Besonders in französischen Medien wird in diesen Tagen eine schwere Krise in den deutsch-französischen Beziehungen herbeigeschrieben. Von einem Ende des besonderen deutsch-französischen Paares in Europa ist die Rede, weil Deutschland angeblich eigensüchtig und rücksichtslos über französische Interessen hinwegtrampelt.
Das ist völlig übertrieben und trifft den Kern der deutsch-französischen Beziehungen nicht. Verstimmungen, Meinungsverschiedenheiten und auch politische Krisen zwischen Paris und Berlin hat es immer wieder gegeben, zwischen Präsident Chirac und Kanzler Schröder, zwischen Präsident Sarkozy und Kanzlerin Merkel, und jetzt eben zwischen Präsident Macron und Kanzler Scholz.
Natürlich haben die Regierungen in Sachfragen immer wieder unterschiedliche Interessen, die irgendwie in Kompromissen ausgeglichen werden werden müssen. Den Kern aber, die Freundschaft zwischen beiden Staaten, die den Motor für die Europäische Union bilden, berührt das nicht.
Streit um Energiepolitik
Beide Seiten wissen, dass sie zur Zusammenarbeit geradezu verpflichtet sind, zum Wohle ihrer eigenen Länder und zum Wohle des weiteren Europas. Weder Frankreich noch Deutschland können es alleine schaffen. Das weiß der französische Präsident, und das weiß auch der Bundeskanzler.
Der Streit um die richtige Energiepolitik mitten in der Krise ist tatsächlich ärgerlich. Er verunsichert die Nachbarn und legt offen, dass im Berliner Krisenmanagement vieles nicht rund läuft.
Die Kritik der Franzosen am 200 Milliarden Euro Hilfspaket der Deutschen ist allerdings überzogen. Denn auch Frankreich hat bislang 120 Milliarden Euro für vergleichbare Hilfen vorgesehen.
Versäumte Absprachen
Wohl aber hätte die deutsche Seite mit der französischen Regierung vor den Beschlüssen sprechen können. Und auch Paris hat es versäumt, sich mit Berlin über Sinn und Unsinn von Gaspreisdeckeln auf Importe abzusprechen und sich lieber einer Gruppe von 14 gleichgesinnten EU-Staaten angeschlossen, ebenfalls ohne sich vorher mit dem größten Partner abzusprechen, der dazu eine andere Meinung hat. Immerhin wurde beim EU-Gipfel auch von Macron und Scholz vereinbart, dass man eine Lösung finden wolle.
Tief ist die Verärgerung in Frankreich über deutsche Alleingänge in der Rüstungspolitik, vor allem weil französische Firmen bei den deutschen Milliarden für Waffen noch leer ausgehen. Deutsche Geschäfte mit China werden ebenfalls als gefährlich kritisiert. Präsident Macron sieht sein Konzept der europäischen Souveränität oder Unabhängigkeit in Gefahr.
Deutschland kauft in den USA und Israel ein, weil die Waffen schon marktreif und verfügbar sind. Es gehe nicht um europäische Souveränität, heißt es zur Erklärung aus Berlin. Macron bricht ebenfalls nach China auf, um die Wirtschaftsbeziehungen zu pflegen. Jeder geht seinen Interessen nach. Das ist bis zu einem gewissen Punkt auch ganz normal.
Präsident Macron und Kanzler Scholz müssen nun den gemeinsamen deutsch-französischen Nenner neu definieren, besser kommunizieren und sich dann an die Absprachen halten. Sie müssen den verunsicherten Europäern, die geeint sein wollen in der Abwehr russischer Aggression, Vertrauen darin geben, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit als Basis der EU funktioniert.
Kompromisse statt Konfrontation
Was sollte sie auch ersetzen? Ein Bündnis mit dem rechtsextrem regierten Italien oder dem nationalistisch regierten Polen? Definitiv keine Alternative.
Der 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Elysee-Vertrags am 22. Januar ist ein gutes Datum für die verschobenen Regierungskonsultationen. Spätestens dann müssen Frankreich und Deutschland wieder klar sagen: Vive l'amitié! Es lebe die Freundschaft!
Dem deutschen Kanzler stünde etwas mehr Begeisterung für französische Europa-Visionen gut zu Gesicht. Der französische Präsident muss mehr Verständnis zeigen für den pragmatischen deutschen Versuch, Inflation und Rezession zu bekämpfen. Kompromisse sind nötig, nicht Konfrontation.