Anhänger der türkischen Regierungspartei AKP verbreiten Postings über die deutschen Parteien, bewerten ihre Leistungen der vergangenen Jahre und sprechen Wahlempfehlungen aus.
Die Union sei insbesondere wegen ihrer Islam-Politik nicht wählbar. Mit der Äußerung von Innenminister Horst Seehofer, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, habe sie sich ins Abseits gestellt. Auch die SPD mit ihrer Sympathie für türkische Oppositionelle, Gülenisten und Exilanten scheide für deutsch-türkische Wähler aus. Die Grünen mit dem "Türkei-Feind Cem Özdemir" und Die Linke mit der „PKK-Anhängerin Sevim Dagdelen" kämen sowieso nicht in Frage. Die FDP habe zwar keinen Türken- oder Islam-Hass geäußert in den vergangenen Jahren, werde aber bei einer eventuellen Regierungsbeteiligung kein Freund von Ankara oder der Muslime sein. Im Grunde seien diese Parteien alle unwählbar. Das klingt fast nach einem Aufruf zum Wahlboykott.
Mobilisierung für Kleinstparteien
Schon vor der Bundestagswahl 2017 gab es ähnlich Töne - damals direkt aus dem Amtssitz des Präsidenten in Ankara. Recep Tayyip Erdogan höchstpersönlich rief die Wahlberechtigten türkischer Herkunft dazu auf, nicht für die Union, die SPD und die Grünen zu stimmen - sie alle seien Feinde der Türkei!
AKP-nahe Organisationen mobilisierten daraufhin für die "Allianz Deutscher Demokraten", eine von Deutschtürken erst ein Jahr zuvor gegründete Kleinstpartei, die nur in Nordrhein-Westfalen angetreten war und hier zwölf Prozent der deutschtürkischen Stimmen holte. Insgesamt ergab das 0,4 Prozent aller Stimmen in diesem Bundesland, was deutschlandweit gerade mal 0,1 Prozent entsprach. Aktuell steht keine Partei mit türkischen Wurzeln zur Wahl. Dennoch will die AKP-Lobby mitmischen - zumal jetzt, da sich die Wahl aber zum Kopf-an-Kopf-Rennen entwickelt.
Die Erdogan-Fans schauten sich frühzeitig um, und sie wurden fündig: beim "Team Todenhöfer - Die Gerechtigkeitspartei", gegründet vom inzwischen 80-jährigen, ehemaligen CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer, der sich seit Jahren als Islam-Versteher präsentiert. Seit dem Frühjahr engagieren sich viele junge Türkei-stämmige für das "Team". Die Ankara-nahe Migrantenpartei "Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit" (BIG), die selbst nicht zur Bundestagswahl antritt, sprach ebenfalls eine Wahlempfehlung für das "Team Todenhöfer" aus.
Es geht gar nicht um eine realistische Chance
Auch das deutsche Programm des staatlichen türkischen Fernsehens TRT veröffentlicht immer wieder Beiträge über die Bundestagswahl. Positiv wird aber nur noch über das Team Todenhöfer berichtet. Vor kurzem wurde sogar behauptet, sie habe das Potenzial, neun Prozent der Stimmen zu erhalten. Und mit Mesut Özil hat Todenhöfer immerhin einen prominenten deutschtürkischen Unterstützer gefunden.
Dabei wissen eigentlich alle, dass sie mit dem Team Todenhöfer keine realistische Chance haben. Aber darum geht es an erster Stelle auch gar nicht. Seit Jahren versucht die AKP-Lobby in Deutschland über kleine Parteien ihr eigenes Stimmen-Potenzial zu auszuloten und zu verbreitern. Daraus soll dann eine langfristige Planung gestaltet werden für Bundestags- und Europawahlen, aber auch realistische Ziele für Landtags- oder Kommunalwahlen.
Und es geht vor allem darum, die Wahl der angeblichen "Türkei-Feinde" zu verhindern, insbesondere die Grünen und die Linke.
Heterogene Deutschtürken
Wie viele Wähler mit dieser Propaganda tatsächlich angesprochen werden, ist unklar. Klar ist nur, dass ungefähr 1,5 Prozent aller Wahlberechtigten in Deutschland türkischer Herkunft sind. Aber diese rund 900.000 Menschen sind bunt und heterogen wie die Mehrheitsgesellschaft.
Laut einer Studie der Universität Duisburg-Essen und der Universität Köln haben 35 Prozent der wählenden Deutschtürken 2017 ihr Kreuzchen bei der SPD gemacht, 20 Prozent für die Union votiert, 16 Prozent für Die Linke, 13 Prozent für die Grünen und vier Prozent für die FDP. Interessant ist vor allem, wie in der Gesamtheit der deutschtürkischen Wählergruppe Präsident Erdogan abschneidet: Auf einer Skala von -5 bis +5 wird er mit -2,5 sehr negativ bewertet.
Wählen bedeutet in jedem Land Abstriche machen und Kompromisse schließen. Eine Partei, die Mehrheiten erringen will, kann nirgendwo alle Wünsche erfüllen. Auch die Deutschtürken wissen das ganz genau.