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Politik

Aus der Traum vom Demokratieexport

29. Juni 2021

Spätestens mit dem Abzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan stirbt auch die Idee des Westens, seine Werte im Gefolge von Militäreinsätzen weltweit installieren zu können, meint Christoph Hasselbach.

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Helmtragender Soldat blickt in Richtung eines kargen Gebirgszuges. Auf der Straße, die in Richtung des Gebirgszuges führt, entfernen sich zwei Militärfahrzeuge. Das hintere fährt unter einem über die Straße gespannten Transparent durch, auf dem "Good Bye" steht.
Die NATO-Truppen verlassen Afghanistan nach fast 20 Jahren militärischer Präsenz dortBild: Alexander Klein/AFP/Getty Images

Die Militärmission in Afghanistan, die jetzt zu Ende geht, war viel mehr als Terrorbekämpfung. Das war sie nur ganz am Anfang. Sehr schnell sollte sie dem geschundenen Land auch Demokratie, Menschenrechte, Bildung für alle und Wohlstand bringen. Gerade die traditionell militärkritischen Deutschen brauchten dieses "höhere" Ziel als Rechtfertigung für ihre Beteiligung. Und es ist zweifellos ein ehrenwertes Ziel.

Aber die Idee vom Demokratieexport ist gescheitert, nicht nur in Afghanistan, sondern insgesamt. Heute gilt Afghanistan trotz seiner westlich gestützten Regierung, deren Einflussgebiet immer mehr zusammenschmilzt, als eines der korruptesten Länder der Welt. Und es sieht ganz danach aus, dass die islamistischen Taliban schon bald an die Macht zurückkehren werden, mindestens als Teil einer künftigen Regierung, wahrscheinlich aber als Alleinherrscher und durch Gewalt. Fast 20 Jahre mühsames "nation building" durch einige der mächtigsten Länder der Welt - vergebens!

China ist zu einem Gegenentwurf geworden

Afghanistan ist nicht das einzige Beispiel. US-Präsident George W. Bush wollte den Irak mit einer Militärintervention 2003 nicht nur von Diktator Saddam Hussein befreien und ihm seine (nicht vorhandenen) Massenvernichtungswaffen nehmen, sondern dem Land auch westliche Werte bringen. Dass dies auch nur annähernd gelungen wäre, behauptet wohl niemand.

Christoph Hasselbach
DW-Redakteur Christoph Hasselbach

Nicht durch eine Intervention, sondern durch Handel wollte man schließlich auch China verändern. Gerade in Deutschland hat man lange geglaubt, ein verstärkter Austausch werde das aufstrebende Land schlussendlich demokratisieren und damit zu einem gefälligeren Partner auf der weltpolitischen Bühne machen.

Hier ist das Fazit noch ernüchternder: Nicht nur hat sich China in die entgegengesetzte Richtung bewegt und wird immer autoritärer im Inneren und aggressiver nach außen - sein System wird sogar weltweit nachgeahmt und verstanden als Gegenentwurf zum westlichen Gesellschaftsmodell.

Biden will keinen "generationenübergreifenden" Einsatz

Aus all dem gilt es, Konsequenzen zu ziehen. In Afghanistan stellte sich irgendwann die Frage, ob die NATO auf unbegrenzte Zeit das Erreichte sichern sollte. Die Amerikaner haben sie schließlich mit Nein beantwortet und damit den Abzug aller anderen Verbündeten erzwungen.

Nicht nur Präsident Donald Trump wollte diesen "ewigen Krieg" beenden, auch sein Nachfolger Joe Biden sagte kürzlich im Kongress, der Einsatz sei nie als "generationenübergreifendes Unterfangen" gedacht gewesen. Pragmatisch haben damit zwei sehr verschiedene US-Präsidenten klargemacht: Das militärische Ziel Terrorbekämpfung ist erreicht; alles andere interessiert uns nicht mehr.

Anreize für gutes Regieren

Deutschlands Außenminister Heiko Maas setzt jetzt auf finanzielle Anreize, um das gewünschte Wohlverhalten in Afghanistan auch in Zukunft zu erreichen, egal, wer dort künftig regiert: Entwicklungshilfe nur in dem Maße, wie es Fortschritte bei Friedensbemühungen, bei Wahrung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Achtung der Menschenrechte gibt. Man kann solche Forderungen stellen, sollte sich aber keinen Illusionen hingeben. Denn mit den westlichen Werten tat sich schon die vergleichsweise modern orientierte Regierung unter Präsident Aschraf Ghani schwer.

Die Koppelung von Hilfe an gute Regierungsführung ist eine Methode, die die Bundesregierung inzwischen weltweit in der Entwicklungszusammenarbeit einsetzt. Das ist zweifellos viel besser, als Geld an Staaten zu überweisen, ohne weitere Fragen zu stellen. Aber von der naiven Vorstellung, das eigene System mit militärischen Mitteln eins zu eins in andere Länder exportieren zu können, sollte der Westen spätestens mit Afghanistan geheilt sein.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik