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Politik

Folter in Syrien und das Weltrechtsprinzip

19. Januar 2022

Der Prozess gegen den mutmaßlichen Folterarzt Alaa M. zeigt: Die Aufarbeitung des syrischen Unrechtsregimes kommt schrittweise voran. Universelle Strafjustiz ist aber noch weit entfernt, meint Matthias von Hein.

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Bronzeschriftzug "Die Würde des Menschen ist unantastbar" an der Fassade des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main
Eine Frucht der deutschen Diktatur-Erfahrung: Mit diesem Satz beginnt das deutsche GrundgesetzBild: Matthias Von Hein/DW

Große Lettern in Bronze, mit noch größeren Worten: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Sie prangen an der Außenwand von Gebäude C des Oberlandesgerichts Frankfurt. Drinnen wird an diesem Mittwoch deutlich: Das ist keine Feststellung; es ist eine Hoffnung, ein Versprechen. In einer Welt, in der die Würde des Menschen an vielen Orten nicht nur angetastet, sondern mit Fäusten geschlagen mit Füßen getreten wird.

In Frankfurt wird über Folter in Syrien verhandelt. Die Vorwürfe gegen den Angeklagten sind monströs. Und werden für die vielen Beobachter vor allem aus Syrien noch dadurch verschlimmert, dass Alaa M. Arzt ist. Die Anklageschrift listet die Verbrennung der Genitalien von Gefangenen auf, Operationen ohne Narkose, brutalste Schläge und Tritte. Und mindestens einmal soll der Arzt willkürlich einen Gefangenen mit einer tödlichen Injektion ermordet haben.

"War Crimes Unit" trägt Früchte

Vor gerade einmal einer Woche ist in Koblenz der erste Prozess gegen einen Angehörigen des syrischen Foltersystems weltweit zu Ende gegangen, mit der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Dass so kurz darauf ein weiterer Prozess gegen das Unterdrückungssystem des Assad-Regimes beginnt, zeigt: Die jahrelange Ermittlungsarbeit der Bundesanwaltschaft und ihrer "War Crimes Unit" trägt Früchte. Seit 2011 sammelt die Karlsruher Behörde Beweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien. Mühelos und routiniert stellt daher die Staatsanwältin die Vorwürfe gegen Alaa M. in den Gesamtzusammenhang der gewaltsamen Niederschlagung der syrischen Opposition.

DW Kommentarbild Matthias von Hein
DW-Redakteur Matthias von Hein

Das zeigt: Die deutsche Justiz ist mittlerweile fähig, auch Tausende von Kilometern von den Tatorten entfernt komplexe Verfahren durchzuführen. Sie findet aussagewillige Zeugen, trägt Dokumente in fremden Sprachen zusammen. Und verschafft so dem Weltrechtsprinzip Geltung. Dieses besagt, dass es Verbrechen gibt, die so gravierend sind, dass sie nicht nur einzelne Staaten betreffen, sondern die Menschheit als Ganzes: Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Und wenn keine andere Gerichtsbarkeit zur Verfügung steht, kann auch die deutsche Justiz tätig werden. Die zeigt sich stolz und wiederholt gerne, von diesen Prozessen gehe das Signal aus, dass Kriegsverbrecher und Folterer sich nirgendwo sicher mehr fühlen könnten.

Syrien längst auf dem Weg aus der Isolation

Ein Signal, das ankommt bei Geflüchteten in Europa, die eben keine Opfer waren, sondern Täter. Es ist ein Signal, das Angehörige des syrischen Regimes vielleicht vorsichtig werden lässt bei Auslandsreisen. Es sind erste Schritte auf einem langen Weg zu Gerechtigkeit. Als solche werden sie von vielen Syrern bejubelt.

Aber so viel Realismus muss sein: Eine systematische oder gar umfassende Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in Syrien wird so weit weg nicht möglich sein. Und noch mehr schmerzt, dass die Verantwortlichen noch immer im Amt sind - weit entfernt vom Zugriff der deutschen Justiz. Und der "normativen Kraft des Faktischen" folgend wieder umworben von Nachbarn in der Region und auf dem Sprung heraus aus der Isolation.

Ganz gleich, wieviel vor deutschen Gerichten auch an Beweisen für Menschheitsverbrechen zusammengetragen wird - es bleibt fraglich, ob das den Trend zur Normalisierung der Beziehungen zu Damaskus bremsen wird.

Auch Demokratien lassen foltern

Aber der Frankfurter Prozess hat Relevanz über Syrien hinaus. Er beleuchtet den Zusammenhang zwischen Medizin und Folter. Nicht nur in Syrien, in fast allen Gesellschaften genießen Ärzte besonderes Vertrauen. Doch zur Wahrheit gehört: In fast allen Foltersystem sind Ärzte ein zentrales Element: um Folteropfer am Leben zu erhalten, solange das gewünscht ist; um gefälschte Todesurkunden auszustellen; um Foltermethoden zu entwickeln, die keine sichtbaren Spuren hinterlassen.

Und ebenfalls gehört zur Wahrheit: Folter ist nicht das finstere Privileg autoritärer Staaten - auch Demokratien lassen foltern. In ihrem Krieg gegen den Terror haben die USA verharmlosend "verschärfte Verhörmethoden" genannte Folter eingesetzt, um Gefangenen Geheimnisse abzupressen.

Verantwortliche für Guantanamo bisher unbehelligt

Vor zwei Jahrzehnten wurde Guantanamo als Gefangenenlager im rechtsfreien Raum gegründet. Ein Ort, der mit einem ganzen Katalog von Foltermethoden verbunden ist, von Schlafentzug bis Waterboarding. Es ist ein spannender Zufall, dass Deutschland etwa zur gleichen Zeit das Völkerstrafgesetzbuch mit dem Weltrechtsprinzip verabschiedete. Bislang aber mussten sich weder Politiker noch Militärs eines westlichen Staates wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten.

Guantanamo-Häftlinge in orangener Kleidung, knieend vor Käfigen aus Maschendraht, bewacht und beobachtet von US-Soldaten
Häftlinge auf Knien, untergebracht in Drahtkäfigen ohne jede Privatsphäre - hier denkt man nicht an das Gefängnis einer DemokratieBild: DOD US Navy/picture-alliance/dpa

Wie ernst es dem Generalbundesanwalt wirklich mit universeller Strafjustiz ist, wird also zeigen, wenn das nächste mal ein US-Verantwortlicher für Folter nach Deutschland einreist, der nicht durch Immunität geschützt ist. Denn das Versprechen sollte eigentlich überall gelten: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein