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Politik

Mein Europa: #MeToo ist nur der Anfang

Jagoda Marinic
8. Dezember 2017

Die #MeToo-Bewegung befreit die Opfer von ihrem Opfersein, freut sich Jagoda Marinic. Sie muss aber noch ganz viele Länder und Regionen wirklich erreichen - Südosteuropa zum Beispiel. Aber auch Deutschland.

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Jagoda Marinic Autorin
Bild: D. Piroelle

Donald Trump wachte am Nikolaustag auf und wollte seinen ersten Tweet posten, um die Redaktion von CNN rechtzeitig aufzuscheuchen. Als er online ging, musste er dort lesen: Weinerliche Frauen haben mit ihrer Kampagne #MeToo das Cover des Time-Magazines erobert. Diese Frauen in schwarzen Mänteln wurden zur "Person of the Year" gekürt und haben ihn besiegt. Kein Wunder, das Time-Magazine schwächelt, wird er gedacht haben. Wenn erst die Koch-Brüder, zwei mächtige Alphamänner wie er, das Blatt übernehmen, wird er wieder "Person of the Year". Er ist doch der Mann, der Jerusalem zur Hauptstadt Israels erklären könnte. Was er auch prompt tat. Warum konnte er also nicht ein paar Frauen besiegen, die das mit dem Zwischen-die Beine-greifen so entsetzlich persönlich und nicht mit Humor nehmen?

So, liebe Leserinnen und Leser, klingt es in den Köpfen der Machtmänner, gegen die sich #MeToo aufgelehnt hat. Auf dem Cover thronen jetzt Frauen, die sich selbst ermächtigt haben. Das muss unerträglich sein für solche Männer. #MeToo ist ein kollektiver Urschrei, der die Opfer von ihrem Opfersein befreit. Man denkt bei diesen Frauen nicht mehr: "Die Arme! Mal sehen, wie sie dafür bezahlen muss." Man denkt: "Stark, diese Frau. Und noch so ein Arschloch."

Die #MeToo-Bewegung muss wachsen

Es muss sehr dunkel werden, bevor Menschen die Kraft finden, Licht dagegen zu setzen. Die Ära Trump ist eine Art Dunkelheit. Ein Superreicher, der trotz Sätzen wie "Grab them by their pussy" Präsident seines Landes wurde, in dem es - wie fast überall - mehr Frauen als Männer gibt. Sein Sieg in freier Wahl war die ultimative Erniedrigung aller Frauen.

Time Person of the year 2017
Die Titelseite des Time-Magazines von dieser WocheBild: Time

Seit #MeToo denke ich immer wieder an ein Video des slowenischen Star-Philosophen Slavoj Zizek. Er steht darin auf einer Brücke in Ljubljana und schnieft in etwa solche Sätze: "Hier zu meiner Rechten sehen Sie den Westen! Zu meiner Linken den Balkan. Der Unterschied? Im Westen werden Frauen geschlagen - und sie mögen das nicht. Auf dem Balkan werden Frauen geschlagen - und mögen es." So einfach lassen sich die westlichen Klischees von sich selbst und vom Balkan aushebeln.

Wo bedeutet für die Frauen Südosteuropas #MeToo? Was bedeutet es für die Frauen, mit deren Körper gehandelt wird wie mit einer Ware? Human Trafficking ist noch nicht Teil von #MeToo. #MeToo muss wachsen. Doch was gerade geschieht, ist ein längst überfälliger Anfang, der zu einem Bewusstseinswandel führen könnte. Er muss zu den Frauen in Kalkutta finden sowie zu den Frauen Ex-Jugoslawiens. Der "Balkankrieg" ist der Krieg, der auch für seine Verbrechen an den Frauen und Müttern im Gedächtnis aller Frauen dieser Welt gespeichert bleiben wird. #MeToo muss mehr wollen, wenn es erfolgreich sein will. Muss mehr sein als die schöne, mutige Schauspielerin, die sich gegen den Mächtigen wehrt und allein aufgrund ihrer Schönheit und Prominenz Empathie erwarten kann. Es muss die Würde jeder Frau gemeint sein.

In Klischees gefangen

Auch viele mediale Frauenbilder in Südosteuropa stecken derzeit noch in der Phase "Wonder Woman", New-Age-Süßholz oder dem Traum von "Du kannst alles haben": idealer Körper, Kerl, Karriere, Kind. Die Pop-Industrie ist voll von greller, sexualisierter Turbo-Folk-Weiblichkeit – weil´s gekauft wird. Weil´s dem Klischee der begehrenswerten Frau entspricht. Was, wenn diese Frauen anfangen, #MeToo zu sagen? Wäre die Gesellschaft dort bereit, ein Sexsymbol als Star zu akzeptieren, dass männliche Dominanz anprangert? Viele meinen, die südlichen Länder seien "noch nicht so weit", zu sehr von Machos dominiert. Es sind ja immer "die Anderen".

Doch so einfach ist die Antwort nicht. Denn auch Deutschland, das mächtigste und mit reichste Land Europas, ist noch nicht so weit. Trotz reger Diskussion über #MeToo ist in Deutschland noch kein einziger Männername gefallen. Kein einziges System männlicher Geld- und Macht-Dominanz wurde zum Einsturz gebracht.

Etwas stimmt hier nicht. Einen Tag bevor das Time-Magazine #MeToo kürte, gab die OECD international vergleichende Zahlen zum Rentenniveau bekannt: Und wer bildet das Schlusslicht in Sachen Geschlechtergerechtigkeit? Deutschland! Nirgendwo sonst sind alte Frauen den Männern gegenüber so schlecht gestellt wie in Deutschland. Und alleinerziehende Frauen sind die ärmste Bevölkerungsgruppe hierzulande - zum Schaden auch der Kinder.

Vietnam US-Präsident Donald Trump
"Der Griff in den Schritt einer Frau ist die Art der Mächtigen, zu zeigen, wer das Sagen hat."Bild: Reuters/J. Ernst

Man könnte mit Zizek sagen: Im Westen schlägt der Mann die Frau vielleicht seltener - er beherrscht sie einfach. Finanziell. Weil sie abhängig bleibt. Doch auf seine Rente kann sie oft nicht zählen - denn das Versorger-Modell geht maximal zwei Jahrzehnte gut. Dann verlassen die Kinder das Haus und der Mann oftmals seine schlecht abgesicherte Gattin für eine andere, die er lieber versorgen will. Das deutsche Ehemodell ist bis in die Besteuerung hinein verseucht von Gesellschaftsbildern der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Frau am Herd ist noch immer ein Gegenentwurf zur Karrierefrau.

Umkehrung der Machtverhältnisse

Der Präsidentschaftskandidat Trump hat dieses Missverhältnis offengelegt wie kaum ein Mann im Rampenlicht zuvor: Der Griff in den Schritt einer Frau ist die Art der Mächtigen, zu zeigen, wer das Sagen hat. Vielleicht ist seine Unverfrorenheit ein Segen. Die #MeToo-Frauen stehen jedenfalls unerschrocken auf dem Cover und blicken uns an: "Wir haben geredet. Wir werden reden." Es könnte der Tag gekommen sein, an dem einer, der einer Frau ihren Körper zu enteignen versucht, sich bremsen wird, weil er denkt, er könnte Schaden davon nehmen. Nicht sie.

Diese Umkehrung der Machtverhältnisse ist eine Chance. Sie ist eine Chance, gerade weil diese Zeiten dunkel sind. Weil in Zeiten, in denen das Autoritäre einen Siegeszug feiert, Frauen sich hinstellen und sagen: "Schmerz zu äußern ist eine Kraft." Aus dieser Kraft kann eine Bewegung entstehen, in der auch jene Männer marschieren, die Frauen achten. Denn das ist kein Kampf gegen "den Mann". Es ist ein Kampf gegen "die Macht", die von manchen Männern missbraucht wird. Immerhin an einer Front hat der Schwächere gesiegt. Es wäre gut, die Front jetzt zu verschieben. In alle Himmelrichtungen. Und den autoritären Kräften Grenzen zu setzen.

Jagoda Marinic ist eine deutsch-kroatische Schriftstellerin, Theaterautorin und Journalistin. Sie wurde als Tochter kroatischer Einwanderer in Waiblingen geboren. Zurzeit lebt sie in Heidelberg. Zuletzt erschien von ihr das Buch "Made in Germany - Was ist deutsch in Deutschland?". Darin setzt sie sich mit der Identität Deutschlands als Einwanderungsland auseinander.