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"Heimat ist da, wo Du satt wirst"

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Erkan Arikan
6. Oktober 2021

Die Türkische Gemeinde in Deutschland feierte am Dienstag mit dem Bundespräsidenten den 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik und der Türkei. Ein ganz persönlicher Blick von Erkan Arikan.

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Bundespräsident Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender im Gespräch mit dem ehemaligen Bergmann Osman Cinkilic. Im Hintergrund sind Bilder der Ausstellung "Wir sind von hier. Türkisch-deutsches Leben 1990, Fotografien von Ergun Çagatay" zu sehen, unter anderem mit Osman Cinkilic als jungem Mann.
Endlich interessiert sich auch die Staatsspitze für die Menschen, die lange nur "Gastarbeiter" genannt wurdenBild: Roland Weihrauch/dpa/picture alliance

Es gibt Veranstaltungen, die man als Journalist nur besucht, weil man darüber berichten muss. Doch für diesen Festakt gilt das in meinem Fall nicht. Denn das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei ist auch ein Teil meiner Geschichte.

Als mein Vater im September 1969 als Gastarbeiter nach Deutschland kam, ließ er mich - damals sechs Monate alt - und meine Mutter in seiner Heimat zurück. Er wollte ja nur ein paar Jahre hier arbeiten, genug Geld verdienen und dann wieder in seine Heimat zurückkehren. Doch erstens kommt alles anders und zweitens als man denkt. Es lief eben ohne seine Familie nicht und so kam ich mit meiner Mutter am 18. April 1970 nach Berlin. Diese Stadt sollte dann meine Heimat werden.

"Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen"

Kindergarten, Schule, Studium - das alles habe ich erfolgreich durchlaufen, weil ich eine wichtige Botschaft meines Vaters nie vergessen habe: "Du musst doppelt so hart arbeiten wie die Deutschen!" waren seine Worte. Ja, ich habe hart gearbeitet. Und ja, ich musste mich in der deutschen Mehrheitsgesellschaft für meinen Erfolg immer rechtfertigen, gar verteidigen. Aber nein, ich bin, trotz meiner Eltern, die man heute zu den "bildungsfernen Schichten" zählen würde, nicht in einer Parallelwelt groß geworden. Ich bekam eine Empfehlung für das Gymnasium und habe keine sogenannte "Ghettogeschichte". Ja, ich hatte vielleicht auch besonderes Glück mit meinen Lehrern, die mich genauso behandelt haben, wie meine deutschen Mitschülerinnen und Mitschüler.

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Erkan Arikan ist Leiter der Türkischen Redaktion der DWBild: DW/B. Scheid

"Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen." Dieser berühmte Satz des ebenso berühmten Max Frisch aus dem Jahr 1965 traf einen Nerv. Diesen Satz zitierte auch der Bundespräsident am Dienstag in seiner Festrede und wies darauf hin, dass Frisch bereits damals verstanden hatte, dass die Beschäftigungspolitik der 1960er- und 1970er-Jahre zu kurz gedacht war.

Sie nannten uns Gäste, aber aus meinen Eltern und mir wurden Nachbarn. Dieser 60. Jahrestag soll vor allem an die erste Generation der Menschen erinnern, die dieses Land zu ihrer Heimat machten. Denn ein türkisches Sprichwort sagt: "Heimat ist nicht da wo Du geboren bist, sondern da, wo Du satt wirst." Und das ist Deutschland.

"Eine Randnotiz wird ihrem Beitrag für unser Land nicht gerecht"

Es gab einen Moment in der Rede des Bundespräsidenten, an dem ich - ich muss es zugeben - Tränen in den Augen hatte. Steinmeier sagte, dass "die Geschichten der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter einen angemessenen Raum in unseren Schulbüchern und in unserer Erinnerungskultur verdient; eine Randnotiz wird ihrem Beitrag für unser Land nicht gerecht. Wenn wir ihre Geschichten erzählen, als integralen Teil der Geschichte dieser Republik, dieses Landes, erst dann verstehen wir unser aller Geschichte." Wie recht er doch hat.

Während ich diese Zeilen schreibe, denke ich an meinen Vater und meine Mutter, die genau wie ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen bei Siemens jeden Tag ihr Akkord-Soll erfüllen mussten. Ja, meine Eltern dürfen keine Randnotiz sein. Meine Eltern und alle Gastarbeiter, ob aus der Türkei, aus Italien, dem ehemaligen Jugoslawien, Griechenland, Spanien, Portugal, Vietnam oder Angola - sie alle sind Teil der deutschen Geschichte. Sie alle haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass Deutschland so ist, wie es heute ist: stark, bunt, großartig. Sie alle sollen ihren Platz in den Geschichtsbüchern dieses Landes haben. Gerade deswegen war dieser Festakt so wichtig - um uns dauerhaft daran zu erinnern. An das, was Menschen wie meine Eltern für dieses Land erreicht haben.

"Nehmen Sie sich den Platz in der Mitte und füllen Sie ihn aus!"

Die zweite, dritte und inzwischen vierte Generation der Gastarbeiter sind mehrheitlich in Deutschland geboren. Trotz dieses Umstandes müssen sich viele von ihnen immer noch beweisen. Wird ihnen immer noch das Gefühl vermittelt, sie seien hier nicht willkommen. Diese Zeiten müssen der Vergangenheit gehören. Das müssen auch die Ewiggestrigen endlich begreifen. Wir sind hier, und wir werden bleiben. Bleiben, um dieses Land, das auch unsere Heimat ist, besser zu machen.

Ich habe meinen Platz in der Mitte und ich werde ihn, so wie Bundespräsident Steinmeier es fordert, weiter ausfüllen. Wir alle werden diese Gesellschaft mitgestalten, denn es ist auch unsere Gesellschaft. Wir gehören hierher. So wie all die anderen, deren Eltern und Großeltern als Arbeitskräfte nach Deutschland gekommen sind.