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Politik

Ein typischer Merkel-Kompromiss

12. Februar 2021

Für mehr Menschenrechte und bessere Umweltstandards. Der Entwurf zum Lieferkettengesetz ist vielleicht nicht der ganz große Wurf, dennoch ein deutliches Signal, meint Volker Witting.

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Terre des Hommes - 50 Jahre - Kinderarbeit in Indien
Tausende Kinder arbeiten in indischen Steinbrüchen, schlagen dort Pflastersteine für Käufer in DeutschlandBild: terre de hommes/N. Singh Chhikara

Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es in Artikel eins des deutschen Grundgesetzes. "Nicht nur des deutschen Menschen", ergänzt Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil bei der Pressekonferenz zum Lieferkettengesetz. Er ist einer der drei Minister, die monatelang um ein Gesetz gerungen haben, das für mehr Gerechtigkeit weltweit sorgen soll: das Lieferkettengesetz. Es geht um Menschenrechte und den Schutz der Umwelt. Und auch darum, die gebeutelte Wirtschaft in Corona-Zeiten nicht zu sehr zu belasten.

Der Entwurf ist ein Kompromiss mit strengeren Regeln für faireren Welthandel in Zeiten der Globalisierung und mehr Verantwortung; zumindest für größere deutsche Betriebe.

Ganz nach dem Geschmack der Kanzlerin

Ein typischer Koalitionskompromiss, wohl ganz nach dem Geschmack der Kanzlerin. Sie hatte sich zwei Mal persönlich eingeschaltet, als bei den Verhandlungen nichts mehr ging und die mächtigen Wirtschaftsverbände Druck machten, um ein zu striktes Gesetz zu verhindern.

Volker Witting vor dem Reichstagsgebäude in Berlin
DW-Hauptstadtkorrespondent Volker WittingBild: DW/S. Eichberg

Deutsche Unternehmen sollen zukünftig dafür sorgen, dass ihre Produkte im Ausland fair, ökologisch und nachhaltig produziert werden. Sollte doch eigentlich klar sein - oder?! Drei Viertel der Deutschen wollen es so und sind auch bereit, dafür mehr zu zahlen.

Gut also, dass nun endlich ein Kompromiss gefunden wurde. Alles andere wäre aber auch eine Blamage für diese Regierung gewesen, die ein Gesetz fest für diese Legislaturperiode versprochen hatte.

Ausbeutung und Umweltzerstörung immer noch Alltag

Das ist die bittere Realität: 150.000 Kinder in Indien arbeiten in Steinbrüchen. 25 Cent Stundenlohn für Näherinnen in Bangladesch. Rund 150 Millionen Mädchen und Jungen weltweit schuften in Kinderarbeit. Nicht vergessen ist der Brand in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch, bei dem mehr als 1000 Menschen ums Leben kamen. Oder der Dammbruch in einer brasilianischen Eisenerzmine, bei dem 259 Menschen starben. Deutsche Unternehmen waren an alledem beteiligt, haben verdient - und manche Schuld auf sich geladen. Wer Mensch und Umwelt schädigt, muss dafür geradestehen. Das soll bald gelten; weltweit. Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, mit denen es die Politik zuvor versucht hatte, haben - wie so oft - nicht funktioniert.

Kein ganz zahnloser Tiger

Gegen große deutsche Unternehmen kann in der Zukunft sogar geklagt werden. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften vor deutschen Gerichten klagen können, wenn sie Menschenrechtsverletzungen vermuten. Bußgelder drohen. Immerhin.

Viele Menschenrechtsorganisationen wollten stärkere Sanktionen und nicht nur Knöllchen für die Sünder. Sie wollten alles schneller und nicht erst 2024. Sie wollten auch Betriebe in die Verantwortung nehmen, die weniger als 1000 Mitarbeiter haben. Aber mehr war wohl nicht drin; ein Merkel-Kompromiss eben.

Signal für die EU

Dennoch ist die deutsche Einigung ein Signal an die EU. Wenn die größte Volkswirtschaft Europas es nun geschafft hat, endlich ein Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen, strahlt das auf den ganzen Kontinent aus. Selbst wenn zum Beispiel Frankreich oder die Niederlande schon ein Lieferkettengesetz haben, könnte die deutsche Einigung die Blaupause werden. Der EU-Rechtsausschuss hat mit der Arbeit an einem verbindlichen EU-Lieferkettengesetz begonnen. Auch wenn der deutsche Kompromiss eben ein Merkel-Kompromiss ist, zeigt er den Weg: Menschenrechte sowie die Umwelt schützen und rücksichtslose Ausbeutung endlich wirksam beenden, denn die Würde des Menschen ist unantastbar. In aller Welt.

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online