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Politik

Keine Taten Einzelner

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Hans Pfeifer
28. Januar 2021

Der rechtsextreme Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Das ist die Höchststrafe. Dennoch könnte von dem Prozess ein fatales Signal ausgehen, meint Hans Pfeifer.

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Urteilsverkündung im Mordfall Lübcke: Demonstranten vor dem Landgericht Frankfurt halten Plakate hoch: Auf einem steht "Offen für Vielfalt", das andere zeigt den ermordeten Regierungspräsidenten von Kassel, Walter Lübcke
Mit Plakaten erinnern Demonstranten vor der Urteilsverkündung an den ermordeten Walter Lübcke und seine PolitikBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Es ist der 24. September 2017, der Tag der jüngsten Bundestagswahl. Der christdemokratische Politiker Walter Lübcke ist noch am Leben. Und er arbeitet als Regierungspräsident der Region Kassel hart an der erfolgreichen Integration der Flüchtlinge, die in den zurückliegenden beiden Jahren zu Zehntausenden auch in seinen Regierungsbezirk gekommen sind. Er zieht mit Bundeskanzlerin Merkel an einem Strang. Und er teilt ihre Losung: "Wir schaffen das!"

Dieser Herbsttag 2017 aber ist ein Triumph der Gegner der deutschen Flüchtlingspolitik, der Gegner der Walter Lübckes in Deutschland. Denn die rechte Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) hat mit ihrem Anti-Flüchtlingskurs einen beachtlichen Wahlerfolg erzielt. Die Partei berauscht sich an ihrem Erfolg. Am Abend tritt der Spitzenkandidat Alexander Gauland unter dem Jubel seiner Anhänger vor die Kameras und gibt die Parteilosung für die künftige Politik der AfD aus: "Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen - und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen."

Tatmotiv Hass

Zwei Jahre später ist Walter Lübcke tot. Erschossen vor seinem eigenen Haus. Der Täter, Stephan Ernst, ist ein Rechtsextremist. Sein Tatmotiv: Hass auf die deutsche Flüchtlingspolitik. Hass auf einen Mann, der sie verkörperte: Walter Lübcke.

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DW-Redakteur Hans PfeiferBild: DW/B. Geilert

Alexander Gauland kannte den Täter nicht. Es gibt keinerlei Verbindungen. Schon gar nicht solche, die justiziabel - also Gegenstand eines Verfahrens vor Gericht - wären. Und doch gibt es einen politischen Zusammenhang. Die AfD hat mit ihrem jahrelangen Trommelfeuer des Hasses eine Stimmung in Deutschland geprägt. Sie hat die Menschen aufgeputscht. Gegen Flüchtlinge. Gegen Migranten. Gegen politische Gegner. Die Partei lehnt jede Verantwortung für rechtsextreme Hassverbrechen ab. Und kontert: das sei ein Versuch jedwede Regierungskritik, mundtot zu machen. Sie verhält sich wie der biblische Pontius Pilatus und wäscht ihre Hände in Unschuld.

Der Täter Stephan Ernst hat für sein Verbrechen die in Deutschland mögliche Höchststrafe erhalten: lebenslange Haft. Außerdem hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die besondere Schwere der Schuld festgestellt, was eine vorzeitige Entlassung so gut wie ausschließt. Diese Strafe ist gerecht. Und ein wichtiges Signal an die rechtsextreme Szene. 

Gefährliches Täterumfeld wird unterschätzt

Warum könnte von dem Prozess und dem Urteil also trotzdem eine fatale Botschaft ausgehen? Weil der zweite Angeklagte, Markus H. das Gericht als freier Mann verlässt. Der Freund des Todesschützen wurde von dem Vorwurf der Beihilfe zum Mord freigesprochen. Wegen illegalen Waffenbesitzes erhielt er lediglich eine Bewährungsstrafe.

Jenseits der Frage, wie angemessen diese milde zweite Strafe ist - die Anklage hatte fast zehn Jahre Haft gefordert - hat sie eine politische Wirkung. Denn die gewaltbereite rechtsextreme Szene erlebt einmal mehr ein mildes Urteil für einen Mann aus dem Umfeld des Täters. Und die Vergangenheit hat gezeigt, wie solche Urteile aufgenommen werden: Sie werden gefeiert.

Das Gefährliche daran: Politisch motivierte Mörder sind zwar selten, sie handeln aber so gut wie nie gesellschaftlich isoliert. Das zeigt auch dieser Mord. Auch Stephan Ernst wurde durch Reden, Stimmungen und Demonstrationen radikalisiert. Auch durch die AfD. Und bevor es zur Tat kommt, steht auch er in Kontakt zu anderen Menschen, mit denen er sich über seinen Hass austauscht - sei es in der realen Welt oder in der virtuellen. Dieses Gemisch führt dazu, dass politische Täter wie Stephan Ernst sich als Teil einer Mission begreifen: Sie begehen ihre Tat für eine politische Vision.

Ermutigung für die rechte Szene Deutschlands

Die Botschaft am Ende dieses Verfahrens an die rechtsextreme Szene: So lange Du nicht unmittelbar an der Tat beteiligt bist und solange Du dich vor Gericht nicht selbst belastest, musst Du keine Angst haben vor ernsthaften Konsequenzen deines Hasses.

Die enorme Bedeutung dieses Täterumfelds kommt in deutschen Strafprozessen oftmals zu kurz. Und damit verfehlen viele Strafprozesse eines ihrer ganz wesentlichen Ziele: die Wahrheitsfindung. Denn zur Wahrheit gehört: Politische Verbrechen kennen keine Einzeltäter. Sie sind geprägt von gesellschaftlichen Stimmungen.

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Hans Pfeifer Autor und Reporter