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Die Ohrfeigen-Oscars

28. März 2022

Eine Tätlichkeit auf offener Bühne überschattet die 94. Oscar-Verleihung. Die Gala, die ein Wendepunkt in der Geschichte des amerikanischen Filmpreises sein sollte, hat nun ihren Tiefpunkt erreicht, meint Stefan Dege.

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Will Smith schlägt Chris Rock bei der 94. Oscar-Verleihung
Will Smith schlägt Chris Rock bei der 94. Oscar-Verleihung in HollywoodBild: Chris Pizzello/Invision/AP/picture alliance

Es hätte so nett werden können bei den diesjährigen Oscars. Drei Trophäen gab es allein für die bewegende Tragikkomödie "Coda", die als "Bester Film" ausgezeichnet wurde. Viele wichtige Ehrungen wurden vergeben und auch zwei deutsche Oscar-Sieger sah das Publikum. Die mal freche, mal menschelnde Show der Moderatorinnen, mit musikalischen Einlagen versetzt, ließ hoffen.

Doch dann kam Will Smith. Mit seiner Ohrfeige für den Comedian Chris Rock sorgte der Schauspieler für den Eklat des Abends. Oh Oscar, wie tief willst Du noch sinken?

Entzauberung mit einem Schlag

Mit seinem Wutausbruch auf offener Bühne reagierte Smith auf einen schlechten Witz über seine Ehefrau. Er entzauberte die Glanz-und Glamour-Show buchstäblich mit einem Schlag, noch bevor er den Oscar als "Bester Schauspieler" für den biografischen Film "King Richard" erhielt. Für viele war die Oscar-Nacht damit gelaufen, vielen seiner Kolleginnen und Kollegen stahl Smith die Show.

DW-Autor DW Stefan
DW-Kulturredakteur Stefan DegeBild: DW

Ob er seine Auszeichnung nun zurückgeben muss oder die Oscar-Akademie - als Reaktion auf die weltweite Diskussion - sie ihm wieder aberkennt, wird sich zeigen. Fest steht: Mit seinem Wutausbruch hat Smith nicht nur sich selbst geschadet, sondern mehr noch den Oscars. Der amerikanischste aller Filmpreise, den es seit 1929 gibt, war gerade dabei, aus der Krise herauszufinden. Nun wird die 94. Verleihung 2022 als "Ohrfeigen-Oscars" in die Hollywood-Geschichte eingehen. Nicht das erhoffte Comeback!

"Zu weiß, zu männlich", diesem Vorwurf sah sich die Academy of Motion Picture Arts and Sciences in den vergangenen Jahren zusehends ausgesetzt. Zu wenige Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen wurden nominiert oder erhielten Oscars und zu wenige nicht-weiße Filmschaffende. Vielfalt war lange ein Fremdwort in Hollywood, wie Zahlen und Fakten belegten. Das Publikum wandte sich zusehends ab. Das zwang zum Umdenken.

Ein "America First"-Preis

Die Früchte konnte man in der vergangenen Oscar-Nacht sehen: Das Moderatorinnen-Trio mit den drei Comedians Regina Hall, Amy Schumer und Wanda Sykes setzte unterhaltsame Akzente. Der Oscar-Reigen für "Coda", in dem Regisseurin Siân Heder von einem Mädchen erzählt, das in einer gehörlosen Fischerfamilie aufwächst, weckte Sympathie. Eine Premiere übrigens auch, dass erstmals der Film eines Streamingdienstes den Oscar als "Bester Film" gewann.

Vielen Kinoliebhabern gilt er zwar immer noch als "wichtigster Filmpreis der Welt". Aber weiterhin ist und bleibt der Oscar ein "America First"-Preis. Das Weltkino sieht anders aus - diverser, realitätsnäher, internationaler. Die innovativen Filmemacher anderer Kontinente und Nationen werden nicht bei den Oscars gefeiert, sondern bei der Goldenen Palme in Cannes oder bei dem Goldenen Löwen in Venedig. "In künstlerischer Hinsicht fehlgedeutet und hoffnungslos überschätzt", schrieb der vor anderthalb Jahren verstorbene DW-Filmexperte Jochen Kürten einmal über die Oscars. Womöglich glaubten deshalb viele Zuschauer zunächst an eine Inszenierung von Hollywoods Traumfabrik. Ein Tiefpunkt in der Geschichte der Oscars war Smiths Ohrfeige allemal. Jetzt kann es nur noch besser werden.