Neun Männer mit Migrationsgeschichte und eine Polizistin haben sie ermordet. Viele andere sind bei Bombenanschlägen zwar mit dem Leben davongekommen, allerdings tief verwundet an Leib und Seele. Beate Zschäpe, die einzige Überlebende der sich selbst Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nennenden Terrorgruppe, wurde für diese Taten 2018 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Ein gerechtes Urteil, keine Frage.
Im NSU-Prozess hätten mehr angeklagt werden müssen
Doch die zwischen 2000 und 2007 begangene Mordserie ist damit lediglich juristisch aufgearbeitet. Und auch das nur ungenügend. Denn neben der Hauptangeklagten Beate Zschäpe und vier Unterstützern hätten weit mehr Rechtsextremisten auf der Anklagebank im Oberlandesgericht München sitzen müssen. Doch dazu konnte oder wollte sich die Bundesanwaltschaft nicht durchringen, obwohl genügend Hinweise und Indizien dafür vorlagen.
Warum diese Zurückhaltung? Aus Angst, sie am Ende mangels Beweisen nicht verurteilen zu können? Oder weil man krampfhaft an der These vom NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos festhalten wollte? Bestehend aus jener Frau und ihren beiden Freunden, die 1998 gemeinsam in den Untergrund gegangen sind, um kurze Zeit später mordend durchs Land zu ziehen und geradezu lustvoll ihren Rassismus auszuleben.
Skandal: Die Verfassungsschutz-Akten bleiben im Giftschrank
All das war über einen so langen Zeitraum nur möglich, weil die drei überall in Deutschland Unterstützer und Sympathisanten hatten. Vier von ihnen waren als NSU-Unterstützer angeklagt und wurden zu mehr oder weniger langen Haftstrafen verurteilt. Allein dieser Umstand widerlegt auf geradezu groteske Weise die unhaltbare Theorie vom NSU-Trio, auf die sich die Anklage immer wieder stützte.
Der Rückblick auf dieses unbefriedigende Kapitel deutscher Justizgeschichte ist auch zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU nötig. Denn das Erinnern an die verpasste Chance und etliche andere Versäumnisse zeigt, wie schwer sich Deutschland im Kampf gegen Rechtsextremismus noch immer tut. Leider wurden und werden oft falsche Lehren aus dem Schock der medial lange als "Döner-Morde" bezeichneten Mordserie gezogen.
Ein Beispiel aus dem Jahr 2021: Die im Bundesland Hessen regierenden Christdemokraten (CDU) und Grünen haben gegen das Votum der Opposition - einschließlich der rechtspopulistischen AfD! - die Öffnung von Verfassungsschutz-Akten mit NSU-Bezug verhindert. Die bleiben nun 30 Jahre unter Verschluss. Dabei hätte es gerade in diesem Bundesland besonders viele Gründe gegeben, für Transparenz und damit für Vertrauen in den Rechtsstaat zu sorgen.
Tödliche Blutspur in Hessen: Halit Yozgat, Walter Lübcke, Hanau
In Kassel wurde 2006 das NSU-Opfer Halit Yozgat in seinem Internet-Café erschossen - nachweislich in Anwesenheit eines Mitarbeiters des Verfassungsschutzes. Etwa 30 Kilometer entfernt starb 2019 der CDU-Politiker Walter Lübcke, der sich für Flüchtlinge engagierte, durch einen Kopfschuss. Die äußeren Umstände des Mordes ähnelten auf beängstigende Weise der Methode des NSU. Der rechtsextremistische Mörder wurde inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt - immerhin. Und ebenfalls in Hessen ermordete ein anderer Rechtsextremist acht Männer und eine Frau in der Innenstadt von Hanau.
Ja, die Taten Beate Zschäpes und ihrer am 4. November 2011 tot in einem brennenden Wohnmobil aufgefundenen Killer-Kumpane stehen in keinem direkten Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke und dem Massaker in Hanau. Aber die Blutspur ist durch ein gemeinsames Motiv denkbar eng miteinander verknüpft: tödlicher Rechtsextremismus.
Eine Gefahr, deren Dimension von politisch Verantwortlichen quer durch Deutschland in den ersten Jahren nach dem Auffliegen des NSU weiter lange unterschätzt wurde. Viel zu lange dauerte es, bis Rechtsextremismus endlich als größte Bedrohung für den Rechtsstaat und die Demokratie erkannt wurde. Das ist jetzt endlich Konsens. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagt es immer wieder, auch Verfassungsschutz-Präsident Thoma Haldenwang.
Merkels ehrlich gemeinten Worte blieben folgenlos
Was bleibt, ist der bittere Beigeschmack, dass den Worten nur selten die nötigen und richtigen Konsequenzen folgten. Das gilt auch für die Bundeskanzlerin. Angela Merkel sagte bei der zentralen Trauerfeier für die NSU-Opfer 2012 in Berlin: "Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen."
Dieses Versprechen war sicherlich ehrlich gemeint, entpuppte sich aber als uneinlösbar. Weil es vielen Verantwortlichen in der Politik und in den Sicherheitsbehörden zuweilen noch immer an Mut und Einsicht mangelt. Ein Land, in dem auch zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU und angesichts vieler Nachahmungstäter weiterhin wichtige Akten unter Verschluss bleiben, tut an einer entscheidenden Stelle viel zu wenig im Kampf gegen Rechtsextremismus.