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PolitikEuropa

Putin hat den Gaskrieg gegen Deutschland verloren

Wirtschaftskolumnist der Deutschen Welle Andrey Gurkov
Andrey Gurkov
12. Januar 2023

Russland kann die Deutschen mit seinem Erdgas nicht mehr erpressen. Denn sie haben auch ohne Gazprom volle Speicher und müssen selbst den nächsten Winter nicht fürchten, meint Andrey Gurkov.

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Karikatur von Sergey Elkin: Ein feuerspeiender Drache aus Pipeline-Rohren am Himmel symbolisiert die Abhängigkeit von russischem Gas
Der russische Gas-Drache kann Deutschland keine Angst mehr einflößenBild: DW

Es wäre verfrüht, von einer militärischen Niederlage Russlands in der Ukraine zu sprechen. Aber den Gaskrieg gegen Deutschland hat Wladimir Putin verloren - das kann man bereits mit Gewissheit sagen. Denn die Bundesrepublik verfügt über die größten Speicherkapazitäten für Erdgas in der ganzen EU. Und wenn deren Füllstand Mitte Januar auf dem Höhepunkt der Heizperiode immer noch bei über 90 Prozent liegt, dann heißt das: Der Ausfall russischer Gaslieferungen stellt keine Gefahr mehr dar.

Zum Zeitpunkt des russischen Überfalls auf die Ukraine vor fast elf Monaten importierte Deutschland über die Hälfte seines Erdgases aus Russland. Daher war für Moskau die Erpressung Deutschlands das Kernstück jenes ökonomischen Drucks auf die EU, der aufgebaut wurde mit dem Ziel, die Unterstützung der Europäer für das ukrainische Volk und für seine Armee zu untergraben.

Deutschland lebt den fünften Monat ohne Gazprom

Doch dieser Plan ist gescheitert. Die Deutschen erfrieren nicht in ihren Wohnungen, sie mussten ihre Fabriken nicht stilllegen. Und auch im politischen Berlin ist die Angst verflogen, Moskau könne aus Rache Deutschland lahmlegen. Nein, die Bundesrepublik hat sich selbst im Rahmen der EU-Sanktionen von Steinkohle und Rohöl aus Russland losgesagt, und seit Ende August bekommt sie auch kein Erdgas von Gazprom mehr.

Gurkov Andrey im Anzug und roter Krawatte
DW-Redakteur Andrey Gurkov

Mit anderen Worten: Die Deutschen leben schon den fünften Monat ohne das angeblich so unentbehrliche russische Pipelinegas - und die größte Volkswirtschaft Europas scheint damit gut klarzukommen. Zwar wird immer noch mit einer Rezession gerechnet, die angesichts des Zusammenbruchs jahrzehntealter Lieferketten und der Preisexplosion für Energie nicht verwunderlich wäre. Doch immer mehr Indikatoren zeigen, dass es wohl ein ziemlich milder Abschwung werden wird. Und sogar die Rekordinflation verlangsamt sich.

Unterdessen weitet Berlin seine militärische Unterstützung für Kiew aus, was als ein weiterer indirekter Beleg für das Scheitern von Putins "Gas-Sonderoperation" gewertet werden kann. Anfang Januar - in Deutschland wurde zu dieser Zeit bereits die dritte Woche hintereinander Gas gespeichert, was für die Jahreszeit sehr untypisch ist - änderte die Bundesregierung ihre bisherige Meinung und rang sich zu einer Lieferung von Schützenpanzern an die Ukraine durch. Schwere Kampfpanzer könnten folgen - die Diskussion ist bereits in vollem Gange.

Regulierungsbehörde gibt Entwarnung

Von Putins verlorenem Gaskrieg zeugt auch eine unmissverständliche Entwarnung, die der deutschen Wirtschaft und der Bevölkerung gleich aus zwei Quellen verkündet wurde - von der staatlichen Regulierungsbehörde und von einem Branchenverband.

Zuerst stellte die Bundesnetzagentur offiziell fest: "Eine Gasmangellage in diesem Winter wird zunehmend unwahrscheinlich". In einem Zeitungsinterview fügte der Chef der Behörde Klaus Müller hinzu, er gehe nun von einem Ende der Schwankungen bei den Gaspreisen und deren Stabilisierung etwa auf dem jetzigen Niveau aus. Dieses Niveau ist zwar immer noch erheblich höher als früher, aber mittlerweile um ein Vielfaches niedriger als die Rekordwerte vom Sommer. Bei diesen Preisen könnten die energieintensiven Branchen der deutschen Industrie "endlich wieder daran arbeiten, Boden gutzumachen", so Müller.

Kurz darauf präsentierte der Verband der Betreiber von deutschen Gas- und Wasserstoffspeichern INES bei seiner monatlichen Pressekonferenz Szenarien für das Jahr 2023: Bei einem Wetter mit Normaltemperaturen werde der Füllstand zum Ende diesen Winters bei 65 Prozent liegen. Das wäre eine äußerst komfortable Ausgangsituation für die Einspeicherung im Sommer und eine hundertprozentige Befüllung bereits im September.

Anders gesagt: Die Branchenprofis versichern den deutschen Unternehmen und Haushalten, dass sie Probleme mit den Gasreserven weder in diesem noch im nächsten Winter zu erwarten haben. Vorausgesetzt "die aktuell starken Verbrauchseinsparungen werden weiterhin anhalten".

Gazprom hat seinen größten Absatzmarkt verloren

Die Experten von INES haben aber auch den ungünstigsten Fall modelliert: Das Wetter wird besonders kalt, die Verfügbarkeit von Flüssiggas geht wegen plötzlich sehr hoher LNG-Nachfrage aus Asien enorm zurück, Russland stellt sofort alle Gaslieferungen nach Europa ein, was ein solidarisches Teilen der deutschen Reserven mit anderen EU-Ländern nach sich ziehen würde. Doch selbst in solch einem Fall wäre in Deutschland kein Gasmangel in der laufenden und auch nicht in der kommenden Heizperiode zu befürchten.

In Grunde genommen sind diese beiden Entwarnungen eine überzeugende Bestätigung dafür, dass Putin seinen Gaskrieg tatsächlich verloren hat. Deutschland ist ohne russisches Gas in das Jahr 2023 gestartet und auch ohne Ängste wegen dieses Verlustes. Genau darin liegt die Niederlage des Kremls: Das russische Erdgas taugt nicht mehr als Waffe gegen Deutschland. Doch die Folgen dieses verlorenen Krieges reichen noch viel weiter: Der Staatskonzern Gazprom steht nun ohne seinen wichtigsten ausländischen Absatzmarkt da. Denn noch vor einem Jahr kauften ihm die Deutschen ein Viertel seiner gesamten Exporte ab.