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Wimbledon-Ausschluss: Es trifft die Falschen

DW Kommentarbild David Vorholt
David Vorholt
21. April 2022

Spielerinnen und Spieler aus Russland und Belarus werden in diesem Jahr von Wimbledon ausgeschlossen. Handlungsbedarf ist angesichts des Krieges in der Ukraine gegeben, die Entscheidung aber falsch, meint David Vorholt.

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Wimbledon I Daniil Medvedev
Der Russe Daniil Medwedew, Nr. 2 der Weltrangliste, beim Wimbledon-Turnier 2021Bild: John Walton/empics/picture alliance

Zwei Dinge vorweg, damit in diesen Punkten Klarheit herrscht: 1. Sport und Politik sind grundsätzlich und ohne Ausnahme untrennbar. 2. Der russische Überfall auf die Ukraine ist ein furchtbarer Angriffskrieg, den es zu verurteilen gilt - genauso wie die dafür Verantwortlichen, allen voran den russischen Präsidenten Wladimir Putin. 

Doch der jüngst verkündete Ausschluss von Spielerinnen und Spielern aus Russland und Belarus in Wimbledon (27.06. - 10.07.) ist ein falsches, geradezu fatales Zeichen: Denn hier werden Einzelne ohne direkten institutionellen oder aktivistischen Hintergrund in Regress genommen und für einen Krieg und seine politisch Verantwortlichen, mit dem sie weder als Sportler, noch als Person direkt etwas zu tun haben, bestraft. Die Absichten mögen richtig sein, getroffen werden die Falschen. 

Falsche Kollektivstrafe 

Natürlich geht es russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler etwas an, weil sie eine Öffentlichkeitswirkung haben. Positionierung und Distanzierung von Sportlern aus den betroffenen Ländern sind demensprechend wünschenswert, verpflichtend können sie aber nicht sein. Doch das Beispiel Wimbledon zeigt: Die individuelle Haltung spielte nicht mal eine entscheidende Rolle.

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DW-Sportredakteur David Vorholt hält den Ausschluss für falsch

Nach Ausbruch des Krieges hatte die damalige Nummer eins der Weltrangliste Daniil Medwedew zu den Geschehnissen Stellung genommen und sprach davon, dass es schwierig gewesen sei, aufzuwachen "mit dem was zu Hause geschieht". "Ich will Frieden", sagte er später auf einer Pressekonferenz und rief bei Instagram zum "Frieden zwischen den Ländern" im Namen der Kinder auf. Keine scharfe Verurteilung der Verantwortlichen auf russischer Seite, aber eine Positionierung gegen den Krieg. Auch Eigeninteressen dürften hier eine Rolle spielen, aber das ändert nichts an der Sache.  

Doch vollkommen unabhängig davon, ob eine Distanzierung stattfindet oder nicht: Einzelsportler sind mit den Geschehnissen nicht unmittelbar in Verbindung zu bringen, erst recht nicht dafür verantwortlich und dementsprechend auch nicht dafür zu bestrafen. So ist es eine Kollektivstrafe, die Einzelne trifft. Das darf nicht sein.

Verband oder Einzelsportler?

In einer vom Krieg schockierten Welt müssen Zeichen gesetzt werden - auch im Sport. Es ist richtig, dass beispielswiese die UEFA den russischen Verband und somit Mannschaften wie Zenit St. Petersburg bis auf weiteres von allen Mannschaftswettbewerben ausgeschlossen hat. Auch der Ausschluss russischer und belarussischer Athleten und Athletinnen von den Paralympics war richtig. Zwar hat es auch hier Einzelsportler getroffen, doch im Unterschied zu Tennisspielern und Tennisspielerinnen treten die Paralympioniken nicht nur individuell, sondern auch für die Mannschaft des jeweiligen Nationalen Paralympischen Komitees an. 

Auch in anderen Sportarten wurden richtigerweise Sanktionen gegen russische Verbände erlassen. Aber diese Denke ist auf Einzelsportler nicht zu übertragen. Denn die öffentliche Rolle und die damit verbundene Verantwortung eines Sportverbandes oder anderer staatlicher und nicht-staatlicher Sport-Organisationen ist ungleich der eines Tennisspielers oder einer Tennisspielerin. 

Wimbledon Championships, Symbolbild 2019
Der "heilige Rasen" von Wimbledon: Die Anlage in London mit ihren Rasenplätzen gilt als der prestigeträchtigste Ort der Tennis-Welt Bild: Thomas Lovelock/AELTC Pool/empics/picture alliance

Sippenhaft und Symbolpolitik

Ein Ausschluss der russischen Mannschaft vom Davis-Cup wäre richtig, ein Ausschluss von Daniil Medwedew bei einem Einzelturnier falsch. Zweimal Tennis, zwei unterschiedliche Bewertungen. Anhand dieses Beispiels wird klar, worum es letztlich geht: Im Davis-Cup treten die Spieler immer für ihr Land, bzw. den nationalen Verband an - auch wenn sie eine Partie im Einzel spielen. Vergleichbar ist das mit den Paralympioniken, die als Einzelsportler trotzdem für die jeweilige nationale Mannschaft, bzw. das nationale Komitee antreten. Oder anders: Einmal spielt Daniil Medwedew für Russland, einmal der Spieler Medwedew aus Russland. 

In Wimbledon und bei den anderen Grand Slams, sowie bei allen anderen Turnieren auf der ATP-, bzw. WTA-Tour spielen die Spielerinnen und Spieler ausschließlich für sich. Preisgeld, Weltranglistenpunkte, Strafen: alles vollkommen individuell vergeben. Das muss dann auch andersrum gelten. Dementsprechend klar und deutlich kritisierten die beiden Spielervereinigungen einstimmig die Entscheidung. Natürlich sei das Kriegsgebaren der Russen "aufs Schärfste" zu verurteilen. Gleichwohl sei ein pauschaler Ausschluss von Sportlern aus einem Land "diskriminierend" (ATP) und "zutiefst enttäuschend" (WTA).

Warum nicht unter neutraler Flagge?

Der Ausschluss mag der richtigen Motivation folgen, doch die Veranstalter hätten an anderer Stelle ansetzen müssen: Überprüfung von Sponsoren und deren möglichen Verbindungen zu russischen Unternehmen, der russischen Politik und dem Machtzirkel um Wladimir Putin beispielsweise. Außerdem wäre es möglich gewesen, die Sportler aus den betroffenen Ländern offiziell unter neutraler Flagge antreten zu lassen, so wie es bei ATP- und WTA-Turnieren auch praktiziert wird. 

Bestraft werden nun Sportlerinnen und Sportler einzig und allein aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit - Sippenhaft und Symbolpolitik par excellence. Man stelle sich vor, die Wimbledon-Organisatoren würden am Eingang zum Turniergelände an der Church Road auch Zuschauer einer Passkontrolle unterziehen und Menschen aus Belarus und Russland den Zutritt verweigern. Undenkbar oder?

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David Vorholt Redakteur, Reporter und Autor in der DW-Sportredaktion