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Politik

Der Iran wahrt nicht einmal mehr die Fassade

21. Juni 2021

Nie war die Wahlbeteiligung so gering. Nie war offensichtlicher, dass die Iraner gar keine Wahl haben. Die Mehrheit ist klar gegen die Islamische Republik. Diese Stimmen dürfen wir nicht überhören, meint Yalda Zarbakhch.

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Bärtiger Mann mit Brille und typischer Kleidung eines iranischen Religionsgelehrten hinter einer Vielzahl von Mikrofonen
Der gewählte und damit künftige Präsident des Iran, Ebrahim RaeissiBild: Vahid Salemi/picture alliance/AP

Präsidentschaftswahlen im Iran waren in den vergangenen 42 Jahren - also seit Bestehen der Islamischen Republik - noch nie frei, fair oder demokratisch. Jedoch wurde bisher zumindest versucht den Anschein zu wahren, in dem eine scheinbar diverse Auswahl an Kandidaten zugelassen wurden.

Von mehreren Hundert Anwärtern schaffen es meist nur eine Handvoll durch den Filter des Wächterrats. Frauen werden grundsätzlich ohnehin nie zugelassen. Eine wahre Opposition auch nicht. Lediglich ein paar sogenannte "reformorientierte" oder "moderatere" Kandidaten, um möglichst viele Menschen zur Wahl zu bewegen. Denn eine hohe Wahlbeteiligung diente bislang der Legitimierung der "Islamischen Republik". Bislang wohlgemerkt. Bewegt hat aber auch keiner der vermeintlich reformorientierten Präsidenten der Vergangenheit nichts, was nicht im Einklang mit der Linie des "Obersten Führers" Ayatollah Chamenei stand.

Es geht nicht nur um das Präsidentenamt

Warum wurde also jetzt mit der so offensichtlich auf einen Kandidaten zugeschnittenen Wahl auch eine geringe Wahlbeteiligung in Kauf genommen? Ganz einfach: Es geht um weit mehr als nur das Präsidentenamt. Es geht um die mögliche Nachfolge des geistlichen Führers, Ayatollah Chamenei. Der ist mit 82 Jahren und Gerüchten über seinen Gesundheitszustand offenbar bemüht, seinem Wunschkandidaten Ebrahim Raeissi  den Weg zu ebnen als Nachfolger. Deswegen wurden bei dieser Wahl im Vorfeld selbst konservative Kandidaten disqualifiziert, die Popularität im Volk genießen und reale Siegchancen gehabt hätten.

Yalda Zarbakhch, Redaktionsleiterin DW Farsi
Yalda Zarbakhch leitet die Farsi-Redaktion der DWBild: DW/Y. Zarbakhch

Mit dem neuen Präsidenten Ebrahim Raeissi kontrollieren die Hardliner nun wieder alle Institutionen im Land. Doch die Sorge im Westen, dadurch sei das Atomabkommen gefährdet, ist unbegründet. Denn auch unter der bisherigen gemäßigten Regierung von Präsident Rouhani und Außenminister Zarif wäre ein Deal nur zustande gekommen, sofern die oberste Führung diesem zugestimmt hätte. Die Außenpolitik genauso wie die innere Sicherheit waren schon immer Monopole der religiösen Spitze und der Revolutionsgarden. Jetzt, wo Präsident und oberster geistlicher Führer an einem Strang ziehen, wird das Verhandeln eventuell sogar einfacher.

Denn bei aller Feindbild-Rhetorik gegenüber dem Westen weiß auch Chamenei: Kein Deal ist auch keine Lösung. Ohne die Aufhebung der Sanktionen gibt es keinen Ausweg aus der miserablen wirtschaftlichen Lage des Iran. Das umstrittene Prinzip des "Maximum Pressure" hat insofern gewirkt. Teheran wird Zugeständnisse machen.

Der "klare Sieger" - ein klarer Trugschluss

Demokraten und Menschenrechtler fordern, Ebrahim Raeissi gehöre vor ein internationales Tribunal und nicht auf die internationale Tribüne. Nicht umsonst steht er in den USA bereits auf der Sanktionsliste. Schon 1988 war er maßgeblich dafür verantwortlich, über 4000 politische Gefangene innerhalb weniger Wochen hinrichten zu lassen. Seit er im Jahr 2019 zum Justizchef ernannt wurde, haben die Menschenrechtsverletzungen an Regierungskritikern, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, ethnischen und religiösen Minderheiten zugenommen. Die jüngste große Protestwelle 2019 wurde brutal niedergeknüppelt, mindestens 1000 Demonstranten erschossen, etwa 7000 verhaftet. Für all das steht Ebrahim Raeissi - der künftige Präsident der Islamischen Republik Iran.

Doch das Narrativ, Ebrahim Raeissi habe mit 62 Prozent der Stimmen eine klare Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, muss relativiert werden. Denn nach offiziellen Angaben kam nur knapp die Hälfte der Wahlberechtigten an die Urnen. Verifizieren lassen sich diese Zahlen nicht. Viele Bilder und Videos, die Bürger ins Netz gestellt haben, zeigen menschenleere Wahllokale aus den unterschiedlichsten Städten und Gemeinden.

Verlorene Legitimität des Systems

Aber selbst wenn die offiziellen Zahlen stimmen, ist das ein absolutes Rekordtief für die Islamische Republik. Hinzu kommt: An zweiter Stelle, gleich nach Ebrahim Raeissi, folgt nicht etwa ein Gegenkandidat, sondern 3,7 Millionen ungültige Stimmzettel - zwölf Prozent der abgegebenen Stimmen. Diese dürften von Wählern stammen, die gezwungen werden, an die Urnen zu gehen und schwer unter Druck geraten, wenn sie das nicht tun - dazu gehören in erster Linie Beamte, Soldaten, Inhaftierte und zum Teil auch Studierende.

Die Zahlen zeigen: Die Islamische Republik hat in den Augen der Mehrheit der Iraner ihre Legitimität verloren - auch wenn die religiösen Hardliner mit dieser Wahl gleichzeitig ihre Macht zementiert haben. Die Stimmen derer, die gar nicht wählen gingen, ungültig oder für einen von Raeissis Gegenkandidaten gestimmt haben, werden in einem derart repressiven Staat aber kein Gehör finden. Eher werden sie gehörig gemacht - mit allen Mitteln. Umso wichtiger, dass wir sie hören - wir im Westen. Jetzt mehr denn je.

Denn wenn der iranischen Führungsriege nicht mal mehr daran gelegen ist, wenigstens nach außen den Schein einer Republik zu wahren, bedeutet das nichts Gutes für die Menschen im Land. Das darf nicht außer Acht gelassen werden, wenn sich die westlichen Mächte nun zurück an den Verhandlungstisch mit dem Iran setzen.