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PolitikEuropa

Der Kampf gegen Orban ist ein Kampf für die Demokratie

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
24. November 2022

Lange hat die EU gezögert und sich von Viktor Orban vorführen lassen: Jetzt aber friert sie Milliardenzahlungen für Ungarn ein. Nun müssen auch die Staats- und Regierungschefs mitziehen, meint Barbara Wesel.

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Viktor Orban, Ministerpräsident Ungarn mit "Großungarn-Schal" im Gespräch mit einem jungen Mann in der Lounge eines Sportstadions
"Das ist eine gute Sache" - mit dieser Bildunterschrift und einem Groß-Ungarn-Schal zeigte sich Orban auf FacebookBild: facebook.com/orbanviktor

Wie alle Egomanen braucht Viktor Orban ständig Aufmerksamkeit. Jüngst hing er sich einfach einen Schal mit dem Umriss des alten Groß-Ungarischen Reiches um den Hals. Putins imperiale Träume und dessen Krieg in der Ukraine bewundert er ja sowieso. Da wollte der Puszta-Zar wohl zeigen, dass auch er Herrscher eines längst untergegangenen Imperiums ist. Die Nachbarländer ließen sich provozieren und reagierten erbost. Dabei ist diese Show völlig lächerlich. Das 10-Millionen-Land Ungarn wird niemanden überfallen und die Grenzen von 1922 sind längst Geschichte. Die Aktion ist nichts als blanke Geltungssucht: Der kleine Ungar wäre so gerne größer - physisch wie politisch.

Endlich, nach Jahren der hilflosen Kritik und des folgenlosen Jammers hat sich die EU-Kommission, getrieben auch vom Europäischen Parlament, jetzt dazu entschlossen, Viktor Orban vorläufig das Geld zu sperren. Über 13 Milliarden Euro aus Struktur- und Corona-Wiederaufbaumitteln liegen auf Eis, bis er einen umfangreichen Reformkatalog ernsthaft umsetzt. Dazu gehört ein Ende der Korruption bei öffentlichen Aufträgen, die Wiederherstellung einer unabhängigen Justiz und vieles mehr. Viktor Orban muss den Demokratieabbau in seinem Land zumindest teilweise rückgängig machen.

Bisher hat er zwar ein paar vage Versprechen abgegeben, aber keine der Forderungen wirklich umgesetzt. Das könnte ihn schließlich die Macht kosten. Andererseits braucht er dringend das Geld aus Brüssel. Also reagiert er wieder einmal mit Erpressung und droht, die 18 Milliarden Unterstützung für die Ukraine zu blockieren. Das gleiche gilt für die globale Mindeststeuer und den NATO-Beitritt von Finnland und Schweden, den er bisher grundlos verzögert. Orban zockt wieder einmal. Aber man kann hoffen, dass die EU seinen Bluff endlich enttarnt

Die EU hat das Monstrum selbst herangezogen

Mehr als ein Jahrzehnt lang haben sich die europäischen Institutionen von dem Ungarn am Ring durch die Mange ziehen lassen. Sie schauten zu, als er seinen Staat in eine "gewählte Autokratie" umbaute, waren schockiert als er die anti-liberale Demokratie ausrief und leisteten keinen Widerstand, als er die Pressefreiheit abschaffte, die Justiz unter seine Kontrolle brachte und die Korruption zum Staatszweck erhob. Längst gibt es keine Zweifel mehr, dass Viktor Orban die sogenannten europäischen Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit Füßen tritt und lächerlich macht.

Und er versteckt sich dabei nicht. Der ekelhafte Antisemitismus in seinen Wahlkämpfen, der offene Rassismus und die zur Schau gestellte Fremdenfeindlichkeit seiner Politik, die Diskriminierung von Minderheiten und Andersdenkenden - all das spielte sich offen und vor aller Augen ab. Europa hat das viel zu lange geduldet und unter politischer Folklore verbucht.

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DW-Europakorrespondentin Barbara Wesel

Bekanntermaßen sind die Christdemokraten im Europaparlament mit schuld daran, die Orban jahrelang als einen der Ihren deckten, wie auch die frühere Bundeskanzlerin, die ihn als einen ihrer handsamen Freunde in Osteuropa behandelte. In diesem Windschatten wurde Orban zum Schutzherrn antidemokratischer, nationalistischer und autoritärer Kräfte in Europa. Seine besten Freunde sind die Rechtspopulisten in Frankreich, Italien oder den Niederlanden. Von Geert Wilders bis Matteo Salvini pilgerten sie alle nach Budapest, um sich von Orban in den Klub der autoritären Möchtegern-Herrscher aufnehmen zu lassen. Bis zum Krieg in der Ukraine gehörte auch die polnische Regierungspartei PiS zu den besten Freunden der Ungarn. Inzwischen ist das Verhältnis abgekühlt.

Widerstand in letzter Minute

Viktor Orban hat seine kleine Autokratie mit europäischen Steuergeldern finanziert und im Laufe der Jahre Abermilliarden aus Brüssel kassiert. Damit hat er sich, seiner Familie und seinen politischen Freunden die Taschen gefüllt. Warum aber haben sich die Europäer von Orban so lange zu Trotteln machen lassen? Es war eine Mischung aus falscher Toleranz gegenüber einem besonderen "osteuropäischen Weg" und Angst vor Erpressung, die Orban immer dann einsetzte, wenn ihm Strafen drohten.

Dabei gibt es Lösungen. Entweder raffen sich die Mitgliedsländer endlich auf und entziehen Orban das Stimmrecht oder sie finden andere Lösungen. Indem sie etwa Beschlüsse nur als zwischenstaatliche Verträge unter 26 Staaten - also ohne Ungarn - fassen. Dafür gibt es Juristen, die Wege aus dem Korsett der europäischen Verträge finden könnten.

Wenn Europa seine Demokratie nicht endlich aktiv verteidigt, dann wird es sie verlieren. Der Kurs der neuen rechtsextremen Regierungschefin in Italien ist eine Warnung für alle, die glaubten, man müsse die Nationalisten und Populisten in der EU nicht so ernst nehmen. Viktor Orban und seine autoritäre Demagogie haben mit dafür gesorgt, dass rechtsextremes Gedankengut wieder salonfähig ist und humanistische Werte in Frage gestellt werden dürfen. Der Ungar hat das Wasser vergiftet und den Boden der demokratischen Gemeinsamkeit in Europa mit Fäulnis infiziert. Es liegt in der Hand der EU-Regierungschefs, diese Gefahr in den eigenen Reihen bei ihrem Gipfeltreffen im Dezember endlich unschädlich zu machen.