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Politik

Zentralismus ist die falsche Corona-Medizin

13. April 2021

Kanzlerin Angela Merkel will die deutschen Bundesländer in der Pandemie-Bekämpfung mit einer "Notbremse" entmachten. Marcel Fürstenau findet das unsinnig und panisch.

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Symbolbild Notbremse Öffnung Corona Maßnahmen Corona Chaos
Bild: Daniel Meissner/dpa/picture alliance

Die Zahl der Corona-Infektionen in Deutschland steigt, auch die der belegten Betten auf den Intensivstationen der Krankenhäuser. Da erscheint es auf den ersten Blick logisch und konsequent, die seit November 2020 geltenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit weiter zu verschärfen. Bislang haben das die 16 Bundesländer in Abstimmung mit Angela Merkel getan. Wäre es nach der Kanzlerin gegangen, hätten aber seit jeher überall die gleichen Regeln herrschen sollen. Doch dagegen sträubten sich die Regierungschefinnen und -chefs - aus guten Gründen. Denn das Virus breitet sich regional sehr unterschiedlich aus.

Und das Infektionsgeschehen ändert sich schnell. Gegenden, die vor kurzem noch Hotspots waren, weisen heute landesweit mit die niedrigsten Werte auf. Flensburg in Schleswig-Holstein ist so ein Beispiel: Mitte Februar lag der sogenannte Inzidenzwert bei 185, doch inzwischen ist er laut Robert-Koch-Institut auf 54 gesunken (Stand: 13. April). Von den knapp 300 Landkreisen in Deutschland haben aktuell nur zehn niedrigere Werte als die Stadt an der Grenze zu Dänemark.

Die Corona-Notbremse ist gar keine

Vieles spricht dafür, dass der vor zwei Monaten vorübergehend verhängte regionale Lockdown Wirkung zeigte. Flensburg hat damals eigenverantwortlich gehandelt – und offenkundig vergleichsweise erfolgreich. Sollten sich die Infektionszahlen aber wieder in die andere Richtung bewegen und die Marke von 100 überschreiten, kann die Stadt aber bald nicht mehr ihren eigenen Weg gehen. Dafür soll das auf Angela Merkels Drängen vom Bundestag schnellstmöglich zu beschließende verschärfte Infektionsschutzgesetz sorgen.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Dann würde die sogenannte "Notbremse" greifen, die in Wirklichkeit gar keine ist. Denn eine Notbremse bedeutet: absoluter Stillstand. Ganz so weit können die Kanzlerin und die sie unterstützenden Parteien einschließlich der oppositionellen Grünen jedoch nicht gehen. Aber außer Lebensmittelgeschäften, Apotheken und Tankstellen könnte schon bald auf Direktive aus der deutschen Hauptstadt Berlin überall fast alles dicht gemacht werden. Auch im hintersten Zipfel der abgelegensten Provinz mit Dörfern, in denen keine hundert Menschen leben.

Ausdruck der Hilflosigkeit: Ausgangssperren

Selbst dort, wo es mehr Hühner und Kühe als Menschen gibt, dürfte dann niemand mehr seine eigenen vier Wände verlassen. Denn von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens soll eine Ausgangssperre verhängt werden. Wie fragwürdig diese Maßnahme ist, darauf weisen indirekt immer wieder Aerosolforscher hin. Vermutlich haben Angela Merkel und andere Besorgte Bilder von massenhaft feiernden und betrunkenen Jugendlichen in deutschen Parks und auf Plätzen vor Augen.

Ja, Regelverstöße gibt es. Aber wie wäre es mal mit etwas mehr Vertrauen in die Eigenverantwortung der Menschen, egal wie alt sie sind? Und mit absurden, realitätsfremden Verboten erreicht man schlimmstenfalls das Gegenteil: heimliche Treffen und Feten in Wohnungen und Kellern. Zur Erinnerung: In geschlossenen Räumen ist die Corona-Infektionsgefahr nachweislich am größten…

Niemand hat ein Patentrezept gegen Corona

Warum aber meint Angela Merkel, den Bundesländern auf beispiellose Art und Weise das Misstrauen aussprechen zu müssen? Vielleicht will sie damit von ihren eigenen Fehlern und denen ihrer Regierung ablenken. So berechtigt die Kritik an den in der Corona-Politik nicht an einem Strang ziehenden Länderchefs zuweilen sein mag: Niemand hat im Kampf gegen die Pandemie bislang den nachhaltigen, unwiderlegbaren Beweis erbracht, ein Patentrezept zu haben. Deshalb ist es auch falsch, die Bundesländer und Kommunen nun zu entmachten und ihnen jede Eigenverantwortung zu nehmen.

Womöglich steckt der Bundeskanzlerin noch das im März von ihr selbst angerichtete Chaos einer sogenannten "Osterruhe" in den Knochen. Damals musste Angela Merkel einsehen, mit ihren rigiden, unausgegorenen Vorstellungen über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Dafür entschuldigte sie sich einen Tag später. Dass sie trotz ihres Desasters nun versucht, die Bundesländer politisch zu entmündigen, ist ein abenteuerlicher Vorgang. Möge der Deutsche Bundestag ihr mehrheitlich widersprechen und die beabsichtigte Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes zu Fall bringen!

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Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland