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Politik

Boris Johnsons Horrorjahr

Robert Mudge - Kommentatorenbild (PROVISORISCH)
Robert Mudge
22. Dezember 2020

Mit den Brexit-Verhandlungen und COVID-19 hatte Boris Johnson in diesem Jahr große Herausforderungen vor sich. Eine Ausrede dafür, dass er auf ganzer Linie versagt hat, ist das aber nicht, meint Rob Mudge.

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Großbritannien Premier Boris Johnson
Bild: Frank Augstein/PA Images/imago images

Was für ein Jahr für Boris Johnson! Am vergangenen Weihnachtsfest noch wärmte er sich am Nachglühen seines umfassenden Wahlsieges: Nicht nur hatte er seinen Konservativen eine komfortable Mehrheit beschert, sogar im Kernland der Labour Party in Nordengland feierten seine Tories Erfolge und brachen sich damit ein besonders markantes Stück aus der "Roten Mauer" heraus. Aber wer wüsste besser als Boris Johnson, der stolze Kenner der griechischen Klassik, dass Arroganz und Hybris den Unmut der Götter herausfordern?

Selbstverständlich: Die Corona-Pandemie entzieht sich in vielerlei Hinsicht seiner Kontrolle, schließlich handelt es sich um eine Naturkatastrophe. Sein Missmanagement aber ist menschengemacht. Ich zumindest kann die Kehrtwenden nicht mehr zählen, die er in dem Bemühen vollzogen hat, der britischen Öffentlichkeit vorzutäuschen, seine Regierung handle im besten Interesse der Nation. Für jemanden, der keine Gelegenheit verpasst, die Führungsstärke und Weitsicht seines Idols Winston Churchill zu erwähnen, lässt er gerade diese Fähigkeiten bitter vermissen.

Boris' "Brexmas"-Wunschzettel

Schlimmer noch könnte man nur noch seinen Umgang mit dem Brexit nennen - schon weil sich diese schier endlose Saga inzwischen seit mehr als vier Jahren hinzieht. Johnsons Mantra, den Brexit zu vollziehen, eine tief gespaltene Nation zu einen und eine glänzende Post-Exit-Ära einzuleiten, klingt nur noch leer, heuchlerisch und regelrecht zynisch.

Robert Mudge - Kommentatorenbild (PROVISORISCH)
DW-Redakteur Rob MudgeBild: DW/R. Mudge

Und vergessen wir nicht: Dieser Mann hatte sich noch 2013 gegen einen EU-Austritt ausgesprochen. Der nämlich, argumentierte er damals als Autor des "Daily Telegraph", würde die Probleme des Vereinigten Königreichs nicht lösen: "Wenn wir die EU verließen, würden wir diese sterile Debatte beenden und erkennen, dass die meisten unserer Probleme nicht in Brüssel entstehen, sondern durch die chronische britische Kurzsichtigkeit, inadäquates Management, Faulheit, niedrige Qualifikation, eine Kultur der schnellen Bedürfnisbefriedigung und zu geringe Investitionen in Humankapital, Sachkapital und die Infrastruktur."

Schuld sind eben nicht die anderen

Wer hätte damals gedacht, dass Boris Johnson damit selbst seine künftigen Versäumnisse beschrieb! Wobei eines ganz besonders hervorsticht: Sein stures Verfolgen kurzfristiger Interessen, was das Land ins Chaos gestürzt hat. Ein umsichtiger Premierminister hätte angesichts einer heraufziehenden Gesundheitskrise die EU um eine Verlängerung der Brexit-Übergangsperiode gebeten, die nun am 31. Dezember - vermutlich ohne Abkommen - endet.

Zweifellos hätte Brüssel ihm diesen Wunsch erfüllt. Stattdessen zerfrisst seine egoistische, zerstörerische Haltung den Zusammenhalt der britischen Gesellschaft und droht, das Land in eine langwierige Krise zu stürzen.

Johnsons Hauptargument den ganzen Brexit-Prozess hindurch war es, die britische Souveränität wiederherzustellen und die gefühlten Fesseln der EU abzuschütteln. Jeder VWL-Student im ersten Semester könnte ihm erklären, dass jedes Post-Brexit-Handelsabkommen dem Vereinigten Königreich Kompromisse auf Kosten nationaler Interessen abverlangt. Man nennt das: "in einer globalisierten Welt leben".

Das soll nicht heißen, dass sich die EU in den Verhandlungen als Hort des Altruismus präsentiert hätte. Gewiss nicht. Auch die EU hat massenhaft Chancen verpasst, zweideutige Botschaften gesendet und in mancher Hinsicht auf stur gestellt.

Als Sternsinger verkleidete Demonstranten fragen Boris Johnson mit einem Plakat, ob die Vorteilen, die er ihnen versprochen hat, so real sind wir ein Einhorn.
Existiert der verheißene Brexit-Segen nur in Boris Johnsons Phantasie?Bild: Johanna Geron/REUTERS

Fischen im Trüben

Aber die EU hat ihre roten Linien bereits 2017 gezogen, als die Verhandlungen gerade erst anliefen. Nie hat Brüssel einen Zweifel daran gelassen, dass es auf gleiche Handels- und Wettbewerbsbedingungen bestehen und die Fischereirechte seiner Mitgliedsländer sichern würde. An diesem Punkt lohnt es sich immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Fischerei nur 0,1 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung beträgt. Den Großteil ihres Fangs exportieren britische Fischer in die EU. Und der Fisch, den die Briten essen, ist meist importiert. Hier gilt sie also tatsächlich, die alte britische Redensart: Die Briten können ihren Fisch haben und ihn trotzdem essen.

Um noch einmal auf Johnsons Liebe für die griechische Klassik zurückzukommen: Den Begriff Kakistokratie - die Herrschaft der Unfähigen und Skrupellosen - dürfte er kennen. Obwohl mir persönlich ein englischer Ausdruck aus dem 19. Jahrhundert passender für Boris Johnson erscheint: "Snollygoster" - ein prinzipienloses Individuum, das sich ausschließlich von seinen eigenen politischen Vorteilen leiten lässt.