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MOOCs an deutschen Unis

Alexandra Stolz21. März 2014

Massive Open Online Courses (MOOCs) sind in Deutschland kaum verbreitet. Einige Unis wollen sie jetzt einführen. Die Reaktionen auf die Neuerungen sind gemischt. Deshalb will man dem US-Vorbild nicht ganz folgen.

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Symbolbild Hacker: Ein junger Mann starrt auf einen Monitor, aus dem die Zahlen 0 und 1 herausfliegen (Foto: Fotolia/lassedesignen)
Bild: lassedesignen

Gleich an zwei Online-Kursen hat Ilja Kantorovitch im letzten Semester teilgenommen. Und das neben seinem eigentlichen Studium. Es waren Kurse der Stanford University, angeboten über die Plattform udacity. Für den Mannheimer VWL-Studenten eine einzigartige Möglichkeit, neue Inhalte zu erlernen. "Klar, ich hätte mir dazu auch ein Buch kaufen können", meint Ilja Kantorovitch. Der Weg über Online-Kurse erschien ihm jedoch attraktiver, denn die MOOCs kann er bequem am heimischen Computer aufrufen - wobei der xMOOC eine auf Video aufgezeichnete klassische Vorlesung bietet, während im cMOOC Lernende und Dozenten in Form eines Seminars oder Workshops in Foren miteinander kommunizieren können. Die Kurse stehen allen offen, die Zeit und Lust haben, daran teilzunehmen – kostenfrei und ohne Teilnahmevoraussetzungen. Und da es auch keine Begrenzung bezüglich der Teilnehmerzahl gibt, werden solche MOOCs oftmals ganz schön voll - auf Englisch: "massive".

Für Ilja Kantorovitch besteht der besondere Reiz darin, sich über Foren auszutauschen und durch zusätzliches Lehrmaterial und knifflige Aufgaben die Inhalte zu vertiefen. Sein Urteil über die beiden Online-Vorlesungen "Money and Banking" und "An Introduction to Computer Science" ist positiv. Schade nur, dass die Kurse nicht auf sein reguläres Studium angerechnet werden! Trotzdem bleibt er überzeugt: An den Hochschulen wird sich durch MOOCs in Zukunft einiges ändern.

Die Revolution lässt auf sich warten

An deutschen Universitäten sind MOOCs allerdings noch nicht so richtig angekommen. Trotzdem haben sie bereits den gesamten Digitalisierungsprozess beflügelt. Einige Hochschulen sind dabei, sich zu öffnen und möchten zukünftig mit MOOCs arbeiten, wie beispielsweise die Universitäten Tübingen und Passau. "Es ist toll, welche Dynamik MOOCs in die Diskussion um das Lernen mit Medien gebracht haben", sagt Anne Thillosen vom Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen. Sie beschäftigt sich schon länger mit den Möglichkeiten, die das e-Learning bietet. Dabei bevorzugt sie jedoch aus didaktischer Perspektive cMOOCs mit Seminarcharakter gegenüber Vorlesungen in xMOOCs. Bisher werden in Deutschland noch am häufigsten xMOOCs verwendet. Dabei reicht die Spanne der Kurse bereits von Politischer Theorie bis hin zu Programmiersprache.

Ein Termin ist in einem Kalender eingetragen: Seminar (Foto: Fotolia/Gina Sanders)
Selbstorganisation ist Voraussetzung für einen erfolgreichen MOOC-AbschlussBild: Gina Sanders/Fotolia

Das Angebot ist jedoch längst nicht mit dem der USA zu vergleichen. Dort sprechen Bildungsforscher schon von einer Revolution. Einige halten es für möglich, ein Universitätsstudium vollständig über Online-Kurse zu absolvieren. Studierende bräuchten dann nicht mehr in den Vorlesungen der Universität anwesend zu sein und könnten sich Präsenzveranstaltungen sparen.

Screenshot eines Angebots der Hochschule Darmstadt auf iversity
Willkommen! Interaktion nur durch Ansprache in den VideosBild: Hochschule Darmstadt/iversity MOOC Kurs

Es gibt sogar Unternehmen die sich darauf spezialisiert haben, akademische Kurse für Universitäten zu produzieren und dann zu verkaufen. Hannes Klöpper, Mitbegründer von iversity, einer der größten deutschen MOOC-Plattformen, hat eine einfache Erklärung, warum der ganz große Wirbel in Deutschland bisher ausblieb: "Hierzulande hatte man von Anfang an einen differenzierteren Blick auf die Thematik als in den USA. Niemand hat jemals geglaubt, dass die Universitätslandschaft vollständig durch MOOCs ersetzt werden könnte."

Beeindruckende Anmeldezahlen, enttäuschende Abbruchraten

Dennoch erwarten Experten auch an deutschen Hochschulen eine Veränderung durch die neue Art des Lehrens. Prof. Tobias Kretschmer von der Ludwig-Maximilians-Universität in München arbeitet bereits mit MOOCs. Sein Kurs "Competitive Strategy" wird seit dem Sommersemester 2013 über die amerikanische Plattform "coursera" der Stanford University angeboten. Nach eigenen Aussagen haben sich 90.000 Interessierte für die Vorlesung angemeldet; doch nur rund 17 Prozent haben die Klausur geschrieben. Auf Plattformen wie iversity liegt die Zahl der Absolventen eines Kurses sogar noch niedriger, gerade mal im einstelligen Prozentbereich. Auch der Blick in die USA, wo das Online-System bereits seit 2008 besteht, weckt zahlenmäßig keine Hoffnungen.

Die hohe Abbruchrate ist einer der Haupt-Kritikpunkte an MOOCs. Außerdem befürchten Wissenschaftler, dass Studierende ohne direkte Interaktion, wie sie in Präsenz-Seminaren an Universitäten möglich ist, in die Isolation geraten. Diese Erkenntnisse kommen aus den USA. Ein weiterer Kritikpunkt: Hohe Studiengebühren hindern viele junge Leute daran, ein reguläres Studium zu verfolgen. Die Einführung von flächendeckenden MOOCs könnte somit zu einem Zwei-Klassen-Studium führen. Präsenz an der Uni nur noch für die mit entsprechendem Geldbeutel. Interaktion und Betreuung ebenso. Das Argument wiederum, dass viele Länder der Dritten Welt von MOOCs profitieren würden, halten einige Experten nicht für tragbar: Ein Blick auf die Zahlen verrät, dass die Masse der Teilnehmer aus Industrieländern des Westens stammt.

Tobias Kretschmer, Professor für BWL an der LMU München (Foto: LMU München)
Er ist begeistert: Prof. Tobias KretschmerBild: LMU München

Prof. Kretschmer sieht bei aller Kritik keinen Grund, Alarm zu schlagen. "Die Kurse sind ein kostenloser Service, und die Hemmschwelle, sich anzumelden, ist gering", führt Kretschmer aus. Neugierige könnten überall hinein schnuppern und die Teilnahme schließlich aufgeben, wenn sie feststellten, dass die Thematik doch nicht ihren Vorstellungen entspricht. Ein Luxus, den man sich im normalen Studium nicht leisten kann. Vom Organisationstalent der Studierenden ist er überrascht: "Anfänglich habe ich geglaubt, dass MOOCs niemals funktionieren könnten." Nach nur wenigen Wochen musste er sich eines Besseren belehren lassen: Seine Teilnehmer nutzten nicht nur eine Videovorlesung, sondern fanden sich schnell in kleinen Lerngruppen zusammen.

Die Lösung: von MOOC zu POOC?

Alle sind sich einig, dass die Digitalisierung verstärkt in die Hochschulen einziehen wird, aber sie sollte dabei einen anderen Weg einschlagen als in den USA. Bildungsexperten wie Dr. Jörg Dräger fordern eine Hinwendung zum personalisierten Studium durch POOCs, also Personalized Open Online Courses. Keine standardisierte Bildung für die Masse, sondern Inhalte, die individuell an den Nutzer angepasst werden. Digitale Bildung kann personalisiertes Lernen ermöglichen, indem man beispielsweise Empfehlungen für Lehrmaterialien an den Bildungsstand anpasst.

"Die wirklichen Potenziale bleiben ungenutzt, solange alles auf die Masse ausgerichtet ist", führt Jörg Dräger, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung aus. Als Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) erkennt er klar die Chance von POOCs. Seine Forderung: Die Digitalisierung muss voran schreiten. Doch nicht durch MOOCs, sondern POOCs. Dabei ist für ihn eine Balance zwischen Individualisierung und Standardisierung wichtig. Sie könne durch eine Mischung aus Online- und Präsenz-Lehre erreicht werden, so wie es viele deutsche Hochschulen ja auch vorhaben. VWL-Student Ilja Kantorovitch bleibt optimistisch und hofft, dass MOOCs in Zukunft auch in Deutschland stärker zur Regel werden. Dann würden ihm auch die Leistungspunkte solcher Veranstaltungen für sein Studium angerechnet.

Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung für den Bereich Bildung und Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung CHE (Foto: Arne Wychardt)
Von MOOC zu POOC - die Forderung von Jörg DrägerBild: Arne Wychardt