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PolitikEuropa

Fatales Jubiläum

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
23. September 2021

Ein Jahr nachdem die EU Kommission ihren Migrationspakt vorgelegt hat, sind die Mitgliedsländer über die Flüchtlingspolitik so zerstritten wie eh und je. Einigkeit gibt es allein in einem Punkt, meint Barbara Wesel.

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Die Grenze zwischen Polen und Belarus ist auf polnischer Seite mit mehreren Ebenen Stacheldraht gesichert. Hinter dem Stacheldraht ist jeweils Grenzpfahl Polens und von Belarus zu sehen.
Stacheldraht an den Grenzen im Osten waren wir seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht mehr gewöhntBild: Kacper Pempel/REUTERS

Vor einem Jahr legte die Kommission in Brüssel einen neuen Vorschlag für eine gemeinsame Asyl-und Flüchtlingspolitik auf den Tisch, um den Dauerstreit zu beenden. Aber aus der Einigung über die Verteilung von Flüchtlingen wurde erwartungsgemäß wieder nichts. Einige Länder allerdings nutzen die härteren Abwehrmaßnahmen aus dem sogenannten Migrationspakt, um ihre Grenzen so hermetisch abzuschotten, dass internationales Recht und Menschlichkeit dabei auf der Strecke bleiben.

Im vorigen Jahr schickte der türkische Präsident Erdogan Tausende von Flüchtlingen an die Grenze zu Griechenland, um die EU unter Druck zu setzen. In diesem Sommer ahmt der belarussische Machthaber Lukaschenko die Methode nach: Er ließ vor allem Iraker und Afghanen einfliegen und setzte sie an den Grenzen zu Litauen und Polen aus. Dafür wurde er scharf kritisiert - doch er ist ohnehin längst ein mit Sanktionen belegter internationaler Paria.

Tote an der polnischen Grenze

Die Regierung in Warschau allerdings nutzt diese Menschen, die jetzt im Niemandsland an der Grenze zwischen beiden Ländern feststecken, zu einem Propagandakrieg gegen Lukaschenko und zum Beweis der unnachgiebigen Härte gegen Flüchtlinge. Vor wenigen Tagen wurden die ersten Todesopfer aus diesem Schaukampf gemeldet: Vier Menschen sind in den kalten Nächten erfroren

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DW-Europa-Korrespondentin Barbara Wesel

Aber vielleicht gibt längst mehr Tote als die von der polnischen Grenzpolizei gemeldeten Opfer. Denn seit die Regierung über die Grenzregion den Ausnahmezustand verhängt hat, sind zivile Beobachter sowie Medien ausgesperrt. Die Behörden wollen offenbar nicht beobachtet werden, hinderten zuletzt sogar Hilfsorganisationen daran, die Flüchtlinge mit Nahrung und Kleidung zu versorgen.

Inzwischen ist die Lage so besorgniserregend, dass das UN-Flüchtlingshilfswerk Polen auffordert, seinen humanitären Mindestverpflichtungen nachzukommen und Helfern den Zugang zu den gestrandeten Menschen zu gewähren. Sie brauchten medizinische Hilfe und Schutz vor dem herannahenden Winter. 

Aber um solche internationale Einmischung zu unterbinden, hat Polen ja den Ausnahmezustand verhängt. Mit dem Argument, dass ein paar Tausend Flüchtlinge die Sicherheit des Staates gefährden würden. Diese Maßnahme ist so beschämend wie durchsichtig. Von hybrider Kriegsführung durch den belarussischen Machthaber Lukaschenko ist die Rede. Aber Flüchtlinge sind keine Waffen, sie sind Menschen. Daran hätte die EU die Regierung in Warschau längst erinnern müssen. Aber alles scheint inzwischen erlaubt, wenn es um den Schutz der EU-Außengrenzen geht.

Auch Griechenland profiliert sich mit Härte

Das Prinzip, sich beim Grenzschutz nicht beobachten zu lassen, haben die Polen von der griechischen Regierung gelernt. Die hat längst die Grenze zur Türkei entlang des Flusses Evros zum militärischen Sperrgebiet erklärt, so dass niemand mehr beobachten kann, was dort vorgeht.

Immer wieder wird berichtet, dass die griechische Grenzpolizei Flüchtlinge aufgreift, die schon europäischen Boden erreicht hatten, und sie umstandslos über die Grenze zurückschiebt. Diese sogenannten Push-Backs sind nach internationalem Recht verboten. Einige Male konnten Journalisten verifizieren, was geschehen war. Aber die Mehrzahl der Fälle findet im militärischen Sperrgebiet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Griechenland nutzt auch die neue Möglichkeit, Migranten in geschlossenen Lagern festzuhalten. Das soll eigentlich nur kurzfristig erlaubt sein, solange die Prüfung ihrer Schutzbedürftigkeit anhält. Aber viele Iraker, Afghanen und andere sitzen schon seit Jahren in griechischen Lagern, ohne Aussicht darauf, irgendwo ein neues Leben anfangen zu können.

EU-Kommission trägt dem Stimmungswandel Rechnung

Gerade stellte der Migrationsminister in Athen digitale Überwachungstechnik vor, mit der abgeriegelte Lager wie das soeben eröffnete Camp auf Lesbos künftig kontrolliert werden sollen. Wenn die konservative Regierung in Athen ähnlich viel Energie in die Beschleunigung der Asylverfahren investieren würde, müssten nicht abertausende Migranten endlos auf ihre Bescheide warten. Aber auch hier ist Menschlichkeit längst zur politischen Verfügungsmasse geworden.

Der Wind in der EU hat sich gedreht. Immer mehr Regierungen, nicht nur Osteuropäer, sondern zum Beispiel auch Dänemark und Schweden, haben die Türen ins Schloss fallen lassen. Und immer mehr trägt die Kommission in Brüssel diesem Stimmungswandel Rechnung. Die gnadenlosen Schützer der europäischen Außengrenzen werden gelobt, statt kritisiert. Schlechte Zeiten für all jene, die sich von Europa und seinen Werten Schutz und Hilfe erhoffen.