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Mein Deutschland: Am deutschen Wesen mag die Welt genesen?

Zhang Danhong16. März 2016

Die deutsche Flüchtlingspolitik erinnert Zhang Danhong immer wieder an diese viel zitierte Zeile von Emanuel Geibel. Doch die an Arroganz grenzenden deutschen Alleingänge haben bereits vor der Flüchtlingskrise begonnen.

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Türkei syrische Flüchtlinge laden Merkel ein
Bild: picture-alliance/AA/K. Kocalar

Neulich traf ich auf einer Geburtstagsfeier eine Feministin, die Mitgefühl für die Sexualtäter in der Silvesternacht zeigte: "Sie hatten doch gar keine Erfahrung mit dem Alkohol." "Vielleicht war es doch ein Fehler, alle unkontrolliert rein zu lassen?" warf ich ein. "Unsinn! Wir müssen allen Schutz bieten. Frau Merkel kann gar nicht anders", sagte sie entschlossen. "Auch wenn sich Deutschland dabei übernimmt?" "Dann büßen wir eben für die Sünden, die wir in den vergangenen 200 Jahren begangen haben."

Das ist die politisch korrekte Lesart von der Erblast der deutschen Vergangenheit - von der Kolonialgeschichte über den Wilhelminismus bis zum Nationalsozialismus. Meines Erachtens hat zwar nicht jedes heutige Elend seine Ursache in der deutschen Vergangenheit. Aber egal, ich hatte keine Lust, auf einer Party die Weltgeschichte aufzurollen. Ich gönnte ihr das Gefühl, Recht zu behalten.

Irgendwo habe ich gelesen, dass rund zehn Prozent der Bundesbürger wie meine Partybekanntschaft dafür plädieren, alle Flüchtlinge in die Arme zu schließen, die in Deutschland Schutz suchen oder einfach besser leben wollen. Mit anderen Worten: Deutschland kann und soll die ganze Welt retten!

Moralischer Imperativ oder Imperialismus?

Ich glaube nicht, dass sich Angela Merkel ernsthaft ans Werk machen wollte, die Welt zu retten. Doch ihr Alleingang in der Flüchtlingskrise hat etwas Rechthaberisches: Wir Deutsche handeln moralisch, also werden uns die anderen Europäer schon folgen. Was aber folgte, war die zunehmende Isolation Deutschlands in Europa. Statt selbstkritisch zu reflektieren, wie es dazu kommen konnte, beharrt Frau Merkel bis heute auf dem von ihr eingeschlagenen Weg. Denn er sei der einzig denkbare und vernünftige, gab sie vor zweieinhalb Wochen erst wieder im TV-Interview bei Anne Will zu Protokoll.

Mazedonien baut zweiten Zaun an der Grenze zu Griechenland
Die Zäune haben Deutschland aus der Patsche geholfen, werden aber von der Bundesregierung scharf kritisiertBild: picture-alliance/dpa/G. Licovski

In der deutschen Öffentlichkeit ist ein Bild entstanden, als sei Deutschland die moralische Instanz schlechthin und von lauter Egoisten umgeben, die durch nationale Maßnahmen Fakten schaffen. Wie wurde die österreichische Obergrenze belächelt! Es sei überhaupt nicht machbar, hieß es von Politikern aller Couleur. Auch Medien empören sich gemeinsam mit der Politik. So bezeichnet ein Artikel der Wochenzeitung "Die Zeit" Österreich und die Balkanstaaten als "k. u. k. Zaunbau-Compagnie".

Zur vollständigen Wahrheit gehört aber auch, dass Österreich 2015 im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl mehr Flüchtlinge aufgenommen hat als Deutschland. Dass 2016 mit einer Obergrenze von 37.500 immer noch mehr Menschen in Österreich Zuflucht finden als voraussichtlich in Frankreich. Und dass die Schließung der Balkanroute der Bundesregierung eine willkommene Atempause verschafft hat. Um ihr Gesicht zu wahren, wird sich Angela Merkel gewiss nicht bei der österreichischen Regierung und deren Verbündeten bedanken. Sie aber weiter zu kritisieren, klingt doch reichlich verlogen.

Führung heißt nicht Alleingang

Die Bundeskanzlerin entfernt sich mit ihrem Politikstil immer weiter von ihrem Ziehvater Helmut Kohl. Unter Kohl und seinen Vorgängern war Deutschland bereit, "im Notfall ein kleines bisschen früher nachzugeben und etwas mehr zu zahlen, wenn ein schwieriger Kompromiss gefunden werden musste", schreibt Jan Techau in der Fachzeitschrift "Internationale Politik".

Etwas tiefer in die Tasche greifen, das tut auch die jetzige Regierung. Aber von "früher nachgeben" kann nicht mehr die Rede sein. Stattdessen überrascht Deutschland immer wieder mit Alleingängen. Das beste Beispiel ist die spontane Entscheidung der Energiewende. Da hat die Bundeskanzlerin zwar die Mehrheitsmeinung der eigenen Bürger berücksichtigt, die Abhängigkeit der europäischen Partner von der deutschen Stromwirtschaft aber nicht beachtet.

Zhang Danhong Kommentarbild App
DW-Redakteurin Zhang Danhong

Türkei - gestern pfui, heute hui

Auch in der Eurokrise hat die Bundesregierung immer wieder signalisiert, dass die Krise überwunden werden kann, wenn die anderen bloß etwas deutscher werden. "Auf einmal wird in Europa Deutsch gesprochen", frohlockte Unions-Fraktionschef Volker Kauder im November 2011, nachdem die anderen zähneknirschend den Fiskalpakt akzeptiert haben. In jener Rede auf einem CDU-Parteitag hat Kauder auch noch etwas anderes gesagt: Er kritisierte nämlich die türkische Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Erdogan für ihren Umgang mit Christen und verlangte für die Beitrittsverhandlungen, "dass die zentrale Frage 'Wie haltet Ihr es mit den Menschenrechten?' jetzt auch auf den Tisch kommt".

Wow, wie sich die Zeiten verändert haben! Zwar tritt Ankara die für Europa so wichtigen Werte wie Meinungsfreiheit gerade in diesen Tagen mit Füßen, aber wenn die Türkei die EU-Außengrenzen schützt und Europa von den hässlichen Bildern mit den Flüchtlingen fernhält, dann kann man ein Auge zudrücken und auf der anderen Seite über alle Wünsche Ankaras reden. Bei allen anderen wäre das Doppelmoral. Aber die deutsche Bundesregierung darf das - denn sie weiß und kann es ja besser!

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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