Wenn Angela Merkel Blumen verschenkt
28. Mai 2015Wenn Sie in Deutschland leben und nichts, aber auch gar nichts mehr Positives an diesem Land finden, dann wenden Sie sich vertrauensvoll an einen Chinesen und bitten ihn, Ihnen ein paar Tweets über Deutschland aus Weibo, dem chinesischen Twitter, zu übersetzen. Ich garantiere Ihnen, dass Sie sich danach besser fühlen werden. Denn dann wissen Sie, dass Sie sich im Paradies auf Erden befinden.
Hier zwei Beispiele: "In Deutschland wird nur an 187 Tagen im Jahr gearbeitet. Die restlichen 178 Tage sind Ruhetage." "Unabhängig vom Einkommen erhält man in Deutschland für das erste Kind 50 Euro, für das zweite 100, das dritte 250, … und beim siebten steigt das Kindergeld auf 5000 Euro." Monatlich, versteht sich. Der Erfinder solcher Deutschland-Mythen nennt sich "alten Spuk Ading" und zählt 140.000 Menschen zu seinen Followern. Und er ist bei weitem nicht der einzige, der die Bundesrepublik verherrlicht, um Seitenhiebe auf China loszuwerden.
Die Bundeskanzlerin und der Blumenstrauß
Neulich las ich folgende Kurznachricht: "Wenn die Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Blumenstrauß für eine Feierlichkeit benötigt, muss sie sich an folgende Vorschriften halten: Empfänger, Zeit und Anlass müssen erkennbar sein. Die Kanzlerin muss unterschreiben. Der Haushaltsausschuss muss prüfen. Zum Schluss gibt der Bundesrechnungshof seinen Segen. Erst dann kann der Betrag zurückerstattet werden. So geht man in Deutschland mit dem Geld der Steuerzahler um." Einen ungeschriebenen Satz muss der User an dieser Stelle gedanklich hinzufügen: Deshalb kann im gelobten Deutschland keine grassierende Korruption wie in China entstehen. Solche Botschaften bekommen die 300.000 Fans des Verfassers, eines bekannten Unternehmers in Peking, regelmäßig zu lesen.
Nun steht meine Wahlheimat als ein hoch ineffizientes Land da, in dem angeblich aus einem Blumenstrauß ein Staatsakt gemacht wird. Das ist falsch und das kann ich so nicht gelten lassen. Also schrieb ich an den Pressedienst der Bundesregierung. Immerhin bekam ich nach drei Tagen eine Antwort auf diese weder hochaktuelle noch relevant scheinende Anfrage.
Und so sieht der Ablauf aus: Der zuständige Mitarbeiter des Büros der Bundeskanzlerin bestellt die Blumen rechtzeitig vor dem Termin beim hauseigenen Floristen. Dieser bindet und liefert den Strauß. Die Rechnung, auf der Anlass, Name und Funktion des Begünstigten vermerkt sind, wird vom Kanzleramt beglichen.
Haushaltstitel 52901
Mit anderen Worten: Weder Mitarbeiter der Kanzlerin noch Frau Merkel selbst müssen Geld vorstrecken und dann Monate warten, bis sie es erstattet bekommen. Die Kosten für die Blumen werden aus dem Haushaltstitel 52901 im Einzelplan 04 - das ist der Etat für das Bundeskanzleramt - des Bundeshaushalts bestritten. Der Verwendungszweck nennt sich "Außergewöhnlicher Aufwand aus dienstlicher Veranlassung in besonderen Fällen". Für 2014 waren dort 340.000 Euro zur Verfügung der Bundeskanzlerin eingeplant. Darin sind Blumen und Bewirtung zusammengefasst. Sowohl der Gesamtbundeshaushalt als auch die Einzeletats der Ministerien sind im Internet einsehbar.
Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat im voraus daran mitgewirkt, wie hoch das Budget der Kanzlerin für solche Zwecke ausfallen darf. Zwar kontrolliert er auch fortlaufend die Haushaltsführung der Bundesregierung, aber da geht es eher um größere Sachen wie die Eurorettung. Auch der Bundesrechnungshof, ein externer Finanzkontrolleur, schaut der Regierung beim Geldausgeben auf die Finger. Bei der stichprobenartigen Überprüfung können schon mal die Blumensträuße der Kanzlerin unter die Lupe kommen.
Bisher ist kein Missbrauchsfall im Zusammenhang mit dem Haushaltstitel 52901 bekannt, was aber nicht bedeutet, dass das Steuergeld bei der Regierung grundsätzlich bestens aufgehoben ist. So wird sie nicht selten vom Bundesrechnungshof gerügt. Die unabhängigen Experten monieren beispielsweise am laufenden Haushaltsplan, immerhin dem ersten ausgeglichenen Bundeshaushalt seit 1969, dass Haushaltsrisiken unterschätzt, Steuerreformen verschleppt und Sparpotenziale nicht genutzt werden.
Das heißt: Bis auf die erste Aussage, dass Empfänger und Anlass für den Blumenstrauß erkennbar sein müssen, hat der oben erwähnte Tweet ansonsten nichts mit der Realität zu tun. Aber es geht ja den Urhebern solcher Nachrichten auch gar nicht um die Wahrheit über Deutschland, sondern um die versteckte Kritik an China. Wahrscheinlich sind sie unsicher, wie weit sie mit einer offenen Kritik an und in ihrer Heimat gehen können. Stattdessen ein verzerrtes Bild über Deutschland zu verbreiten, zeugt aber auch nicht gerade von Verantwortungsbewusstsein.
Deutschland - Traumland
Warum taugt Deutschland überhaupt zur Mythenbildung? Weil es an Alternativen mangelt. Den Amerikanern trauen die Chinesen nicht über den Weg, und mit den Japanern haben sie noch alte Rechnungen zu begleichen. Da scheint das ferne Deutschland mit seinen Autos, Maschinen und Bieren, die allesamt von Chinesen geliebt werden, als Projektionsfläche ideal zu sein.
Dass noch keine Auswanderungswelle nach Deutschland ausgebrochen ist, liegt an dem gesunden Menschenverstand vieler Chinesen. So finden sich unter den Kommentaren zum Blumenstrauß-Tweet auch solche: "Auch Idealisierung muss Grenzen kennen." Oder: "Dumm ist, wer glaubt, dass deutsche Politiker jeden Tag zu den Behörden rennen, um Belege für Blumen und Essen einzureichen."
Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.