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PolitikEuropa

Haushalt gerettet, Rechtsstaat bedroht

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
10. Dezember 2020

Mit einem Kompromiss überwand Angela Merkel das Veto von Polen und Ungarn und rettete so den EU-Haushalt. Der Kompromiss mag nötig gewesen sein - politisch war er ein Fehler, meint Barbara Wesel.

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Polen | Besuch Viktor Orban | Proteste in Warschau
Bild: Czarek Sokolowski/AP/dpa/picture alliance

Natürlich wollte die Kanzlerin im letzten Akt einer schwierigen Ratspräsidentschaft nicht zulassen, dass unter ihrem Vorsitz die Einigkeit der EU gesprengt würde. Der Instinkt von Angela Merkel ist in der Regel, den Laden zusammen und auch die schwarzen Schafe bei der Gruppe zu halten.

Und sie hat es geschafft, mit einem typisch europäischen Kompromiss, der nicht richtig gut, aber auch nicht richtig schlecht ist. Sie holte Polen und Ungarn von dem Baum herunter, auf den sie gestiegen waren. 

Selbstbedienungsladen EU?

Herausgekommen ist dabei eine Regelung, die vorerst nicht einsetzbar sein wird. Dabei sollte der sogenannte Rechtsstaatlichkeitsmechanismus nach Jahren der erbitterten Diskussion endlich eine echte Waffe im Kampf gegen die anti-demokratischen Tendenzen in der polnischen und ungarischen Regierung werden.

Die Niederlande und andere hatten im Sommer ihre Zustimmung zu den gemeinschaftlich aufgenommenen Schulden für den Corona-Fonds davon abhängig gemacht, dass man den Selbstbedienungsladen für die Anti-Demokraten endlich schließt.

Auch sie haben jetzt dem Kompromiss zugestimmt, weil die EU ohne Haushalt in Zeiten von Corona handlungsunfähig geworden wäre. Jahrelang hatten viele sich gefragt, warum sie eigentlich mit ihren Steuern den korrupten Klüngel des Ungarn Victor Orban finanzieren sollten.

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Barbara Wesel ist Brüssel-Korrespondentin der DW

Jetzt habe die Autokraten es durch ihr Veto geschafft, dass ein paar rechtliche Bremsen in die neue Regelung kamen, die ihnen vorläufig weiter die Straffreiheit garantieren. Das Triumphgeheul ist nicht zu überhören.

Es war immer war klar, dass man Orban und seine polnischen Gesinnungsgenossen in der PiS-Partei nur am Geldbeutel würde treffen können. Der Europäische Gerichtshof urteilt serienmäßig gegen beide, aber sie ignorieren die Richtersprüche. Der einzige Hebel, um sie bremsen, ist tatsächlich, ihnen die EU-Gelder wegzunehmen.

Autokratische Abwege

Warum müssen wir einen Viktor Orban tolerieren, mit seinen Propagandalügen, Beleidigungen und antisemitischen Ausfällen? Er und die immer autoritärer agierenden Polen bringen die EU an ihre politischen Grenzen. Die Osterweiterung 2004 war eine Wette auf eine quasi zwangsläufige demokratische Entwicklung in den neuen Mitgliedsländern, und sie ist nur teilweise aufgegangen.

Übergangsprobleme gibt es fast überall, Korruption ist verbreitet, der Kampf um eine unabhängige Justiz noch nicht gewonnen. Polen und Ungarn aber sind auf einer anderen Reise: Dort sind Regierungen auf dem Weg, autokratische Regime zu werden.

Sie schaffen die freie Presse ab, die unabhängige Justiz und beschränken systematisch die Bürgerrechte. In Warschau nehmen sie derzeit besonders Frauen aufs Korn und hetzen gegen die LGBT-Gemeinde. Es gibt Widerstand, aber wir sehen am dramatischen Beispiel von Belarus, wie schwer der Protest wird, wenn Polizisten den Auftrag haben, ihn niederzuknüppeln.

Die EU kann solche Länder in ihren Reihen nicht dulden. Sie kann nicht weiter wegschauen, denn damit erodiert sie die gemeinsame Basis. Die Sepsis beginnt an einer Seite und breitet sich auf die restlichen Glieder aus. Die liberalen Demokratien machen sowieso schwierige Zeiten durch, wir dürfen nicht erlauben, dass sie von innen zersetzt werden. 

Falscher Korpsgeist

Irgendwann in zwei Jahren gibt es mit dem neuen Mechanismus vielleicht die Möglichkeit, Orban und der Kaczynski-Partei tatsächlich Geld wegzunehmen. Dabei hätte Brüssel schon längst vorhandene Mittel einsetzen und ihnen mit der Wegnahme des Stimmrechts drohen können. Aber Feigheit und eine Art falscher europäischer Korpsgeist unter den Regierungschefs haben das verhindert.

Beide Länder haben Zeit gewonnen, den Abbau der Demokratie noch weiter voran zu treiben. Sie werden immer wieder ermahnt und verklagt werden, aber das ist ihnen völlig egal. So lange die EU ihnen nicht ernsthaft in den Arm fällt, werden Orban und Co. ungerührt weiter machen. Und das politische Debakel am Ende wird kaum noch beherrschbar sein. Der Kompromiss zum EU-Haushalt mag nötig gewesen sein – politisch war er leider ein Fehler.