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Der Silberstreif am Horizont

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Jens Thurau
15. Dezember 2020

Nach fast einem Jahr mit der Corona-Pandemie liegen auch in Deutschland die Nerven blank. Nichts zeigt das deutlicher als die hektische Debatte um den Zeitpunkt der Impfstoff-Zulassung, meint Jens Thurau.

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Coronavirus - Impfzentrum Düsseldorf
Bild: Federico Gambarini/dpa/picture-alliance

Jetzt also doch schon früher: Am 21. Dezember soll offenbar der Corona-Impfstoff der Firmen Biontech und Pfizer auch in Deutschland zugelassen werden, geimpft werden kann dann wohl aller Wahrscheinlichkeit nach vom 27. Dezember an. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA wird also noch vor Weihnachten ihre lange ersehnte Empfehlung für die Zulassung aussprechen, auch wenn letzte Details noch fehlen. Gut so, endlich. Denn jeder Tag zählt.  

Eine hektische Debatte

Dieser Meldung waren hektische Tage vorangegangen. In Großbritannien, den USA und Kanada ist der Impfstoff bereits zugelassen und wird verabreicht, in Deutschland aber wurden immer wieder verschiedene Zeitpunkte für eine mögliche Zulassung genannt. Das hat die Nerven der Menschen strapaziert, die zu Recht fragten, was genau die Behörden gerade eigentlich Wichtigeres zu tun haben, als auf eine rasche Zulassung hinzuarbeiten. 

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DW-Redakteur Jens ThurauBild: DW

Weg der EU-Zulassung war richtig

Eines vorweg: Dass Deutschland von Anfang an auf eine gemeinsame europäische Zulassung und ein, wie Gesundheitsminister Jens Spahn es nennt, "ordentliches Verfahren" gesetzt hat, dafür gab und gibt es gute Gründe. Spahn hat Recht, wenn er sagt, dass sich der europäische Geist, wenn es ihn in der EU noch gibt, gerade in Krisenzeiten zeigt, im solidarischen Handeln miteinander. Und dass sich nationale Alleingänge wie der der Briten deshalb verbieten. Richtig ist offenbar auch, das sagen immer wieder viele Experten, dass die Zulassung etwa in den USA bei weitem nicht so gründliche Tests und Prüfungen im Vorfeld erfordert hat wie jetzt in der EU.

Die ärgerliche Angst vor dem eigenen Volk

Und doch hatte sich die Frage des Impfzeitpunkts zu einer ärgerlichen Debatte entwickelt, auch die Politik ist daran nicht ganz schuldlos. Der Eindruck war, dass in der Regierung, auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Furcht groß war, dass die Menschen den Beginn der Impfungen quasi mit dem Ende der Pandemie gleichsetzen würden. Und nachlässig würden beim Tragen von Masken, beim Abstand-Halten. Also wurden die möglichen Erfolgsaussichten des Impfstoffes eher herunter geredet. Und Spahn selbst berichtete am Mittwoch noch von einer weiteren Erwägung, die zeigt, unter welch immensem Druck die Verantwortlichen stehen: Hätte Deutschland den von einer deutschen Firma mit entwickelten Impfstoff zunächst im Inland zugelassen, im Alleingang (was möglich gewesen wäre), dann, so Spahn, hätten sich die Menschen doch sicher beschwert, dass man sie als Versuchskaninchen benutzen wollte. So unsicher sind sie geworden, die Politiker, im Umgang mit dem eigenen Volk. Dazu passt, dass Spahn nun eine Bestätigung für den Termin am 21. Dezember durch die EMA nicht mehr abwarten wollte. So setzt der zuständige Minister des größten EU-Landes die Behörde unter Druck, bis kurz vor Weihnachten die allerletzten Details der Zulassungs-Empfehlung auch wirklich zu klären.

Was für eine großartige Leistung

Die Entwicklung des Impfstoffes, der nun also auch in Deutschland und der EU kurz vor der Anwendung steht, ist aber zu Recht die große Hoffnung der Menschen, und seine Entwicklung in weniger als einem Jahr ist eine großartige Leistung. Der Zeitpunkt kurz vor Weihnachten kommt gerade noch rechtzeitig, um eine hitzige Debatte darüber zu vermeiden, warum denn in einigen Ländern der auch aus Deutschland stammende Impfstoff schon angewandt wird, im eigenen Land aber noch nicht.

Der Lockdown bleibt weiter richtig

Die Debatte insgesamt aber wird hitzig bleiben. Im Moment können Biontech und Pfizer weniger Impfdosen liefern als zunächst gedacht, hoffentlich führt das nicht zu neuen, wilden Verschwörungsgedanken. Aber der Silberstreif am Horizont ist da. Hoffentlich schaffen wir es jetzt, das Ganze zügig, nachvollziehbar und solidarisch anlaufen zu lassen. Erst die Hochrisikogruppen, dann das medizinische Personal. Und wir müssen offen bleiben für Unwägbarkeiten, die es geben wird. Für unerwünschte Nebenwirkungen etwa. Noch ist auch unklar, ob ein erfolgreich geimpfter Mensch das Virus nicht dennoch übertragen kann. Und, ganz wichtig: Das Land muss weiter stillstehen, über Weihnachten und mindestens bis zum 10. Januar, wahrscheinlich länger. Die Pandemie ist nicht ausgestanden, noch lange nicht. Trotz der guten Nachricht vom Dienstag.