser Teil von ihm gleicht einer Vorzeigegeschichte, wenn es um die Integration von Flüchtlingen in Deutschland geht. Doch nach 20 Jahren ist seine Geschichte noch nicht zu Ende: Seit 2001 will er die deutsche Staatsbürgerschaft. Als politischer Flüchtling ist es für ihn laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz aber nicht möglich, sagt Karul. Noch immer arbeitet er daran, den deutschen Pass zu bekommen. "Was mache ich jetzt nach 20 Jahren in Deutschland? Ich bin hier sozialisiert", fragt sich Hıdır Karul. Er habe den Eindruck, Deutschland wolle ihn isolieren und abdrängen. "Ich überlege, ob ich auswandern soll - raus aus Europa."