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Politik

Das ist das Ende der Demokratie in Hongkong

Winkekatze Maneki-neko
Dang Yuan
11. März 2021

Der Volkskongress hat eine neue Wahlordnung für Hongkong beschlossen, damit dort Peking-treue Kräfte sicher jeden Urnengang gewinnen. Das ist keine Demokratie mehr, es sieht nur noch so aus, meint DW-Redakteur Dang Yuan.

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China Peking | Eröffnung Jahrestagung Volkskongress
Das Scheinparlament der Volksrepublik China - der Nationale VolkskongressBild: Leo Ramirez/AFP/Getty Images

Den roten Parteitheoretikern in Peking hat es nie an Fantasie gefehlt, wenn es darum geht, das Unmögliche möglich zu machen. Sie schufen neue Ideen aus Widersprüchen, um ihre Alleinherrschaft zu legitimieren. Die chinesische Verfassung sieht in der Präambel vor, dass China eine "demokratische Diktatur durch das Volk" ist. Die geltende volkswirtschaftliche Grundordnung lautet "sozialistische Marktwirtschaft", die privaten Besitz (Markt) mit Streben im Kollektiv (Sozialismus) verbindet.

Oder in der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong: "Ein Land, zwei Systeme", "Verwaltung von Hongkong durch Hongkonger" und "hochgradige Selbstverwaltung" sind die Grundsätze, auf die sich China und Großbritannien geeinigt haben, bevor die Metropole 1997 an China übergeben wurde. Diese Grundsätze mündeten im Hongkonger Grundgesetz, dem Basic Law, das internationalen demokratischen Standards entspricht.

Keine Volkssouveränität

Das Basic Law hat jedoch einen Haken: Zwar sieht das Gesetz direkte und allgemeine Wahlen des Parlaments und der Verwaltungsspitze (Chief Executive) vor. Aber ein Zeitplan ist nirgendwo festgelegt. Daraus ergibt sich Spielraum für Peking.

Weltspiegel 01.03.2021 | Hongkong | Protest für Demokratie
Der demokratische Protest in Hongkong geht weiterBild: Tyrone Siu/REUTERS

Freie und repräsentative Wahlen gelten als Messlatte für jede Demokratie. In Hongkong finden tatsächlich Wahlen statt, aber stets mit einem unsichtbaren Player. Sein Name taucht nirgendwo auf. Er unterhält lediglich ein Kontaktbüro, aber zieht dennoch überall die Fäden. Er will alles unter Kontrolle haben, um selbst leiseste Kritik schon im Ansatz abzuwürgen. Und sein Name ist KPCh, die Kommunistische Partei Chinas.

Peking verhindert die Volkssouveränität in Hongkong. Denn nur die Hälfte des 70-köpfigen Stadtparlaments wird direkt gewählt, die andere Hälfte durch gesellschaftliche Gruppen berufen. Die Verwaltungschefin muss durch eine chinafreundliche Kommission bestätigt werden. Die nächsten Parlamentswahlen stehen mit einem Jahr Verzögerung wegen Corona im September an. Die Verwaltungschefin wird 2022 neu gewählt.

Wer gilt als "Patriot"?

Der Beschluss, der am Donnerstag bei 2895 Ja-Stimmen und einer Enthaltung verabschiedet wurde, sieht vor, dass alle Kandidaten für die kommenden Parlamentswahlen und die Wahl des Verwaltungschefs von derselben Kommission auf Gesinnung geprüft und erst dann zugelassen werden. Die Kommission darf darüber hinaus sogar Parlamentsabgeordnete direkt wählen. Um die Wortwahl der Propaganda aufzugreifen: "Menschen, die das Land lieben, regieren über Hongkong." Also nicht jene, die Hongkong lieben, sondern die Autokratie!

Oppositionelle Parteien aus dem demokratischen Lager gehören nach Pekinger Lesart nicht zu den "Patrioten". Denn die kritisieren ja die obrigkeitshörige Hongkonger Verwaltung und fordern das Recht allgemeiner, freier Wahlen entsprechend dem Basic Law. Aus dem Hongkonger Stadtparlament will Peking einen Abnick-Verein wie den Nationalen Volkskongress formen. Vor der Rückgabe 1997 hatte China den Rechtsstaat in Hongkong versprochen - aber nicht, wer die Gesetze macht.

Nationales Recht bricht regionales Recht

In den vergangenen Jahren wurde in Hongkong der Ruf nach direkten Wahlen immer lauter. Die chinatreue Mehrheit im Stadtparlament gilt deswegen bei den nächsten Wahlen als nicht mehr gesichert. Deswegen greift die KPCh, die im Nationalen Volkskongress die absolute Mehrheit hat, jetzt zur Ultima Ratio: der zentralen Gesetzgebung für die untergeordnete Sonderverwaltungszone Hongkong durch Peking. Das Basic Law wurde von Anfang an in den Rahmen der chinesischen Verfassung gestellt - nationales Recht bricht eben regionales Recht.

China I Proteste in Hongkong
Festnahmen aus politischen Gründen sind in Hongkong inzwischen an der TagesordnungBild: picture-alliance/dpa/K. Cheung

Aber die Praxis ist ein offensichtlicher Verstoß gegen den Grundsatz "Verwaltung Hongkongs durch Hongkonger" und damit gegen eine völkerrechtliche Vereinbarung zwischen China und Großbritannien. Wie können die Abgeordneten in der Großen Halle des Volks über die Hongkonger Wahlordnung bestimmen? Sie sind in der weit überwiegenden Mehrheit weder von Hongkongern gewählt, noch verstehen sie überhaupt den Hongkonger Dialekt!

Die unterschätzten Autokraten

Der Volkskongress hat bereits im vergangenen Jahr ein Gesetz für Hongkong beschlossen: das sogenannte "Sicherheitsgesetz". Politiker der Opposition werden seit dem Inkrafttreten am 30. Juni 2020 eingeschüchtert. Viele von ihnen wurden inzwischen rückwirkend wegen vermeintlicher "Gefährdung der Staatssicherheit" vor Gericht gestellt und inhaftiert. Andere wanderten fluchtartig aus.

Die Mütter und Väter des Hongkonger Basic Laws wollten mit dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme" Stabilität und Prosperität in Hongkong sichern. Sie haben bei diesem demokratischen Experiment völlig unterschätzt, dass die Autokraten im zentralistischen China am deutlich längeren Hebel sitzen. Denn diese wollten den Menschen in Hongkong vermutlich nie ernsthaft das gönnen, auf was sie nach Ende der britischen Kolonialzeit redlich gehofft hatten: echte Demokratie und Selbstverwaltung.

DW-Redakteur Dang Yuan schreibt zum Schutz für sich und seine Familie unter Pseudonym.