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Politik

Flüchtlingspolitik vollbringt keine Wunder

11. Oktober 2022

Die hohen Erwartungen an eine humanitäre Flüchtlingspolitik sind angesichts des Ukrainekriegs verständlich. Doch diese Überfrachtung ist nicht nur unaufrichtig, sie ist auch gefährlich, meint Astrid Prange de Oliveira.

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Ukrainische Flüchtlinge in Deutschland
Mit Kunst gegen Krieg: Eine Ukrainerin bei einer Demonstration in München im August dieses Jahres Bild: Sachelle Babbar/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Es ist ein Drama: Mehr als100 Millionen Menschen sind aktuell vor Krieg und Gewalt auf der Flucht. Die russische Invasion in der Ukraine hat laut UN-Flüchtlingswerk UNHCR eine der größten Vertreibungskrisen seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst.

Ukraine, Syrien, Myanmar, Afghanistan und Serbien: Seit den Balkankriegen in den 1990er-Jahren wird die Welt in regelmäßigen Abständen von Krieg und Massenvertreibungen erschüttert. UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi stellt klar: "Vertreibung ist kein kurzfristiges oder vorübergehendes Phänomen mehr."

Ein Ende des Dramas scheint nicht in Sicht. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sollte deshalb beim Flüchtlingsgipfel am Dienstag in Berlin den Mut haben, genau dies zu sagen.

Denn Flüchtlingspolitik zeichnet sich leider dadurch aus, dass sie es niemanden recht machen kann. Sie sitzt zwischen allen Stühlen und wird zerrieben zwischen außenpolitischen und innenpolitischen Interessen. 

"Fluchtursachen bekämpfen" - eine Illusion

Egal, ob die Grenzen eines Landes komplett geöffnet oder komplett geschlossen werden, eine konsensfähige Lösung scheint niemals in Sicht. Denn bei unkontrollierter Einwanderung drohen eine Überlastung der Aufnahmekapazitäten und politische Unruhen.

Bei geschlossenen Grenzen hingegen werden Fluchtrouten länger und gefährlicher, woran in erster Linie Schleuser verdienen. Und solange Krisen und Kriege nicht überwunden werden, gehen Flucht und Vertreibung weiter.

DW | Astrid Prange De Oliveira, Kommentarbild | PROVISORISCH
DW-Redakteurin Astrid Prange de OliveiraBild: Florian Görner/DW

Ein Blick in die jüngste Vergangenheit zeigt, dass Politikerinnen und Politiker sich mit dieser Aufrichtigkeit schwertun. So wird häufig argumentiert, die "Fluchtursachen in den Herkunftsländern" müssten bekämpft werden, dann würden auch weniger Menschen vor Krieg, Gewalt, Klimawandel und Perspektivlosigkeit fliehen.

Während der Balkankriege in den 1990er-Jahren führte dieses Narrativ zum umstrittenen "Asylkompromiss". Hinter dem Begriff verbirgt sich die Abstimmung am 26. Mai 1993 im Deutschen Bundestag für die Einschränkung des Grundrechtes auf Asyl, das in Artikel 16 des Grundgesetzes verankert ist.

Durch die Änderungen, darunter die sogenannte Drittstaatenregelung, wurde der Kreis der Asylbewerber wesentlich eingeschränkt. Sie besagt, dass politisch Verfolgte kein Asyl beantragen dürfen, wenn sie zuvor über einen für sie sicheren Drittstaat einreisen konnten.

Zwar gingen die Zahlen der Antragsteller nach der Verabschiedung des Gesetzes zunächst deutlich zurück. Doch einige Jahre später begann die Anzahl der Menschen, die aus Krisengebieten auch nach Deutschland flüchten, wieder zu steigen.

2012 befanden sich laut UNHCR 42 Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten von ihnen im eigenen Land als Binnenvertriebene. Ende 2021 waren es 89 Millionen Menschen, davon 53 Millionen Binnenvertriebene.

Exodus aus der Ukraine

Es ist offensichtlich: Kriege und Krisen können nicht mit Geld und Gesetzen verhindert werden. Die "Bekämpfung von Fluchtursachen" in Herkunftsländern wie der Ukraine, Syrien oder auf dem Balkan mit entwicklungspolitischen Projekten ist eine Illusion.

Der Exodus aus der Ukraine spricht für sich: Allein in Deutschland wurden laut Bundesinnenministerium seit dem dortigen Kriegsausbruch mehr als eine Million Geflüchtete registriert. Außerdem wurden von Januar bis August 2022 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 115.402 Erstanträge auf Asyl gestellt. Die größte Gruppe der Asylbewerber stammt aus Syrien und Afghanistan.

Einfache Lösungen gibt es nicht

Der Flüchtlingsgipfel am Dienstag kann dazu beitragen, Städte und Gemeinden, die bei der Aufnahme und Integration von Flüchtenden enorme Anstrengungen vollbringen, stärker zu unterstützen. Dies ist dringend notwendig. 

Doch auch politische Aufrichtigkeit ist gefragt. Denn vermeintlich einfache "Lösungen" gibt es nur am politisch rechten oder linken Rand. Eine humanitäre Flüchtlingspolitik kann das Leid von Hunderttausenden Menschen lindern, die vor Krieg und Gewalt auf der Flucht sind - die Ursachen dafür stoppen kann sie in der Regel nicht.

Wenn die EU sich endlich auf eine solche gemeinsame Flüchtlingspolitik einigen könnte, wäre dies ein enormer Fortschritt und würde vielen Menschen das Leben retten. Das wäre schon ein kleines Wunder, auch wenn die Flüchtlingspolitik selbst keine Wunder vollbringen kann. Sie kann immer nur ein Pflaster sein auf die tiefen Wunden, die von Krieg und Vertreibung weltweit gerissen werden. 

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