Die Grünen, die Feinde der Wirtschaft? Wirklich? Eine Anzeigen-Kampagne der wirtschaftsnahen Lobbygruppe "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" Ende vergangener Woche legt das nahe. Da wird die die Kanzlerkandidatin der Partei, Annalena Baerbock, wie der biblische Moses dargestellt, mit ganz neuen Gebotsthesen auf den Tafeln.
Um nur einige der Gebote zu nennen, die Baerbock da angeblich dem Volk verkündet: "Du darfst nicht fliegen. Du darfst nicht am Freihandel teilnehmen." Und, ganz perfide: "Du darfst nicht hoffen, dass der Staat vernünftig mit deinen Steuern umgeht." Die Anzeige erschien pünktlich zum Beginn der Parteitages der Grünen am vergangenen Wochenende in mehreren großen deutschen Tageszeitungen.
Spitzen-Grüne in der Wirtschaft
Aber stimmt das wirklich? Eigentlich zeigt die Kampagne nur die Panik bestimmter Teile der deutschen Wirtschaft, dass mit einer möglichen Regierungsbeteiligung der Grünen nach der Bundestagswahl im Herbst die Planwirtschaft in Deutschland Einzug halten konnte. Dabei haben die Grünen längst ihren Frieden mit Marktwirtschaft und Wachstum gemacht.
In weiten Bereichen des Mittelstands etwa bestehen gute Kontakte zwischen den Grünen und den Unternehmen. Nicht wenige Spitzen-Grüne sind in die Wirtschaft gewechselt in den vergangenen Jahren. Die ehemalige Wirtschafts-Expertin der Bundestagsfraktion der Grünen etwa, Kerstin Andreae, ist seit November 2019 Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Und dass seit der Übernahme der Regierungsverantwortung durch den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann im Auto-Land Baden-Württemberg 2011 der ökologische Sozialismus Einzug gehalten hätte, ist auch nicht überliefert.
Was also soll die Kampagne? Die Grünen bieten klassische Methoden der Wirtschafts-und Konjunkturförderung an - nur konzentriert auf Wirtschaftszweige, die wirklich mithelfen, die ehrgeizigen deutschen Klimaziele zu erreichen. Ziele, die vor Kurzem durch das bahnbrechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts untermauert wurden. Karlsruhe hatte geurteilt, dass die deutsche Klimapolitik drastisch verschärft werden muss, um die Freiheitsrechte künftiger Generationen nicht zu beeinträchtigen.
Ein Gruß aus längst vergangenen Zeiten
500 Milliarden Euro wollen die Grünen in den nächsten zehn Jahren unters Volk schütten, so steht es in ihrem Programm. Für eine nachhaltige Gebäudesanierung, für neue Formen der Mobilität, für einen Pfad weg vom Benzin- und Dieselmotor. Im Grunde also für all die Dinge, die auch alle anderen demokratischen Parteien in Deutschland fordern. Nur dass die Grünen eine Summe dafür nennen, anders als etwa die Union.
Und deshalb mutet die Kampagne der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" an wie ein Gruß aus längst vergangenen Zeiten. Um die Grundlagen der Verfasstheit der Bundesrepublik unter einer möglichen Kanzlerin Annalena Baerbock muss sich niemand Sorgen machen, auch die Unternehmer. Sicher: Die Grünen treten ein für einen starken, gestaltenden Staat. Aber ob sie nach der Pandemie wirklich all die vielen Milliarden Euro seriös aufbringen können, die sie in ihrem Programm fordern, ist eine anderes Thema.
Alle Parteien sind an die Vorgabe aus Karlsruhe gebunden
Bei der Frage, wie die Grünen es mit der Wirtschaft halten, geht es im Kern darum, endlich auch in Deutschland ernst zu machen mit einer nachhaltigen, klimaschonenden Produktion. Im Energiesektor, in der Lebensmittelindustrie, beim Verkehr, bei den Gebäuden. Vieles ist dabei schon erreicht. Aber nicht immer werden die Gewinner der Vergangenheit auch die Gewinner der Zukunft sein. Die Lobbyisten der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" sollten sich nicht täuschen: Auch die anderen Parteien, auch CDU, CSU, FDP und SPD sind an die Vorgabe aus Karlsruhe gebunden.
Sicher, die Grünen haben schwer zu kämpfen mit dem Stigma der Verbotspartei. Aber wenn die Kanzlerkandidatin offen darüber nachdenkt, ob wirklich alle Kurzstreckenflüge in der Zukunft noch sinnvoll sind, dann umreißt sie nur, was auch die anderen Parteien ins Auge fassen müssen. Alles in allem ist die Kampagne der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" schwer von gestern. Und neu schon gar nicht.