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Papst und Kirche verlieren Vertrauen

24. September 2021

Vorhang zu und viele Fragen offen. Papst Franziskus schwächt mit seiner Entscheidung zu Köln den deutschen Katholizismus und nicht zuletzt auch seine eigene Autorität, meint DW-Kirchenexperte Christoph Strack.

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Rainer Maria Kardinal Woelki, Kölner Erzbischof, mit schwarzem Mantel über dem roten Talar und FFP2-Maske, allein vor einer stählernen Wand am Kölner Dom
Er bleibt, aber erst einmal nicht. Der Papst schickt Kardinal Woelki in eine halbjährige AuszeitBild: Christoph Hardt/Geisler-Fotopress/picture alliance

Dieser Papst ist ein Aufklärer, einer, der Verantwortlichkeiten anmahnt, der sich den Opfern zuwendet. Dieser Papst mistet aus wie kaum ein anderer zuvor… - viele große Worte gelten Papst Franziskus, seitdem das Konklave ihn im März 2013 zum Nachfolger des Heiligen Petrus wählte.

Und große Worte gibt Franziskus zurück. Im Wim-Wenders-Film "Papst Franziskus - ein Mann seines Wortes" von 2018 geht es irgendwann mal um sexuellen Missbrauch an Kindern. Franziskus verurteilt ihn mit einem geradezu fixierten Blick entschieden. Und er sagt "zero tolerance, zero tolerance".

Viele Varianten der Toleranz

Wo fängt Toleranz an? Bei der Täterschaft? Nein. Beim Wegschauen? Bei der vorsätzlichen oder fahrlässigen Vertuschung? Indem man Opfer erneut zu Opfern macht? In der Kirche, einem System von Netzwerken und Macht, das gleichwohl die Machtlosigkeit systemisch prunkvoll zelebriert, gibt es da viele Varianten.   

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
DW-Kirchenexperte Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Bei einigen Gelegenheiten hat Papst Franziskus sehr deutliche Aussagen zum sexuellen Missbrauch durch Kleriker, durch Männer und Frauen der Kirche verwendet. Geistliche und Ordensleute, die geschützt waren durch die Struktur der Kirche und die Aura des jeweiligen Amtes.

Anfang 2019 lud er zu einem in dieser Form einmaligen Anti-Missbrauchsgipfel in den Vatikan, es war wegen weltweiter Vergehen ein weltweites Ereignis mit weltweiter Aufmerksamkeit. "Kein Missbrauch darf jemals vertuscht - so wie es in der Vergangenheit üblich war - oder unterbewertet werden", sagte Franziskus. Das Vertuschen fördere die Ausbreitung dieses Übels und schaffe eine neue Skandalebene. Aber konkreter wurde er nicht. Was schon damals viele enttäuschte.

Im Strudel des Vertrauensverlustes

Und nun der Ernstfall im Erzbistum Köln, einer von vielen Ernstfällen in der Weltkirche. Seit März 2021 ist durch eine in erzbischöflichem Auftrag erstellte Studie belegt, dass über Jahrzehnte in einer der wichtigsten und weltweit finanzstärksten Diözesen Probleme vertuscht, Täter versetzt und Akten versteckt wurden. Mehrere mit dem Kölner System verbundene Bischöfe wurden beurlaubt. Kölns Kardinal Woelki stand unter verschärfter Beobachtung.

Aber über die einzelnen Fälle hinaus, über die beteiligten Kleriker und Entscheidungsträger hinaus stürzt die katholische Kirche im gesamten Land in einen Strudel des Vertrauensverlustes. Dieser verändert die Kirche, und er wird sie weiter verändern. "Vertrauen - dieses schwerste ABC", schrieb die deutsche Lyrikerin Hilde Domin (1909-2006) einmal. Verlorenes Vertrauen kann man weder erneut anordnen noch herbeibeten. Auch deshalb sind die zahlreichen Kirchenaustritte in Deutschland auch gewiss Vertrauensverlust.

Entlarvendes Schreiben des Papstes

In der Bewertung der Kölner Akteure hat sich der Papst lange Zeit gelassen. Nun gibt es für keinen der beteiligten vier Bischöfe dauerhafte persönliche Konsequenzen. Ja, das Schreiben des Papstes zur Lage im Erzbistum Köln ist geradezu entlarvend. Von Opfern und Betroffenen des Missbrauchs ist kaum, eigentlich gar nicht die Rede. Franziskus erwähnt "große Fehler" Woelkis, um dann "seine Treue zum Heiligen Stuhl" herauszuheben. Die Frage einer moralischen Verantwortung bleibt außen vor. Derweil sieht Franziskus, dass auch das "Erzbistum" - wer auch immer das sein mag - "einer Zeit des Innehaltens, der Erneuerung und Versöhnung" bedürfe. Sollen sich die Gläubigen doch im Gehorsam ihr Vertrauen zurückbeten… 

Von "Neuanfang" ist die Rede und von "Versöhnung", von der "Einheit der Kirche". Aber bei all dem klingt mit, dass Franziskus - um noch einmal Wim Wenders zu zitieren - einfach der "Mann seines Wortes" ist. Die Taten jedoch fehlen. Weder Neuanfang noch Versöhnung kann man verordnen oder anweisen. Zum Neuanfang gehört ein Bedenken der Strukturen klerikaler Macht. Das ist überfällig.

Roma locuta - basta?

Es gibt ein geflügeltes Wort im katholischen Milieu: "Roma locuta, causa finita", "Rom hat entschieden, die Sache ist erledigt". Das Wort steht für die Unanfechtbarkeit päpstlicher Entscheidungen. Im heutigen Deutsch würde man "basta" sagen. Das Wort wird gerne zitiert, weil es wohl früher Wirkung entfaltete. Und heute? Ist es einfach nur von gestern.

Die Entscheidungen des Papstes sind für die katholische Kirche in Deutschland eine Ernüchterung. Wieder einmal. Dieser Papst Franziskus, der aus der Ferne Argentiniens kam und mit seiner persönlichen Ausstrahlung für die Glaubwürdigkeit und Zeugenschaft von Kirche eintrat, wird das Vertrauen weiterer Gläubiger verlieren. Vertrauen darin, dass die katholische Kirche noch unterwegs ist mit den Menschen der Moderne.