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Politik

Keine neue Weltunordnung

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
10. August 2022

Bringen autoritäre Staatschefs mit ihrer aggressiven Politik die etablierte Weltordnung zum Einsturz? Nein, denn auf Dauer haben freie Länder größere Kraft, meint Miodrag Soric.

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Plastik von Karnevalswagenbauer Jaques Tilly vor dem Brandenburger Tor in Berlin: Wladimir Putin mit weit aufgerissenem Mund versucht die Ukraine zu verspeisen. Auf den Umrissen der Ukraine steht "Erstick dran!!!"
Zu großer Hunger ist noch den wenigsten Diktatoren in der Geschichte gut bekommenBild: Christian Behring/Geisler-Fotopress/picture alliance

Alles gleichzeitig: Russland überfällt die Ukraine, China schaltet Hongkong gleich und droht Taiwan mit Manövern, Irans Hilfstruppen kämpfen in Gaza, Serbiens Präsident Vucic prahlt mit seiner Armee direkt an der Grenze zum Kosovo. Autoritäre Regime testen, wie weit sie die Eskalation treiben können. Despoten brauchen Konflikte, um an der Macht zu bleiben. Sonst haben sie ihrer Bevölkerung ja nichts zu bieten.

Ob in Russland, Serbien, China oder im Iran: Militärisches Großmachtgehabe soll die Rückständigkeit des Landes vergessen machen, die Macht des jeweiligen "nationalen Führers" sichern, verschleiern, mit welcher Verachtung er das eigene Volk behandelt. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Einwohner klagen, wie erbärmlich in diesen Staaten Krankenhäuser, Altenheime, Schulen ausgestattet sind, in den Dörfern kaum eine funktioniere Kanalisation zu finden ist, Gehälter und Renten niedrig sind. Befindet sich die Nation allerdings in einem Konflikt, werden "Feinde von außen" dafür verantwortlich gemacht. Kritik an der herrschenden Clique, die sich hemmungslos bereichert, wird unterdrückt. Korruption ist staatlich gewollt. Der einzelne Bürger ist in den Augen der Politiker wenig wert, taugt bestenfalls als Kanonenfutter - wie schon seit Jahren im Osten der Ukraine.

Ein neues Zeitalter der Barbarei?

Mit dem Überfall auf den Nachbarn hat Russland nicht nur der Ukraine, es hat der zivilisierten Welt den Krieg erklärt. Vom Ausgang dieser Auseinandersetzung hängt ab, wie sich andere autoritäre Regime in Zukunft verhalten werden: Werden sie ein Mindestmaß an internationalen Verträgen und Völkerrecht respektieren? Oder beginnt ein neues Zeitalter der Barbarei, in dem allein das Recht des Stärkeren zählt? Wer will, dass die Welt nicht in Chaos versinkt, muss helfen, Kriegstreiber wie Putin zu stoppen, Taiwan militärisch aufzurüsten, Irans Terrormilizen zu bekämpfen, wo immer sie sich festsetzen: im Gazastreifen, im Irak, im Libanon oder in Syrien.

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DW-Chefkorrespondent Miodrag Soric

Autoritäre Regime haben nie verhehlt, dass sie eine auf Recht basierte Weltordnung ablehnen. Demokratie betrachten sie ebenso als Bedrohung wie die Achtung der Menschen- oder Minderheitenrechte, der Pressefreiheit oder von Rechtssicherheit. Despoten berufen sich nur auf das Völkerrecht, wenn es ihren Interessen nutzt.

Der Westen hat jahrelang mit diesen Regimen Geschäfte gemacht. Heute fragen sich viele europäische Politiker, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel so naiv sein konnte, sich beim Import von Erdgas von Putin abhängig zu machen. Schlimmer noch: China ist inzwischen Deutschlands wichtigster Handelspartner. Dabei gab und gibt es nicht den leisesten Zweifel über die Brutalität des Regimes in Peking. Wie konnten Deutschlands Politiker und Wirtschaftsführer so blauäugig sein, sich derart in Pekings Arme zu werfen? Ihre Gier scheint größer als ihr Verantwortungsbewusstsein zu sein. "Die Kapitalisten werden uns den Strick verkaufen, an dem wir sie aufhängen", soll Lenin angeblich prophezeit haben.

Putin hat sich verzockt

Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich das globale Kräfteverhältnis keineswegs zugunsten der Diktatoren verschoben. Täglich demonstriert Putin Russlands militärische Unfähigkeit in der Ukraine. Es ist eine Mär, dass autoritäre Herrscher in der Politik langfristig denken und deshalb dem angeblich nur kurzfristig agierenden Westen überlegen sind. Das Gegenteil ist wahr: Den Entschluss, die Ukraine zu überfallen, traf Putin kurzfristig und in völliger Ahnungslosigkeit, mit welchem Hass seine Soldateska von den Ukrainern empfangen wird. Putin ist ein Spieler. Er hat sich verzockt. Doch er kann seinen Fehler nicht zugeben, will er politisch und biologisch überleben.

In Zukunft darf sich der Westen nicht selbst weiter schwächen. Deutschland muss massiv aufrüsten - über viele Jahre hinweg. Wenn Griechenland, Russland oder der Iran knapp vier Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgeben können, dann sollte auch Deutschland dazu in der Lage sein. Europa muss neben seiner konventionellen vor allem seine nukleare Aufrüstung vorantreiben. Nur dann wird es in Moskau, Peking und Washington ernst genommen.

Putin hat den Westen herausgefordert - wie so viele Kremlherrscher zuvor. Auch Stalin und Hitler waren Verächter der westlichen Welt, besonders als Verbündete von 1939 bis 1941. Damals half die UdSSR Hitler massiv mit Lebensmitteln und Rohstoffen, unterstützte so Hitlers Krieg gegen Frankreich und Großbritannien. Am Ende siegte der angeblich "degenerierte Westen". So wie er auch den Kalten Krieg gewann. Und so wie er heute die Herzen vieler junger und gebildeter Menschen erobert, die in Staaten mit autoritären Regimen leben müssen.