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Politik

Demokratien, schaut auf dieses Land

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Ines Pohl
3. Juni 2021

Wahlrechtsreformen in vielen republikanisch regierten US-Bundesstaaten unterhöhlen die bürgerlichen Grundrechte, vor allem von Schwarzen. Ein existenzieller Angriff auf die Demokratie, meint Ines Pohl.

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Das Weiße Haus in Washington, angestrahlt in rot, weiß und blau, den Nationalfarben der USA
Wer hier residiert, repräsentiert alle Amerikaner - unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion oder HerkunftBild: picture-alliance/dpa/AP/A. Brandon

Vordergründig scheint es nicht mehr zu sein, als das klassische Machtgeschacher, das die Welt aus den USA nicht zuletzt dank vieler Netflix-Serien zu kennen glaubt. In diesem Zwei-Parteien-Land gehört es zum schlechten Stil, die jeweils andere Partei mit allen Mitteln auszubremsen; politischen Erfolg der regierenden Partei zu verhindern, um dann die Mehrheit bei den Zwischenwahlen in mindestens einem, wenn nicht zwei Häusern zurückzugewinnen. Eine Taktik, die in der Vergangenheit auch von demokratischen Politikern angewandt wurde. Das sollte nicht vergessen werden.

Was sich derzeit in den USA abspielt, ist allerdings grundsätzlicher, existenzieller. Nach vier Jahren Trump und einer Republikanischen Partei, die weiterhin fest in seinem Lügengebilde gefangen ist, steht nicht weniger als das politische System auf dem Spiel. Das mag überspitzt klingen, ist es aber nicht.

Schwarze am Wählen hindern

Eine Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass alle Bürgerinnen und Bürger frei und geheim wählen dürfen - ausgestattet mit denselben Rechten, unabhängig von Herkunft, sexueller Orientierung, Religion, Alter oder Einkommen. Genau dieses Recht wird derzeit unterhöhlt. In bereits 14 US-Bundesstaaten haben die jeweiligen republikanischen Regierungen die Wahlgesetzgebung geändert. Und eine Reihe mehr ist auf dem Weg dahin. Mit dem Ziel, die Einflussmöglichkeit von Schwarzen und anderen Minderheiten auf den Wahlausgang zu minimieren und den Machterhalt der republikanischen Partei zu sichern. In einem Land, in dem die weiße Mehrheit in wenigen Jahren Vergangenheit ist, versucht die Partei so, ihre Zukunft zu sichern.

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Ines Pohl leitet das DW-Studio in WashingtonBild: DW/P. Böll

Entsprechend werden Wahlkreise anders zugeschnitten, eine Ausweispflicht kreiert, ältere Unterschriften für ungültig erklärt, die Briefwahl abgeschafft oder erschwert. Der Staat Texas geht sogar so weit, dass nicht mehr am Sonntagmorgen gewählt werden darf. Das ist die klassische Wahlzeit für viele Schwarze, die ihr demokratisches Bürgerrecht mit dem Kirchgang verbinden.

Am gefährlichsten aber sind die Gesetzesreformen, die es den Vorsitzenden der Wahlkommission deutlich einfacher machen, Wahlen einfach für ungültig zu erklären. Zur Einordnung: Eine breite Mehrheit der Republikaner behauptet bis heute ohne jeden Beweis und entgegen allen Nachzählungen, dass eigentlich Donald Trump die Präsidentschaftswahl im vergangenen November gewonnen habe.

Was alles auf dem Spiel steht

Das sind ausgesprochen düstere Aussichten mit kaum abzuschätzenden Folgen. Nicht nur für die kommenden Zwischenwahlen Ende 2022, sondern auch die Präsidentschaftswahl 2024. Denn am Ende müssen die beiden Kammern, der Senat und der Kongress, die Wahl des sogenannten Electoral College (die Versammlung der Wahlmänner und -frauen) absegnen, damit der vom Volk gewählte Präsident auch tatsächlich das Amt übernehmen kann.

Der 6. Januar, an dem Donald Trumps Anhänger mit dem Sturm auf das Kapitol genau diesen Prozess unterbinden wollten, hat gezeigt, was möglich ist. Die demokratischen Kräfte innerhalb der Vereinigten Staaten sind seither aufgeschreckt und erkennen, was auf dem Spiel steht.

Alle Demokratien sollten genau hinschauen

Die Demokratien in aller Welt sollten die Situation in den USA genau beobachten und unbedingt Lehren daraus ziehen:

1.   Ein bisschen antidemokratisch gibt es nicht. Wer aus Machtkalkül Koalitionen mit antidemokratischen Personen und Parteien eingeht, hat verloren. Die Republikaner erleben, dass sie den populistischen Geist Donald Trumps nicht mehr einfangen können.

2.   Niemand findet eine Antwort darauf, wie die in sich geschlossenen Informations-Blasen in den Sozialen Medien aufgebrochen werden können. Die USA sind ein erschütternder Beleg, wie schnell Fakten durch Lügen ersetzt werden können, wenn sie das jeweils eigene Weltbild untermauern.

3.   Glaubwürdigkeit von Politikern fängt mit dem Respekt gegenüber den Wählern an. Donald Trump wurde auch möglich durch die Arroganz der liberalen politischen Elite, die die Sorgen vieler Amerikaner schlicht ignoriert hat.

4.   Demokratien können nur mit unabhängigen, kritischen und dialogfähigen Medien überleben, die in der Lage sind, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen.

5.   Und das wichtigste überhaupt ist die Ausbildung junger Menschen: der Erwerb von Medienkompetenz und die Förderung der Lust am eigenen Denken. In den Schulen fängt alles an. Aber genau hier kann auch alles aufhören.

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Ines Pohl Büroleiterin DW Studio Washington@inespohl