Mehr Leben für Sterbende
19. Oktober 2024Die Hospizbewegung - Herberge im Dunkeln
Es muss am Wetter liegen. Die Tage werden kürzer, kälter. Es wird früher dunkel. Das Ende des Jahres rückt in Sichtweite. Nun kommt auch das Ende des Lebens zur Sprache, in Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen zum Volkstrauertag und Totensonntag beziehungsweise Ewigkeitssonntag. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden,“ so heißt es in der Bibel in einem Gebet. (Psalm 90)
Auch die Hospizbewegung will bewusst machen: Tod und Sterben gehören zum Leben dazu. Das Wort Hospiz meint ursprünglich „Herberge“. Heute ist ein Hospiz ein Ort, an dem schwerstkranke Menschen und Sterbende auf ihrem letzten Stück Lebensweg begleitet werden.
Cicely Saunders, Gründerin der Hospizbewegung
Die Geschichte der modernen Hospizbewegung beginnt mit einer Krankenschwester im London der frühen Nachkriegszeit. Cicely Saunders pflegt und begleitet damals viele Krebskranke im Endstadium. Sie erkennt: Die Sterbenden werden nur unzureichend versorgt. Sie leiden unter Schmerzen und benötigen vor allem menschliche Zuwendung.
1947 begegnet sie David Tasma, einem Überlebenden des Warschauer Ghettos. Er hat Krebs im Endstadium. Sie pflegt ihn. Zusammen entwickeln die beiden die Idee für ein Haus, in dem die Sterbenden und ihre besonderen Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. 20 Jahre später, 1967 kann Saunders schließlich als Ärztin das erste moderne Hospiz eröffnen: das St. Christopher’s Hospice in Sydenham, London.
Mehr Leben
In den folgenden Jahren entwickelt sie mit der Palliative Care das Konzept einer umfassenden Versorgung für Menschen, die schwer krank sind und sterben werden. Hier greifen viele Angebote ineinander: Beratung, Begleitung und besonders auch die Versorgung mit Schmerzmitteln.
Anders als zum Beispiel im Krankenhaus, in dem die Lebenserhaltung das wichtigste Ziel ist, geht es nun um die Qualität des Lebens, das den Menschen noch bleibt. Ihre persönliche Geschichte, ihre Vorlieben, die Freunde und Angehörigen, die sie vielleicht noch einmal sehen wollen, um Abschied nehmen zu können – all das prägt die Hospizarbeit für die sterbenden Gäste dieser Herbergen auf dem letzten Weg. Cicely Saunders fasste es in dem Satz zusammen: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“
Heute in Deutschland
Seit 1986 gibt es Hospize auch in Deutschland. Zusammengeschlossen sind sie im „Deutschen Hospiz- und PalliativVerband“. Er entwickelt das Konzept und das Wissen über die Begleitung Sterbender weiter. Er wirbt für diese Arbeit. Denn die Nachfrage ist an vielen Orten größer als die Zahl der Plätze für Versorgung zuhause oder in einem Hospiz. Eine wichtige Säule der Hospizarbeit ist das Engagement vieler Freiwilliger. Diese Menschen zu schulen und zu unterstützen ist eine weitere Aufgabe der Hospizbewegung.
Vom Sterben lernen
Viele Menschen wollen vom Tod nichts wissen. Es ist ja auch schwer zu spüren, dass die Kräfte weniger werden. Und die wenigsten wollen vor Augen haben, dass das Ende bevorsteht. Manche sehen es sogar als ein persönliches Scheitern. Der Tod darf eine Rolle als Spannungsgeber in Krimis spielen. Aber er sollte mir nicht zu nahe kommen.
Und doch ist es eine Tatsache, dass jeder Mensch Verluste erlebt, scheitert, krank werden kann, schließlich sterben wird. Wie kann ich mich auf so etwas vorbereiten? Wie kann ich vielleicht sogar etwas tun, damit mir das Loslassen leichter fällt?
In der Hospizarbeit ist das oft ein Thema. Neben der Linderung der Schmerzen gilt es vielfach, einen Abschied möglichst gut zu gestalten. Sterbende Menschen sollen nach Möglichkeit einen Frieden für sich finden können. Angehörige und Freunde sollen sich verabschieden und trauern können.
Es ist und bleibt eine Aufgabe, Formen zu entdecken, die das Loslassen erleichtern. Um die eigene Endlichkeit oder den Tod eines geliebten Menschen ertragen zu können. Oder auch einen anderen Verlust, der in meinem auf Erfolg getrimmten Lebenskonzept nicht vorgesehen ist. Viele müssen das erst einmal lernen. Ich ganz bestimmt. Ein Blick auf die Trauerarbeit im Hospiz kann so noch viel mehr Menschen helfen als den konkret Betroffenen. Nicht nur im dunklen Herbst.
Zum Autor:
Markus Witzemann (Jahrgang 1977) hat Amerikanistik studiert und arbeitet als freier Journalist in Berlin. Im damaligen West-Berlin geboren, ist er seiner Heimatstadt bis auf eine kurze Zeit in Westerstede im Ammerland immer treu geblieben.
Er ist verheiratet mit Pastorin Nicole Witzemann und ist Mitglied einer Baptistengemeinde in Berlin-Schöneberg.