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Die EU braucht keine zweite Angela Merkel

DW MA-Bild Cristina Burack
Cristina Burack
6. September 2021

Angela Merkel verabschiedet sich demnächst von der EU-Bühne. Und das ist auch gut so, meint Cristina Burack. Denn ein neuer Politikstil ist notwendig, um die vielen Herausforderungen zu bewältigen.

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Angela Merkel von hinten fotografiert
Kommt nach Angela Merkel ein neuer Politikstil? Die EU hätte es nötigBild: Stefanie Loos/AFP/Getty Images

Nach der Bundestagswahl am 26. September, wenn Angela Merkel nach 16 Jahren als Bundeskanzlerin endgültig abtritt, wird sich die Europäische Union von ihrem dienstältesten Regierungschef verabschieden.

Im Klartext: Merkel ist seit langem ein wichtiger Akteur auf EU-Ebene. Sie hat gewaltige Krisen miterlebt und bewältigt, und sie hat dazu beigetragen, den Laden in einigen seiner schwierigsten Stunden zusammenzuhalten. Letztendlich handelte die Kanzlerin immer im Sinne der EU - aber oft erst nachdem sie sich so lange wie möglich vor Entscheidungen gedrückt hatte. Nicht umsonst wurde das Wort "merkeln" zum Jugend-Wort des Jahres 2015 gekürt.

16 Jahre nur reagiert

Merkel war zwar stets eine verlässliche Verfechterin der EU-Werte, dennoch zauderte sie zu oft und lenkte erst dann ein, wenn es keine andere Option mehr gab.

DW-Redakteurin Cristina Burack
DW-Redakteurin Cristina BurackBild: DW/P. Böll

Viele dieser Entscheidungen waren umstritten, aber auch mutig. Während der Finanzkrise in der Eurozone und in Griechenland widersetzte sich Merkel schließlich sowohl dem Dogma ihrer auf Haushaltsdisziplin fixierten CDU als auch der Stimmung in der deutschen Bevölkerung, um Griechenland zu retten. Zuvor hatte sie jedoch vehement behauptet, ein solcher Schritt käme nicht in Frage. Erst als die EU vor einem finanziellen Kollaps stand, rang sie sich zu den Maßnahmen durch.

Die harten Sparauflagen für Griechenland und die Hilfspakete für andere angeschlagene südliche Mittelmeerländer wurden dort als Beweis betrachtet, dass Merkel anderen Ländern den "deutschen Weg" aufzwinge - fernab jeder Solidarität in der EU. Ich erinnere mich an Gespräche in meiner eigenen spanischen Familie, die sich bitter beklagte, dass die Deutschen bei ihren Pauschalurlauben am Strand weiterhin von den niedrigen Kosten in Spanien profitierten, während die Spanier mit Kürzungen der öffentlichen Ausgaben und hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen hatten.

Als dann 2015 eine Million syrische Asylbewerber in Europa Schutz suchte, traf Merkel die politisch mutige und moralisch korrekte Entscheidung, die deutschen Grenzen nicht zu schließen. Aber auch hier reagierte sie nur. Sie traf ihre Entscheidung erst, als klar war, dass die Versuche, sich auf ein EU-weites Verteilungskontingent zu einigen, scheitern würden und überforderte EU-Staaten wie Ungarn Zehntausende von Asylbewerbern in Richtung Deutschland weiterreisen ließen.

Zuletzt kam ihr Ja zu den Corona-Bonds, also zur Schuldenverteilung auf EU-Ebene - ein Gräuel für Merkel während ihrer gesamten Amtszeit als Bundeskanzlerin - erst nach etlichen Absagen. Es ist vor allem unverständlich, dass sie ihr Nein anfangs auch und gerade angesichts einer beispiellosen pandemiebedingten Rezession aufrechterhielt.

Merkel ist stets darauf bedacht, den Status quo aufrechtzuerhalten - sie ist eben konservativ. Sie ist nicht bereit, einen Schritt vorwärts zu machen, bevor sie nicht mit dem Rücken zur Wand steht. Aber dieser Stil reicht nicht mehr aus.

Gesucht: Visionäre Führungskraft aus Deutschland

Merkels Nachfolger(in) muss eine proaktive, visionäre Führungsrolle übernehmen, um die Herausforderungen der EU zu meistern. Und auch wenn sich einige Deutsche aus historischen Gründen unwohl dabei fühlen, als Motor der europäischen Politik zu agieren, gibt es einen Unterschied zwischen Machtausübung und Führung. Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Europäer heute Berlin als ihre "Go-to"-Hauptstadt sehen.

Die EU braucht jemand, der nicht nur im Team spielen, sondern es auch führen kann. Er oder sie muss in der Lage sein, die Herausforderungen aktiv anzugehen, anstatt unüberlegt auf sie zu reagieren - denn Herausforderungen gibt es genug.

Angesichts der Klimakrise muss eine politische Führungskraft im globalen Maßstab mutig handeln.

Russlands unnachgiebige Haltung erfordert einen Politiker-Typ, der potenzielle Auseinandersetzungen vorhersehen und sich darauf vorbereiten kann. Nicht jemanden, der seine Nachbarn aus innenpolitischen Energieinteressen und geopolitischem Wunschdenken im Stich lässt.

Chinas globale Machtansprüche und die angespannten transatlantischen Beziehungen verlangen, dass die EU sich stärker und unabhängiger positionieren muss, unter anderem durch die Einhaltung der Ziele für die Verteidigungsausgaben.

EU-Begeisterung wieder im eigenen Land wecken

Darüber hinaus erfordern die Risse innerhalb der EU sowohl innovatives als auch kreatives Denken, das sich von Merkels Konsens-um-jeden-Preis-Ansatz verabschiedet. Nicht zuletzt muss Merkels Nachfolger(in) die Erfolge der EU leidenschaftlicher verkaufen, um das Vertrauen und die Begeisterung der EU-Bürger, insbesondere der jüngeren Generation, zurückzugewinnen.

Zu diesen skeptischen EU-Bürgern gehören übrigens auch die Deutschen. Eine Umfrage des European Council on Foreign Relations vom April ergab, dass satte 45 Prozent der Deutschen der EU-Mitgliedschaft entweder nur ambivalent gegenüberstehen oder sie sogar für eine schlechte Sache halten. Wer auch immer auf Merkel folgt, sollte damit beginnen, die Zukunft der EU im eigenen Land aktiv zu gestalten.

Aus dem Englischen adaptiert.