Gute Absicht, falsche Methode
5. November 2022Man muss hier einiges auseinanderhalten: Zwei Klimaaktivisten lösen einen Stau auf der Berliner Stadtautobahn aus. Danach gelangt ein Rettungsfahrzeug der Feuerwehr verzögert zu einem Unfall. Eine schwerverletzte Radfahrerin stirbt. Sind die Klimaschützer schuld an ihrem Tod? Gingen sie mit ihrem Protest zu weit? Der mediale und politische Streit darüber ist in vollem Gange. Die juristische Antwort aber kann nur ein Gericht geben.
Tragisch ist nicht nur der Tod der 44-jährigen Frau, die von einem Betonmischer überfahren und schwer verletzt wurde.
Tragisch ist auch, wie durch die offensichtliche Verkettung unglücklicher Umstände der zivile Ungehorsam von Klimaaktivisten gleich mit unter die Räder zu gelangen droht.
Dass ziviler Widerstand im Deutschland des Jahres 2022 möglich ist, ist eine Errungenschaft. Die möchte man nach den Erfahrungen im Nationalsozialismus und im ebenfalls die freie Meinungsäußerung unterdrückenden DDR-Regime nicht missen. Die Möglichkeit, auf diese Weise Sand ins Getriebe der Gesellschaft zu streuen, wenn denn alles andere keinen Erfolg verspricht, darf nicht der spontanen Wut auf Klimaaktivisten zum Opfer fallen.
Klimakrise: Kein "Weiter so"
Um das Klima steht es schlecht. Die Folgen des Klimawandels sind nicht mehr zu übersehen. Auch Deutschland droht seine Klimaziele für das Jahr 2030 zu verfehlen, sagt der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung. Ein "Weiter so" reicht nicht mehr aus. Genau das ist es, was die Aktivisten der "Letzten Generation" umtreibt: Sie wollen - was verständlich ist - das Ruder rumreißen, mit dem Mut der Verzweiflung.
Dass sie dabei auch vor zweifelhaften Methoden nicht zurückschrecken, zeigen ihre Attacken auf Kunstwerke. Klimaaktivisten hatten jüngst eine ganze Serie von Aktionen verübt, die auch vor berühmten Gemälden nicht halt machten. In der Londoner National Gallery überschütteten sie Vincent van Goghs Meisterwerk "Sonnenblumen" mit Tomatensuppe. Im Museum Barberini in Potsdam bewarfen Aktivisten ein Bild Claude Monets mit Kartoffelbrei. In der Berliner Gemäldegalerie klebten sich zwei Aktivisten an ein Werk von Lucas Cranach dem Älteren, in Dresden an die weltberühmte "Sixtinische Madonna" von Raffael. Nach einer Klebstoffattacke auf das Vermeer-Gemälde "Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge" in Den Haag wurden drei Klimaaktivisten in den Niederlanden zu zwei Monaten Haft verurteilt.
Die Verzweiflung der jungen Generation
Mit den religiösen oder politischen Bilderstürmen vergangener Jahrhunderte haben diese Attacken nichts zu tun. Weder sind die angegriffenen Werke Synonyme politischer Macht, noch stehen sie für eine bestimmte Art zu leben. Selbst wenn die "Letzte Generation" erklärt: "Monet liebte die Natur und hielt ihre einzigartige und fragile Schönheit in seinen Werken fest." Selbst wenn sie nach der Potsdamer Aktion fragte: "Wie kann es sein, dass so viele mehr Angst davor haben, dass eines dieser Abbilder der Wirklichkeit Schaden nimmt, als vor der Zerstörung unserer Welt selbst, deren Zauber Monet so sehr bewunderte?"
Es sind Verzweiflungstaten, die - auf Kosten der Kunst - Aufmerksamkeit schaffen. Die Klimaaktivisten setzen auf den kalkulierten Skandal, was an die Werbekampagnen des italienischen Modeherstellers Benetton erinnert, der vor Jahren mit Schockfotos von Aidskranken oder ölverschmierten Enten für Klamotten warb. Sein Ziel war allerdings Profit - aber in beiden Fällen sind es inszenierte Tabubrüche. Nur: Auch wenn die Welt darüber redet, wird es dadurch nicht richtiger.
Viele der Aktivisten, besonders die jungen, haben das Gefühl, sie werden nicht gehört. Dass die Welt mit dem Klima vor die Hunde geht, ist für sie eine reale Gefahr, die sie am eigenen Leib ausbaden werden. An dieser Verzweiflung, auch wenn sie nicht jeder teilt, tragen wir alle eine Mitschuld. Der Klimawandel ist Sache aller.
Gleichwohl: Kartoffelbrei auf einem Bild rettet kein Klima. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Kunstangriffe sind das falsche Mittel. Und gehören beendet!