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Politik

Moralischer Bankrott eines Revolutionärs

Sandra Weiss
Sandra Weiss
10. Juni 2021

Daniel Ortega kämpfte einst gegen eine rechte Diktatur in Nicaragua und genoss dafür viel Sympathie in Deutschland. Nun müssen die Demokraten wieder mobilisieren - aber gegen Ortega, meint Sandra Weiss.

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Nicaragua Protest Symbol Daniel Ortega
Mit "Mörder" beschmiertes Wandbild: Ortega, seit 2006 wiederholt Präsident Nicaraguas, gebärdet sich immer autoritärerBild: picture-alliance/AP Photo/E. Felix

Eine solche Hexenjagd hat man lange nicht mehr gesehen in Lateinamerika: In wenigen Tagen hat Nicaraguas Machthaber Daniel Ortega vier Regimekritiker festnehmen lassen. Richtete sich die Repression vorher vor allem gegen Studenten, die den Protest gegen seinen autoritären Familienclan auf die Straße getragen hatten, sind nun mögliche Gegenkandidaten im Visier.

Damit macht Ortega klar, dass die Präsidentschaftswahl im November für ihn nur eine Formsache ist. Dass er nicht das geringste Risiko eingehen wird, das Zepter aus der Hand zu geben. Wer glaubte, es gäbe noch Spielraum für Verhandlungen über faire Wahlen mit dem sandinistischen Regime in Managua, dürfte nun endgültig aufgewacht sein. Ortega reiht sich ein in den Club der autoritären Regime, von Kuba bis China, von Russland bis zur Türkei. Er ist bereit, die Paria-Rolle zu spielen. Sein internationales Image ist ihm weniger wichtig als der Machterhalt.

"Putin-Gesetz"

Die Eskalation war absehbar und von langer Hand vorbereitet. Mit dem NGO-Gesetz - im Volksmund auch "Putin-Gesetz" genannt - verpflichtete das sandinistische Regime Bürger und Institutionen dazu, sich als "ausländische Agenten" zu registrieren, wenn sie finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten. Das zwang zahlreiche NGOs dazu, entweder zu schließen oder in einer rechtlichen Grauzone zu operieren.

Kommentarbild Sandra Weiss
Sandra Weiss ist Korrespondentin für Zentralamerika mit Sitz in MexikoBild: DW

Ergänzt wurde das durch ein Anti-Terror-Gesetz, das so vage formuliert ist, dass jeder Demonstrant damit rechnen muss, als Terrorist jahrelang eingesperrt zu werden. Vor einigen Tagen wurde dann eines der beiden Oppositionsbündnisse von der Wahl ausgeschlossen. Dem zweiten werden gerade alle Kandidaten durch Einsperren genommen. Der Spielraum für Kritiker und Dissidenten ist zusammengeschrumpft wie ein leckgeschlagener Ballon.

Aber auch für Ortega hat das einen Preis. Einst stand er an der Spitze der sandinistischen Revolution und kämpfte gegen den von den USA unterstützten Diktator Anastasio Somoza. Es kämpfte David gegen Goliath, eine geschundene Bevölkerung gegen einen blutrünstigen Clan. Dafür genossen die Sandinisten weltweit Sympathie und bekamen viel Unterstützung.

Eine Karikatur Somozas

Nun hat sich der einstige Revolutionär in eine Karikatur Somozas verwandelt. Er lässt Rentner niederknüppeln und hetzt Scharfschützen auf jugendliche Demonstranten. Es ist die moralische Bankrotterklärung eines Revolutionärs. Das verzeihen ihm die Nicaraguaner nicht, vor allem die Älteren. Aber auch die Jugend träumt von einem demokratischen, pluralen Land, das nicht mehr autoritär und patriarchalisch regiert wird wie eine Familienfinca. Viele von ihnen hat Ortega ins Exil gezwungen.

Die meisten seiner einstigen Weggefährten hatten sich schon vorher von Ortega abgewandt. Doch sein Clan spielt auf Zeit. Irgendwann, so hofft er, wird den Kritikern die Lust und Energie vergehen. Irgendwann werden sich die nachwachsenden Generationen dank staatlicher Gehirnwäsche gar nichts anderes mehr vorstellen können, als die Einparteien-Herrschaft eines Familienclans.

Was das Ausland dagegen tun kann? Vor allem diejenigen nach Kräften unterstützen, die die Fackel der Freiheit und Demokratie gegen alle Widrigkeiten weiter hochhalten.